Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Wucher auf dem Lande.

Jahren werden dies freilich die Kassen, wenn sie auch gut eingerichtet sind,
nicht leisten können, ohne daß ein besondrer Verein gegen den Wucher im Be¬
zirke ihnen zu Hilfe kommt, der durch Vertrauensmänner überall gegenwärtig
ist und kundige Juristen unter seinen Mitgliedern zählt. Denn es ist wahr
(S. 145), daß "zur Besserung der Zustände niemand mehr beitragen kann als
die Notarien, deren größere Zahl gegenwärtig das Wucherwesen als ein not¬
wendiges Übel ansieht und den Dingen ihren Lauf läßt." Es ist darum be¬
sonders ehrenwert und erfreulich, daß Notarien sich nicht selten als Mitglieder
von Vereinen gegen den Wucher lebhaft beteiligen. Diese Vereine, die schon
glückliche praktische Erfolge errungen haben und mehr und mehr um sich greifen,
haben sich nicht bloß um die Gründung und richtigere Gestaltung von Dar-
lehns- und Sparkassen bemüht, sie haben auch gegen die so beliebte Ver¬
dunkelung des Schuldenverhältnisses durch den Wucherer auf "Abrechnung"
geklagt, sie haben den "Weinkauf" fast ganz beseitigt, chikcmöse Viehprozesse
für die Bauern geführt und dem schwerbedrückten kleinen Manne wieder das
Gefühl erweckt, daß er nicht ohne Hilfe dastehe im Kampfe mit dem über¬
mächtigen Handelsmanne. Wer das nicht für ein schönes Ziel anerkennt, mit
dem können wir nicht verhandeln. Wir stimmen völlig dem bei, was der Ver¬
fasser des achten Aufsatzes (S. 149) am Schlüsse seiner trefflichen Arbeit sagt:
"Die Gelegenheit von der Befreiung der Einzelwillkür ist tief ersehnt und wird
(von dem Kleinbesitz) dankenden Herzens benutzt werden. Es wird sich zeigen,
daß der Kleinbesitz, welcher das festeste Bollwerk darstellt gegen den Umsturz,
auch wirtschaftlich volle Lebensberechtigung in Anspruch nehmen darf. Mit
einer für viele erstaunlichen Schnelligkeit wird namentlich die wirtschaftliche
Reife sich entwickeln und aus dem abzehrenden Zwergwirte ein gesunder Klein¬
bauer hervorgehen als des Staates feste und kräftige Stütze." Es sind
prophetisch gehaltene Worte, aber sie beruhen auf festem Grunde, sie stammen
von dem Abgeordneten Landrat Knebel in Beckingen a. d. S., dem Leiter des
Vereins gegen den Wucher im Saargebiet, eines Vereins, der bereits für viele
ähnliche das Vorbild geworden ist, weil er eine Thatsache ist, deren heilsame
Natur sich jedermann aufdrängt.

Wir scheiden hiermit von dem Sammelwerke, aus dem wir geschöpft haben,
mit Dank gegen den Verein, der es veranstaltet hat, und gegen die Männer,
die das Material zusammengebracht haben. Mögen die Thatsachen, die es
darlegt, immerhin zunächst schmerzlich sein: schon Baco erkannte, daß das Bessere
leichter aus der klar gewordenen Verkehrtheit, als ans der Konfusion hervorgehe.




Grenzboten III. 1337.33
Der Wucher auf dem Lande.

