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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Kleine und große Schulplagen.

eder die Verechtigungsfrage noch der Streit zwischen realistischer
und humanistischer Bildung, weder die sogenannte Überbürdung
noch andre hygieinische Fragen drücken mir die Feder in die
Hand. Einem Vater von drei Kindern, deren ältestes erst acht
Jahre zählt, liegen kleinere Sorgen näher am Herzen. Auch
denke ich heute weniger an das, was die Kinder, als an das, was die Eltern
zu den Schulplagen rechnen.

Jeder Lehrer ist ein Autokrat auf seinem kleinen Gebiete, und er soll es
sein. Sein Machtwort verlangt unbedingten Gehorsam. Wo bliebe auch die
Disziplin, wenn die Schule nicht von der Herrschaft dieses unbeschränkten Re¬
giments durchdrungen wäre! Verständige Eltern werden denn auch stets dafür
sorgen, daß der Lehrer diese volle Autorität in den Augen der Kinder behält,
sollte dafür auch gelegentlich das Opfer der eignen Einsicht gebracht werden
müssen. Der Glaube der Kinder an die Unfehlbarkeit der Eltern wird auf dem
Altar der Schule niedergelegt, der Lehrer tritt für einige Zeit die Erbschaft an.

Wie es Scilvatore Farina vor einiger Zeit in der Deutschen Rundschau
höchst ergötzlich schilderte, so geht es auch uns: "Lieber Vater, heißt es Ab¬
wechselung oder Abwechslung?" "Abwechselung, mein Junge." "Aber Herr
Richter sagte heute, es hieße Abwechslung." "Dann schreibe nur so, wie Herr
Richter sagt." Oder: "Vater, wie schreibt man denn Einsame?" "Mit einem
al, mein Junge," antworte ich, noch stolz auf dieses seltene al, das ich so
oft auf dem Schilde unsers Aichmeisters hatte prangen sehen, und an dessen
Richtigkeit zu zweifeln ich für eine Beleidigung meiner Erzieher gehalten haben
würde. Mittags kommt mein Otto nach Hause und zeigt mir sein Schreibheft.
Er hatte geschrieben: Der Aichmeister aicht auf dem Aichamte die Gewichte.
"Herr Richter sagt, das würde alles mit el geschrieben, so habe ich in diesem
Satze drei Fehler und bin einen heruntergekommen." Entrüstet rufe ich aus:
"Ach, Herr Richter ist wohl nicht ganz . . .," verschlucke aber noch rechtzeitig
den unpädagogischen Schluß. Ich stürze mich auf den kleinen Puttkamer in
der Überzeugung, daß er mir Recht geben werde; aber ich erbleiche, denn nach
der neuen Orthographie wird eichen wahrhaftig mit el geschrieben. Duden be¬
stätigt meine Schande, und Wilmanns beweist mir umständlich und haarklein,
warum ich entschieden im Unrecht war. Wie konnte ich anch Herrn Richters Kor¬
rektur einen Augenblick beanstanden! Kleinmütig kehre ich zu meinem Söhnchen
zurück: "Wir alten Leute (ich mache mich zum Greise, um meines Kindes


Kleine und große Schulplagen.

eder die Verechtigungsfrage noch der Streit zwischen realistischer
und humanistischer Bildung, weder die sogenannte Überbürdung
noch andre hygieinische Fragen drücken mir die Feder in die
Hand. Einem Vater von drei Kindern, deren ältestes erst acht
Jahre zählt, liegen kleinere Sorgen näher am Herzen. Auch
denke ich heute weniger an das, was die Kinder, als an das, was die Eltern
zu den Schulplagen rechnen.

Jeder Lehrer ist ein Autokrat auf seinem kleinen Gebiete, und er soll es
sein. Sein Machtwort verlangt unbedingten Gehorsam. Wo bliebe auch die
Disziplin, wenn die Schule nicht von der Herrschaft dieses unbeschränkten Re¬
giments durchdrungen wäre! Verständige Eltern werden denn auch stets dafür
sorgen, daß der Lehrer diese volle Autorität in den Augen der Kinder behält,
sollte dafür auch gelegentlich das Opfer der eignen Einsicht gebracht werden
müssen. Der Glaube der Kinder an die Unfehlbarkeit der Eltern wird auf dem
Altar der Schule niedergelegt, der Lehrer tritt für einige Zeit die Erbschaft an.

