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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Goethes Briefe aus Italien.

hinzugeben. Der zweite Teil des Faust ist voll von Anspielungen auf Werke
der alten italienischen Kunst.




3.

Alles Studium der Natur und Kunst kommt, wie er es geahnt hatte,
wieder dem Dichter zu Gute. Schon bei der rhythmischen Durchbildung der
Iphigenie benutzt er Bilder und Büsten, um sich ihr Bild lebendiger aus¬
zugestalten. Im Tasso, dem Mittelpunkte seiner poetischen Thätigkeit in Italien,
schießt Leidenschaft, Poesie, Kunst und italienische Natur wie in einem Brenn¬
punkte zusammen. Über die Entstehung dieses Werkes erhalten wir durch die
Briefe aus Italien neue Belehrung. Im Oktober 1780, also zu einer Zeit,
in der das Verhältnis zur Stein noch nicht seinen späteren heftigen Charakter
angenommen hatte, war der Plan zu dem Stücke entstanden. Zwei Alte wurden
ausgeführt. Sie waren wie die erste Iphigenie in einer Art rhythmischer Prosa
abgefaßt. Von einer Nachricht in Mansos alter Biographie des Tasso aus¬
gehend, die ihm durch Heinses Übersetzung in der Iris wieder vor Augen ge¬
kommen war, sollte es schildern, wie Tassos verborgene Liebe zu einer Dame
des Hofes von einem ferraresischcn Edelmanne, der sich in sein Vertrauen ein-
zuschleichen gewußt hatte, verraten wird. Tasso stellt ihn zur Rede, schlägt ihn
ins Gesicht und muß nach einem Zweikampfe, in welchem der Verräter fällt,
aus Ferrarci fliehen, eine Begebenheit, die zum Ursprung seiner späteren Leiden
wurde. Ein persönliches Erlebnis mag Goethen auf diesen Stoff geführt haben.
Er hatte einen Genossen der Geniezeit, der den Stil seiner Jugenddichtungen
mit viel Geschick nachzuahmen versucht hatte, Reinhold Lenz, in Weimar auf¬
genommen. In diesem hatte sich ein geheimer Haß gegen Goethe entwickelt.
Er konnte die immer wachsende Größe seines Vorbildes nicht ertragen. Er war
Goethes erster wirklicher Feind aus Neid. Es war ein Verhältnis gleich dem
zwischen Vandinelli und Michelangelo. Wie Bandinelli glaubte, wenn er nur
des Michelangelo Marmorblöcke habe, könne er des Michelangelo Dinge machen,
so suchte sich Leuz in kindischer Weise des Materials zu versichern, an dem
sich Goethes Empfindungen bildeten. Er suchte sich die Neigung der Frauen
zuzuwenden, die Goethe liebten. Dann wollte er alles machen, was Goethe
machte, nur besser, um zu zeigen, wie es hätte geschehen sollen. Erst hatte er
bei Friederiken Goethes Vertrauen mißbraucht, nun in Weimar drängte er sich
an die Stein und beging eine jener ihm eigentümlichen, halb läppischen, halb
verschmitzten Indiskretionen, von denen seine Komödien und schamlosen, aus dein
Nachlasse veröffentlichten Fragmente genug Beispiele geben.

Nur kurze Zeit arbeitete Goethe am Tasso. Das Abenteuer mit Lenz
mag für ihn bald alle Bedeutung und damit auch der Stoff seine Anziehungs¬
kraft verloren haben. Das Fragment nahm er nach Rom mit, um es gelegentlich
für die neue Ausgabe seiner Werke zu überarbeiten.


Goethes Briefe aus Italien.

hinzugeben. Der zweite Teil des Faust ist voll von Anspielungen auf Werke
der alten italienischen Kunst.




3.

Alles Studium der Natur und Kunst kommt, wie er es geahnt hatte,
wieder dem Dichter zu Gute. Schon bei der rhythmischen Durchbildung der
Iphigenie benutzt er Bilder und Büsten, um sich ihr Bild lebendiger aus¬
zugestalten. Im Tasso, dem Mittelpunkte seiner poetischen Thätigkeit in Italien,
schießt Leidenschaft, Poesie, Kunst und italienische Natur wie in einem Brenn¬
punkte zusammen. Über die Entstehung dieses Werkes erhalten wir durch die
Briefe aus Italien neue Belehrung. Im Oktober 1780, also zu einer Zeit,
in der das Verhältnis zur Stein noch nicht seinen späteren heftigen Charakter
angenommen hatte, war der Plan zu dem Stücke entstanden. Zwei Alte wurden
ausgeführt. Sie waren wie die erste Iphigenie in einer Art rhythmischer Prosa
abgefaßt. Von einer Nachricht in Mansos alter Biographie des Tasso aus¬
gehend, die ihm durch Heinses Übersetzung in der Iris wieder vor Augen ge¬
kommen war, sollte es schildern, wie Tassos verborgene Liebe zu einer Dame
des Hofes von einem ferraresischcn Edelmanne, der sich in sein Vertrauen ein-
zuschleichen gewußt hatte, verraten wird. Tasso stellt ihn zur Rede, schlägt ihn
ins Gesicht und muß nach einem Zweikampfe, in welchem der Verräter fällt,
aus Ferrarci fliehen, eine Begebenheit, die zum Ursprung seiner späteren Leiden
wurde. Ein persönliches Erlebnis mag Goethen auf diesen Stoff geführt haben.
Er hatte einen Genossen der Geniezeit, der den Stil seiner Jugenddichtungen
mit viel Geschick nachzuahmen versucht hatte, Reinhold Lenz, in Weimar auf¬
genommen. In diesem hatte sich ein geheimer Haß gegen Goethe entwickelt.
Er konnte die immer wachsende Größe seines Vorbildes nicht ertragen. Er war
Goethes erster wirklicher Feind aus Neid. Es war ein Verhältnis gleich dem
zwischen Vandinelli und Michelangelo. Wie Bandinelli glaubte, wenn er nur
des Michelangelo Marmorblöcke habe, könne er des Michelangelo Dinge machen,
so suchte sich Leuz in kindischer Weise des Materials zu versichern, an dem
sich Goethes Empfindungen bildeten. Er suchte sich die Neigung der Frauen
zuzuwenden, die Goethe liebten. Dann wollte er alles machen, was Goethe
machte, nur besser, um zu zeigen, wie es hätte geschehen sollen. Erst hatte er
bei Friederiken Goethes Vertrauen mißbraucht, nun in Weimar drängte er sich
an die Stein und beging eine jener ihm eigentümlichen, halb läppischen, halb
verschmitzten Indiskretionen, von denen seine Komödien und schamlosen, aus dein
Nachlasse veröffentlichten Fragmente genug Beispiele geben.