Jahren werden dies freilich die Kassen, wenn sie auch gut eingerichtet sind,
nicht leisten können, ohne daß ein besondrer Verein gegen den Wucher im Be¬
zirke ihnen zu Hilfe kommt, der durch Vertrauensmänner überall gegenwärtig
ist und kundige Juristen unter seinen Mitgliedern zählt. Denn es ist wahr
(S. 145), daß „zur Besserung der Zustände niemand mehr beitragen kann als
die Notarien, deren größere Zahl gegenwärtig das Wucherwesen als ein not¬
wendiges Übel ansieht und den Dingen ihren Lauf läßt." Es ist darum be¬
sonders ehrenwert und erfreulich, daß Notarien sich nicht selten als Mitglieder
von Vereinen gegen den Wucher lebhaft beteiligen. Diese Vereine, die schon
glückliche praktische Erfolge errungen haben und mehr und mehr um sich greifen,
haben sich nicht bloß um die Gründung und richtigere Gestaltung von Dar-
lehns- und Sparkassen bemüht, sie haben auch gegen die so beliebte Ver¬
dunkelung des Schuldenverhältnisses durch den Wucherer auf „Abrechnung"
geklagt, sie haben den „Weinkauf" fast ganz beseitigt, chikcmöse Viehprozesse
für die Bauern geführt und dem schwerbedrückten kleinen Manne wieder das
Gefühl erweckt, daß er nicht ohne Hilfe dastehe im Kampfe mit dem über¬
mächtigen Handelsmanne. Wer das nicht für ein schönes Ziel anerkennt, mit
dem können wir nicht verhandeln. Wir stimmen völlig dem bei, was der Ver¬
fasser des achten Aufsatzes (S. 149) am Schlüsse seiner trefflichen Arbeit sagt:
„Die Gelegenheit von der Befreiung der Einzelwillkür ist tief ersehnt und wird
(von dem Kleinbesitz) dankenden Herzens benutzt werden. Es wird sich zeigen,
daß der Kleinbesitz, welcher das festeste Bollwerk darstellt gegen den Umsturz,
auch wirtschaftlich volle Lebensberechtigung in Anspruch nehmen darf. Mit
einer für viele erstaunlichen Schnelligkeit wird namentlich die wirtschaftliche
Reife sich entwickeln und aus dem abzehrenden Zwergwirte ein gesunder Klein¬
bauer hervorgehen als des Staates feste und kräftige Stütze." Es sind
prophetisch gehaltene Worte, aber sie beruhen auf festem Grunde, sie stammen
von dem Abgeordneten Landrat Knebel in Beckingen a. d. S., dem Leiter des
Vereins gegen den Wucher im Saargebiet, eines Vereins, der bereits für viele
ähnliche das Vorbild geworden ist, weil er eine Thatsache ist, deren heilsame
Natur sich jedermann aufdrängt.

Wir scheiden hiermit von dem Sammelwerke, aus dem wir geschöpft haben,
mit Dank gegen den Verein, der es veranstaltet hat, und gegen die Männer,
die das Material zusammengebracht haben. Mögen die Thatsachen, die es
darlegt, immerhin zunächst schmerzlich sein: schon Baco erkannte, daß das Bessere
leichter aus der klar gewordenen Verkehrtheit, als ans der Konfusion hervorgehe.