Wie es Scilvatore Farina vor einiger Zeit in der Deutschen Rundschau
höchst ergötzlich schilderte, so geht es auch uns: „Lieber Vater, heißt es Ab¬
wechselung oder Abwechslung?" „Abwechselung, mein Junge." „Aber Herr
Richter sagte heute, es hieße Abwechslung." „Dann schreibe nur so, wie Herr
Richter sagt." Oder: „Vater, wie schreibt man denn Einsame?" „Mit einem
al, mein Junge," antworte ich, noch stolz auf dieses seltene al, das ich so
oft auf dem Schilde unsers Aichmeisters hatte prangen sehen, und an dessen
Richtigkeit zu zweifeln ich für eine Beleidigung meiner Erzieher gehalten haben
würde. Mittags kommt mein Otto nach Hause und zeigt mir sein Schreibheft.
Er hatte geschrieben: Der Aichmeister aicht auf dem Aichamte die Gewichte.
„Herr Richter sagt, das würde alles mit el geschrieben, so habe ich in diesem
Satze drei Fehler und bin einen heruntergekommen." Entrüstet rufe ich aus:
„Ach, Herr Richter ist wohl nicht ganz . . .," verschlucke aber noch rechtzeitig
den unpädagogischen Schluß. Ich stürze mich auf den kleinen Puttkamer in
der Überzeugung, daß er mir Recht geben werde; aber ich erbleiche, denn nach
der neuen Orthographie wird eichen wahrhaftig mit el geschrieben. Duden be¬
stätigt meine Schande, und Wilmanns beweist mir umständlich und haarklein,
warum ich entschieden im Unrecht war. Wie konnte ich anch Herrn Richters Kor¬
rektur einen Augenblick beanstanden! Kleinmütig kehre ich zu meinem Söhnchen
zurück: „Wir alten Leute (ich mache mich zum Greise, um meines Kindes


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[0374] Kleine und große Schulplagen. eder die Verechtigungsfrage noch der Streit zwischen realistischer und humanistischer Bildung, weder die sogenannte Überbürdung noch andre hygieinische Fragen drücken mir die Feder in die Hand. Einem Vater von drei Kindern, deren ältestes erst acht Jahre zählt, liegen kleinere Sorgen näher am Herzen. Auch denke ich heute weniger an das, was die Kinder, als an das, was die Eltern zu den Schulplagen rechnen. Jeder Lehrer ist ein Autokrat auf seinem kleinen Gebiete, und er soll es sein. Sein Machtwort verlangt unbedingten Gehorsam. Wo bliebe auch die Disziplin, wenn die Schule nicht von der Herrschaft dieses unbeschränkten Re¬ giments durchdrungen wäre! Verständige Eltern werden denn auch stets dafür sorgen, daß der Lehrer diese volle Autorität in den Augen der Kinder behält, sollte dafür auch gelegentlich das Opfer der eignen Einsicht gebracht werden müssen. Der Glaube der Kinder an die Unfehlbarkeit der Eltern wird auf dem Altar der Schule niedergelegt, der Lehrer tritt für einige Zeit die Erbschaft an. Wie es Scilvatore Farina vor einiger Zeit in der Deutschen Rundschau höchst ergötzlich schilderte, so geht es auch uns: „Lieber Vater, heißt es Ab¬ wechselung oder Abwechslung?" „Abwechselung, mein Junge." „Aber Herr Richter sagte heute, es hieße Abwechslung." „Dann schreibe nur so, wie Herr Richter sagt." Oder: „Vater, wie schreibt man denn Einsame?" „Mit einem al, mein Junge," antworte ich, noch stolz auf dieses seltene al, das ich so oft auf dem Schilde unsers Aichmeisters hatte prangen sehen, und an dessen Richtigkeit zu zweifeln ich für eine Beleidigung meiner Erzieher gehalten haben würde. Mittags kommt mein Otto nach Hause und zeigt mir sein Schreibheft. Er hatte geschrieben: Der Aichmeister aicht auf dem Aichamte die Gewichte. „Herr Richter sagt, das würde alles mit el geschrieben, so habe ich in diesem Satze drei Fehler und bin einen heruntergekommen." Entrüstet rufe ich aus: „Ach, Herr Richter ist wohl nicht ganz . . .," verschlucke aber noch rechtzeitig den unpädagogischen Schluß. Ich stürze mich auf den kleinen Puttkamer in der Überzeugung, daß er mir Recht geben werde; aber ich erbleiche, denn nach der neuen Orthographie wird eichen wahrhaftig mit el geschrieben. Duden be¬ stätigt meine Schande, und Wilmanns beweist mir umständlich und haarklein, warum ich entschieden im Unrecht war. Wie konnte ich anch Herrn Richters Kor¬ rektur einen Augenblick beanstanden! Kleinmütig kehre ich zu meinem Söhnchen zurück: „Wir alten Leute (ich mache mich zum Greise, um meines Kindes

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/374>, abgerufen am 29.04.2024.