Nur kurze Zeit arbeitete Goethe am Tasso. Das Abenteuer mit Lenz
mag für ihn bald alle Bedeutung und damit auch der Stoff seine Anziehungs¬
kraft verloren haben. Das Fragment nahm er nach Rom mit, um es gelegentlich
für die neue Ausgabe seiner Werke zu überarbeiten.


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[0342] Goethes Briefe aus Italien. hinzugeben. Der zweite Teil des Faust ist voll von Anspielungen auf Werke der alten italienischen Kunst. 3. Alles Studium der Natur und Kunst kommt, wie er es geahnt hatte, wieder dem Dichter zu Gute. Schon bei der rhythmischen Durchbildung der Iphigenie benutzt er Bilder und Büsten, um sich ihr Bild lebendiger aus¬ zugestalten. Im Tasso, dem Mittelpunkte seiner poetischen Thätigkeit in Italien, schießt Leidenschaft, Poesie, Kunst und italienische Natur wie in einem Brenn¬ punkte zusammen. Über die Entstehung dieses Werkes erhalten wir durch die Briefe aus Italien neue Belehrung. Im Oktober 1780, also zu einer Zeit, in der das Verhältnis zur Stein noch nicht seinen späteren heftigen Charakter angenommen hatte, war der Plan zu dem Stücke entstanden. Zwei Alte wurden ausgeführt. Sie waren wie die erste Iphigenie in einer Art rhythmischer Prosa abgefaßt. Von einer Nachricht in Mansos alter Biographie des Tasso aus¬ gehend, die ihm durch Heinses Übersetzung in der Iris wieder vor Augen ge¬ kommen war, sollte es schildern, wie Tassos verborgene Liebe zu einer Dame des Hofes von einem ferraresischcn Edelmanne, der sich in sein Vertrauen ein- zuschleichen gewußt hatte, verraten wird. Tasso stellt ihn zur Rede, schlägt ihn ins Gesicht und muß nach einem Zweikampfe, in welchem der Verräter fällt, aus Ferrarci fliehen, eine Begebenheit, die zum Ursprung seiner späteren Leiden wurde. Ein persönliches Erlebnis mag Goethen auf diesen Stoff geführt haben. Er hatte einen Genossen der Geniezeit, der den Stil seiner Jugenddichtungen mit viel Geschick nachzuahmen versucht hatte, Reinhold Lenz, in Weimar auf¬ genommen. In diesem hatte sich ein geheimer Haß gegen Goethe entwickelt. Er konnte die immer wachsende Größe seines Vorbildes nicht ertragen. Er war Goethes erster wirklicher Feind aus Neid. Es war ein Verhältnis gleich dem zwischen Vandinelli und Michelangelo. Wie Bandinelli glaubte, wenn er nur des Michelangelo Marmorblöcke habe, könne er des Michelangelo Dinge machen, so suchte sich Leuz in kindischer Weise des Materials zu versichern, an dem sich Goethes Empfindungen bildeten. Er suchte sich die Neigung der Frauen zuzuwenden, die Goethe liebten. Dann wollte er alles machen, was Goethe machte, nur besser, um zu zeigen, wie es hätte geschehen sollen. Erst hatte er bei Friederiken Goethes Vertrauen mißbraucht, nun in Weimar drängte er sich an die Stein und beging eine jener ihm eigentümlichen, halb läppischen, halb verschmitzten Indiskretionen, von denen seine Komödien und schamlosen, aus dein Nachlasse veröffentlichten Fragmente genug Beispiele geben. Nur kurze Zeit arbeitete Goethe am Tasso. Das Abenteuer mit Lenz mag für ihn bald alle Bedeutung und damit auch der Stoff seine Anziehungs¬ kraft verloren haben. Das Fragment nahm er nach Rom mit, um es gelegentlich für die neue Ausgabe seiner Werke zu überarbeiten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/342>, abgerufen am 28.04.2024.