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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Gberschlesien und seine Germanisirung.
(Schluß.)

und in Oberschlesien ist, wie schon erwähnt, die Bevölkerung un¬
zweifelhaft lvhal und Pcitriotisch gesinnt. Freilich muß man bei
diesem Urteil von dein Ergebnis der Wahlen absehen, wo der
Oberschlesier in seiner Mehrheit trotz seiner Loyalität der Geist¬
lichkeit blindlings folgt. Aber wenn auch der Oberschlesier polnisch
spricht, so will er doch kein Pole sein, und das Wort Polack gilt ihm sogar
als Schimpfwort. Es ist in dieser Beziehung trotz der Gleichheit der Sprache
zwischen ihm und dem Bewohner der benachbarten Provinz Posen ein wesent¬
licher Unterschied vorhanden, denn der Posener huldigt immer noch großpolnischen
Ideen, und der Gedanke, daß einst das ehemalige Königreich Polen in alter
Macht und Herrlichkeit wieder erstehen könnte, ist dort, von Geistlichkeit, Adel
und Presse genährt, immer noch nicht ganz geschwunden. Es ist dies ein wesent¬
liches Hindernis, das sich der Befestigung der dortigen Verhältnisse und dem
Einleben der polnischen Bevölkerung in den Organismus des auf rein deutscher
Grundlage beruhenden preußischen Staates entgegenstellt. Hiervon ist in Ober¬
schlesien nicht die Rede. Immerhin hat aber der Umstand, daß die polnische
Sprache, so verderbt sie auch durch Germanismen und durch dialektische Eigen¬
tümlichkeiten ist, noch die Umgangssprache bildet, sein Bedenkliches. Da das
Land im Norden, Osten und Südosten von rein polnischen Landesteilen um¬
geben ist, im Süden an Mähren grenzt, wo die Wogen der panslawistischen
Bewegung hochgehen, so hat es nicht an Bestrebungen gefehlt, auch die pol¬
nische und mährische Bevölkerung Oberschlesiens für die panslawistischen und die
großpolnischen und mährischen Bestrebungen zu gewinnen. So lange das deutsche
Reich mächtig und glücklich nach außen hin dasteht, hat dies bei der Wachsam¬
keit, welche die preußischen Behörden auf diese Bestrebungen haben, verhältnis¬
mäßig wenig zu bedeuten. Aber man darf, die Erfahrung hat es gelehrt, solche
Bestrebungen nie unterschätzen, sie können in unglücklichen Zeitläuften leicht zu
großer Mächtigkeit anschwellen. Und der Umstand, daß die polnische und
mährische Bevölkerung im Verhältnis zur deutschen, wie sichere Ermittelungen
ergeben haben, in den letzten Jahrzehnten wesentlich an Zahl zugenommen hat,
giebt doch zu denken und läßt das Bestreben der Staatsregierung, dieser auf¬
fallenden Erscheinung entgegenzutreten, gerechtfertigt erscheinen. Zum Teil mag
die Vermehrung der polnischen und mährischen Bevölkerung durch Einwanderung
erfolgt sein, daher erklären sich die Answeisungsmaßrcgeln, die leider jetzt für


Gberschlesien und seine Germanisirung.
(Schluß.)

