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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Freiwillige Krankenpflege im Rriege.

Hamburg, Stettin, Flensburg, Guben und Halberstadt, Am eifrigsten wird in
Berlin gearbeitet. Die Zahl derer, welche sich bis zum 30. Juni 1887 zur
Teilnahme überhaupt gemeldet hatten, betrug 426. Von diesen wurden an¬
genommen 204, und zwar allein 108, welche in Berlin wohnhaft sind. Den
Lazaretkursus haben bis jetzt 100 Pfleger in 27 verschiedenen Krankenhäusern
durchgemacht. Am Vorbereitungskursus nehmen z. Z. in Berlin 25 Herren
und am Wiederholungskursus 36 teil.

Diese Zahlen zeigen, wie sehr alles noch in den Anfängen ist, denn was
sind 204 Pfleger bei einem Masscnkriege, wie er uns vielleicht bevorsteht? Aber
uns scheint, als sei das Unternehmen zugleich so praktisch und so ideal auf¬
gefaßt, daß es eine Zukunft haben muß. Vor kurzem hatten wir Gelegenheit,
einem Übungsabende des Vorbereitungskursus in Berlin beizuwohnen. In dem
geräumigen Saale des ersten Berliner Jünglingsvereins, Oranienstraße 105,
versammelten sich etwa fünfzig junge Leute, offenbar meist Studenten, zerteilten
sich in sechs oder acht Gruppen und begannen unter Leitung eines Assistenz¬
arztes erster Klasse vom zweiten Garderegiment zu Fuß die in ihrer Mitte
halb entkleidet sitzenden Scheinverwundeten vorschriftsmäßig zu verbinden. Hier
wurde ein gebrochenes Bein in Metallschienen gelegt und zart umwickelt, dort
ward ein Verband für eine Achselwunde hergestellt; die einen beschäftigten sich
mit Anfertigung einer Kompresse auf einem angeblich von der Kugel gestreiften
Kopfe, die andern suchten einen Leidenden richtig zu lagern. In allen Gruppen
war ein Eifer, als ob es wirklich gälte, den geduldigen, stummen Objekten das
Leben zu retten. Im Laufe des Abends erschien Generalarzt Dr. Mehlhausen
zur Inspektion und sprach von Gruppe zu Gruppe gehend mehrfach seine An¬
erkennung aus. Auch hören wir, daß der vortragende Rat im Kriegsministerium
Generalarzt v. Coler am 19. Juli einer von Direktor Wiehern veranstalteten
Prüfung beigewohnt und seiner Freude Ausdruck gegeben hat.

Was die nichtpreußischen Teile Deutschlands betrifft, so beginnt man auch
in diesen mehrfach, der Angelegenheit sein Interesse zuzuwenden. Es wäre zu
wünschen, daß dies im engsten Anschluß an die Organisation des Rauben Hauses
und mit demselben Eifer geschähe, der diese beseelt. Wir Deutschen haben
wahrlich jetzt nicht Zeit, mit Kriegsrüstungen irgend welcher Art zu zögern.
Wie die aktive Armee jeden Tag benutzt, um fertig zu sein, sobald die Trom¬
pete klingt, so muß auch die Schar der freiwilligen Hilfe lieber heute als
morgen sagen können: Wir sind bereit.




Freiwillige Krankenpflege im Rriege.

Hamburg, Stettin, Flensburg, Guben und Halberstadt, Am eifrigsten wird in
Berlin gearbeitet. Die Zahl derer, welche sich bis zum 30. Juni 1887 zur
Teilnahme überhaupt gemeldet hatten, betrug 426. Von diesen wurden an¬
genommen 204, und zwar allein 108, welche in Berlin wohnhaft sind. Den
Lazaretkursus haben bis jetzt 100 Pfleger in 27 verschiedenen Krankenhäusern
durchgemacht. Am Vorbereitungskursus nehmen z. Z. in Berlin 25 Herren
und am Wiederholungskursus 36 teil.