Grenzboten III. 1337.33
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0265" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/201044"/>
          <fw type="header" place="top"> Der Wucher auf dem Lande.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_783" prev="#ID_782"> Jahren werden dies freilich die Kassen, wenn sie auch gut eingerichtet sind,<lb/>
nicht leisten können, ohne daß ein besondrer Verein gegen den Wucher im Be¬<lb/>
zirke ihnen zu Hilfe kommt, der durch Vertrauensmänner überall gegenwärtig<lb/>
ist und kundige Juristen unter seinen Mitgliedern zählt. Denn es ist wahr<lb/>
(S. 145), daß &#x201E;zur Besserung der Zustände niemand mehr beitragen kann als<lb/>
die Notarien, deren größere Zahl gegenwärtig das Wucherwesen als ein not¬<lb/>
wendiges Übel ansieht und den Dingen ihren Lauf läßt." Es ist darum be¬<lb/>
sonders ehrenwert und erfreulich, daß Notarien sich nicht selten als Mitglieder<lb/>
von Vereinen gegen den Wucher lebhaft beteiligen. Diese Vereine, die schon<lb/>
glückliche praktische Erfolge errungen haben und mehr und mehr um sich greifen,<lb/>
haben sich nicht bloß um die Gründung und richtigere Gestaltung von Dar-<lb/>
lehns- und Sparkassen bemüht, sie haben auch gegen die so beliebte Ver¬<lb/>
dunkelung des Schuldenverhältnisses durch den Wucherer auf &#x201E;Abrechnung"<lb/>
geklagt, sie haben den &#x201E;Weinkauf" fast ganz beseitigt, chikcmöse Viehprozesse<lb/>
für die Bauern geführt und dem schwerbedrückten kleinen Manne wieder das<lb/>
Gefühl erweckt, daß er nicht ohne Hilfe dastehe im Kampfe mit dem über¬<lb/>
mächtigen Handelsmanne. Wer das nicht für ein schönes Ziel anerkennt, mit<lb/>
dem können wir nicht verhandeln. Wir stimmen völlig dem bei, was der Ver¬<lb/>
fasser des achten Aufsatzes (S. 149) am Schlüsse seiner trefflichen Arbeit sagt:<lb/>
&#x201E;Die Gelegenheit von der Befreiung der Einzelwillkür ist tief ersehnt und wird<lb/>
(von dem Kleinbesitz) dankenden Herzens benutzt werden. Es wird sich zeigen,<lb/>
daß der Kleinbesitz, welcher das festeste Bollwerk darstellt gegen den Umsturz,<lb/>
auch wirtschaftlich volle Lebensberechtigung in Anspruch nehmen darf. Mit<lb/>
einer für viele erstaunlichen Schnelligkeit wird namentlich die wirtschaftliche<lb/>
Reife sich entwickeln und aus dem abzehrenden Zwergwirte ein gesunder Klein¬<lb/>
bauer hervorgehen als des Staates feste und kräftige Stütze." Es sind<lb/>
prophetisch gehaltene Worte, aber sie beruhen auf festem Grunde, sie stammen<lb/>
von dem Abgeordneten Landrat Knebel in Beckingen a. d. S., dem Leiter des<lb/>
Vereins gegen den Wucher im Saargebiet, eines Vereins, der bereits für viele<lb/>
ähnliche das Vorbild geworden ist, weil er eine Thatsache ist, deren heilsame<lb/>
Natur sich jedermann aufdrängt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_784"> Wir scheiden hiermit von dem Sammelwerke, aus dem wir geschöpft haben,<lb/>
mit Dank gegen den Verein, der es veranstaltet hat, und gegen die Männer,<lb/>
die das Material zusammengebracht haben. Mögen die Thatsachen, die es<lb/>
darlegt, immerhin zunächst schmerzlich sein: schon Baco erkannte, daß das Bessere<lb/>
leichter aus der klar gewordenen Verkehrtheit, als ans der Konfusion hervorgehe.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten III. 1337.33</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0265] Der Wucher auf dem Lande. Jahren werden dies freilich die Kassen, wenn sie auch gut eingerichtet sind, nicht leisten können, ohne daß ein besondrer Verein gegen den Wucher im Be¬ zirke ihnen zu Hilfe kommt, der durch Vertrauensmänner überall gegenwärtig ist und kundige Juristen unter seinen Mitgliedern zählt. Denn es ist wahr (S. 145), daß „zur Besserung der Zustände niemand mehr beitragen kann als die Notarien, deren größere Zahl gegenwärtig das Wucherwesen als ein not¬ wendiges Übel ansieht und den Dingen ihren Lauf läßt." Es ist darum be¬ sonders ehrenwert und erfreulich, daß Notarien sich nicht selten als Mitglieder von Vereinen gegen den Wucher lebhaft beteiligen. Diese Vereine, die schon glückliche praktische Erfolge errungen haben und mehr und mehr um sich greifen, haben sich nicht bloß um die Gründung und richtigere Gestaltung von Dar- lehns- und Sparkassen bemüht, sie haben auch gegen die so beliebte Ver¬ dunkelung des Schuldenverhältnisses durch den Wucherer auf „Abrechnung" geklagt, sie haben den „Weinkauf" fast ganz beseitigt, chikcmöse Viehprozesse für die Bauern geführt und dem schwerbedrückten kleinen Manne wieder das Gefühl erweckt, daß er nicht ohne Hilfe dastehe im Kampfe mit dem über¬ mächtigen Handelsmanne. Wer das nicht für ein schönes Ziel anerkennt, mit dem können wir nicht verhandeln. Wir stimmen völlig dem bei, was der Ver¬ fasser des achten Aufsatzes (S. 149) am Schlüsse seiner trefflichen Arbeit sagt: „Die Gelegenheit von der Befreiung der Einzelwillkür ist tief ersehnt und wird (von dem Kleinbesitz) dankenden Herzens benutzt werden. Es wird sich zeigen, daß der Kleinbesitz, welcher das festeste Bollwerk darstellt gegen den Umsturz, auch wirtschaftlich volle Lebensberechtigung in Anspruch nehmen darf. Mit einer für viele erstaunlichen Schnelligkeit wird namentlich die wirtschaftliche Reife sich entwickeln und aus dem abzehrenden Zwergwirte ein gesunder Klein¬ bauer hervorgehen als des Staates feste und kräftige Stütze." Es sind prophetisch gehaltene Worte, aber sie beruhen auf festem Grunde, sie stammen von dem Abgeordneten Landrat Knebel in Beckingen a. d. S., dem Leiter des Vereins gegen den Wucher im Saargebiet, eines Vereins, der bereits für viele ähnliche das Vorbild geworden ist, weil er eine Thatsache ist, deren heilsame Natur sich jedermann aufdrängt. Wir scheiden hiermit von dem Sammelwerke, aus dem wir geschöpft haben, mit Dank gegen den Verein, der es veranstaltet hat, und gegen die Männer, die das Material zusammengebracht haben. Mögen die Thatsachen, die es darlegt, immerhin zunächst schmerzlich sein: schon Baco erkannte, daß das Bessere leichter aus der klar gewordenen Verkehrtheit, als ans der Konfusion hervorgehe. Grenzboten III. 1337.33

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/265
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/265>, abgerufen am 14.05.2024.