und in Oberschlesien ist, wie schon erwähnt, die Bevölkerung un¬
zweifelhaft lvhal und Pcitriotisch gesinnt. Freilich muß man bei
diesem Urteil von dein Ergebnis der Wahlen absehen, wo der
Oberschlesier in seiner Mehrheit trotz seiner Loyalität der Geist¬
lichkeit blindlings folgt. Aber wenn auch der Oberschlesier polnisch
spricht, so will er doch kein Pole sein, und das Wort Polack gilt ihm sogar
als Schimpfwort. Es ist in dieser Beziehung trotz der Gleichheit der Sprache
zwischen ihm und dem Bewohner der benachbarten Provinz Posen ein wesent¬
licher Unterschied vorhanden, denn der Posener huldigt immer noch großpolnischen
Ideen, und der Gedanke, daß einst das ehemalige Königreich Polen in alter
Macht und Herrlichkeit wieder erstehen könnte, ist dort, von Geistlichkeit, Adel
und Presse genährt, immer noch nicht ganz geschwunden. Es ist dies ein wesent¬
liches Hindernis, das sich der Befestigung der dortigen Verhältnisse und dem
Einleben der polnischen Bevölkerung in den Organismus des auf rein deutscher
Grundlage beruhenden preußischen Staates entgegenstellt. Hiervon ist in Ober¬
schlesien nicht die Rede. Immerhin hat aber der Umstand, daß die polnische
Sprache, so verderbt sie auch durch Germanismen und durch dialektische Eigen¬
tümlichkeiten ist, noch die Umgangssprache bildet, sein Bedenkliches. Da das
Land im Norden, Osten und Südosten von rein polnischen Landesteilen um¬
geben ist, im Süden an Mähren grenzt, wo die Wogen der panslawistischen
Bewegung hochgehen, so hat es nicht an Bestrebungen gefehlt, auch die pol¬
nische und mährische Bevölkerung Oberschlesiens für die panslawistischen und die
großpolnischen und mährischen Bestrebungen zu gewinnen. So lange das deutsche
Reich mächtig und glücklich nach außen hin dasteht, hat dies bei der Wachsam¬
keit, welche die preußischen Behörden auf diese Bestrebungen haben, verhältnis¬
mäßig wenig zu bedeuten. Aber man darf, die Erfahrung hat es gelehrt, solche
Bestrebungen nie unterschätzen, sie können in unglücklichen Zeitläuften leicht zu
großer Mächtigkeit anschwellen. Und der Umstand, daß die polnische und
mährische Bevölkerung im Verhältnis zur deutschen, wie sichere Ermittelungen
ergeben haben, in den letzten Jahrzehnten wesentlich an Zahl zugenommen hat,
giebt doch zu denken und läßt das Bestreben der Staatsregierung, dieser auf¬
fallenden Erscheinung entgegenzutreten, gerechtfertigt erscheinen. Zum Teil mag
die Vermehrung der polnischen und mährischen Bevölkerung durch Einwanderung
erfolgt sein, daher erklären sich die Answeisungsmaßrcgeln, die leider jetzt für


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[0266] Gberschlesien und seine Germanisirung. (Schluß.) und in Oberschlesien ist, wie schon erwähnt, die Bevölkerung un¬ zweifelhaft lvhal und Pcitriotisch gesinnt. Freilich muß man bei diesem Urteil von dein Ergebnis der Wahlen absehen, wo der Oberschlesier in seiner Mehrheit trotz seiner Loyalität der Geist¬ lichkeit blindlings folgt. Aber wenn auch der Oberschlesier polnisch spricht, so will er doch kein Pole sein, und das Wort Polack gilt ihm sogar als Schimpfwort. Es ist in dieser Beziehung trotz der Gleichheit der Sprache zwischen ihm und dem Bewohner der benachbarten Provinz Posen ein wesent¬ licher Unterschied vorhanden, denn der Posener huldigt immer noch großpolnischen Ideen, und der Gedanke, daß einst das ehemalige Königreich Polen in alter Macht und Herrlichkeit wieder erstehen könnte, ist dort, von Geistlichkeit, Adel und Presse genährt, immer noch nicht ganz geschwunden. Es ist dies ein wesent¬ liches Hindernis, das sich der Befestigung der dortigen Verhältnisse und dem Einleben der polnischen Bevölkerung in den Organismus des auf rein deutscher Grundlage beruhenden preußischen Staates entgegenstellt. Hiervon ist in Ober¬ schlesien nicht die Rede. Immerhin hat aber der Umstand, daß die polnische Sprache, so verderbt sie auch durch Germanismen und durch dialektische Eigen¬ tümlichkeiten ist, noch die Umgangssprache bildet, sein Bedenkliches. Da das Land im Norden, Osten und Südosten von rein polnischen Landesteilen um¬ geben ist, im Süden an Mähren grenzt, wo die Wogen der panslawistischen Bewegung hochgehen, so hat es nicht an Bestrebungen gefehlt, auch die pol¬ nische und mährische Bevölkerung Oberschlesiens für die panslawistischen und die großpolnischen und mährischen Bestrebungen zu gewinnen. So lange das deutsche Reich mächtig und glücklich nach außen hin dasteht, hat dies bei der Wachsam¬ keit, welche die preußischen Behörden auf diese Bestrebungen haben, verhältnis¬ mäßig wenig zu bedeuten. Aber man darf, die Erfahrung hat es gelehrt, solche Bestrebungen nie unterschätzen, sie können in unglücklichen Zeitläuften leicht zu großer Mächtigkeit anschwellen. Und der Umstand, daß die polnische und mährische Bevölkerung im Verhältnis zur deutschen, wie sichere Ermittelungen ergeben haben, in den letzten Jahrzehnten wesentlich an Zahl zugenommen hat, giebt doch zu denken und läßt das Bestreben der Staatsregierung, dieser auf¬ fallenden Erscheinung entgegenzutreten, gerechtfertigt erscheinen. Zum Teil mag die Vermehrung der polnischen und mährischen Bevölkerung durch Einwanderung erfolgt sein, daher erklären sich die Answeisungsmaßrcgeln, die leider jetzt für

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/266>, abgerufen am 29.04.2024.