Diese Zahlen zeigen, wie sehr alles noch in den Anfängen ist, denn was
sind 204 Pfleger bei einem Masscnkriege, wie er uns vielleicht bevorsteht? Aber
uns scheint, als sei das Unternehmen zugleich so praktisch und so ideal auf¬
gefaßt, daß es eine Zukunft haben muß. Vor kurzem hatten wir Gelegenheit,
einem Übungsabende des Vorbereitungskursus in Berlin beizuwohnen. In dem
geräumigen Saale des ersten Berliner Jünglingsvereins, Oranienstraße 105,
versammelten sich etwa fünfzig junge Leute, offenbar meist Studenten, zerteilten
sich in sechs oder acht Gruppen und begannen unter Leitung eines Assistenz¬
arztes erster Klasse vom zweiten Garderegiment zu Fuß die in ihrer Mitte
halb entkleidet sitzenden Scheinverwundeten vorschriftsmäßig zu verbinden. Hier
wurde ein gebrochenes Bein in Metallschienen gelegt und zart umwickelt, dort
ward ein Verband für eine Achselwunde hergestellt; die einen beschäftigten sich
mit Anfertigung einer Kompresse auf einem angeblich von der Kugel gestreiften
Kopfe, die andern suchten einen Leidenden richtig zu lagern. In allen Gruppen
war ein Eifer, als ob es wirklich gälte, den geduldigen, stummen Objekten das
Leben zu retten. Im Laufe des Abends erschien Generalarzt Dr. Mehlhausen
zur Inspektion und sprach von Gruppe zu Gruppe gehend mehrfach seine An¬
erkennung aus. Auch hören wir, daß der vortragende Rat im Kriegsministerium
Generalarzt v. Coler am 19. Juli einer von Direktor Wiehern veranstalteten
Prüfung beigewohnt und seiner Freude Ausdruck gegeben hat.

Was die nichtpreußischen Teile Deutschlands betrifft, so beginnt man auch
in diesen mehrfach, der Angelegenheit sein Interesse zuzuwenden. Es wäre zu
wünschen, daß dies im engsten Anschluß an die Organisation des Rauben Hauses
und mit demselben Eifer geschähe, der diese beseelt. Wir Deutschen haben
wahrlich jetzt nicht Zeit, mit Kriegsrüstungen irgend welcher Art zu zögern.
Wie die aktive Armee jeden Tag benutzt, um fertig zu sein, sobald die Trom¬
pete klingt, so muß auch die Schar der freiwilligen Hilfe lieber heute als
morgen sagen können: Wir sind bereit.




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[0373] Freiwillige Krankenpflege im Rriege. Hamburg, Stettin, Flensburg, Guben und Halberstadt, Am eifrigsten wird in Berlin gearbeitet. Die Zahl derer, welche sich bis zum 30. Juni 1887 zur Teilnahme überhaupt gemeldet hatten, betrug 426. Von diesen wurden an¬ genommen 204, und zwar allein 108, welche in Berlin wohnhaft sind. Den Lazaretkursus haben bis jetzt 100 Pfleger in 27 verschiedenen Krankenhäusern durchgemacht. Am Vorbereitungskursus nehmen z. Z. in Berlin 25 Herren und am Wiederholungskursus 36 teil. Diese Zahlen zeigen, wie sehr alles noch in den Anfängen ist, denn was sind 204 Pfleger bei einem Masscnkriege, wie er uns vielleicht bevorsteht? Aber uns scheint, als sei das Unternehmen zugleich so praktisch und so ideal auf¬ gefaßt, daß es eine Zukunft haben muß. Vor kurzem hatten wir Gelegenheit, einem Übungsabende des Vorbereitungskursus in Berlin beizuwohnen. In dem geräumigen Saale des ersten Berliner Jünglingsvereins, Oranienstraße 105, versammelten sich etwa fünfzig junge Leute, offenbar meist Studenten, zerteilten sich in sechs oder acht Gruppen und begannen unter Leitung eines Assistenz¬ arztes erster Klasse vom zweiten Garderegiment zu Fuß die in ihrer Mitte halb entkleidet sitzenden Scheinverwundeten vorschriftsmäßig zu verbinden. Hier wurde ein gebrochenes Bein in Metallschienen gelegt und zart umwickelt, dort ward ein Verband für eine Achselwunde hergestellt; die einen beschäftigten sich mit Anfertigung einer Kompresse auf einem angeblich von der Kugel gestreiften Kopfe, die andern suchten einen Leidenden richtig zu lagern. In allen Gruppen war ein Eifer, als ob es wirklich gälte, den geduldigen, stummen Objekten das Leben zu retten. Im Laufe des Abends erschien Generalarzt Dr. Mehlhausen zur Inspektion und sprach von Gruppe zu Gruppe gehend mehrfach seine An¬ erkennung aus. Auch hören wir, daß der vortragende Rat im Kriegsministerium Generalarzt v. Coler am 19. Juli einer von Direktor Wiehern veranstalteten Prüfung beigewohnt und seiner Freude Ausdruck gegeben hat. Was die nichtpreußischen Teile Deutschlands betrifft, so beginnt man auch in diesen mehrfach, der Angelegenheit sein Interesse zuzuwenden. Es wäre zu wünschen, daß dies im engsten Anschluß an die Organisation des Rauben Hauses und mit demselben Eifer geschähe, der diese beseelt. Wir Deutschen haben wahrlich jetzt nicht Zeit, mit Kriegsrüstungen irgend welcher Art zu zögern. Wie die aktive Armee jeden Tag benutzt, um fertig zu sein, sobald die Trom¬ pete klingt, so muß auch die Schar der freiwilligen Hilfe lieber heute als morgen sagen können: Wir sind bereit.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/373>, abgerufen am 15.05.2024.