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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Zur Ästhetik des Naturalismus.

in meiner Hochachtung vor der mühevollen und segensreichen Arbeit des Lehrers
hinter niemand zurückzustehen, anderseits in der Überzeugung, daß die erwähnten
Übelstände zwar nicht die Regel bilden, aber doch recht häufigen Erfahrungen
entsprechen.

Am wenigsten möchte ich den einzelnen Lehrer für den Unverstand im
Religionsunterricht verantwortlich machen: hier walten höhere Mächte, denen
Lehrer und Eltern meistens machtlos gegenüberstehen. Wie bedenklich es
ist, durch einseitige Betonung eines religiösen Standpunktes im Schulunterricht
kleiner Kinder den überzeugten Widerspruch der Eltern herauszufordern, liegt
auf der Hand. Es ist natürlich nicht leicht, diese Klippe zu vermeiden, denn
auch hier heißt es: So viel Köpfe, so viel Sinne, und es wird unmöglich sein,
es allen recht zu machen. Der richtige Weg scheint mir in einer weisen Be¬
schränkung gegeben zu fein. Jedenfalls sollten Einseitigsten und Ausschrei¬
tungen unterbleiben, wie ich sie oben in einigen Beispielen angedeutet habe.

Jedes Staatsgesetz hat Anspruch auf unsern vollen Respekt. Wo es aber
mit zwingender Gewalt uns Lasten auferlegt, wird es nur dann seine segens¬
reiche Wirksamkeit ganz entfalten können, wenn es sich dauernd auch der Sym¬
pathie des Volkes zu erfreuen hat. Dies gilt vom Heere und -- von der
Schule.




Zur Ästhetik des Naturalismus.

s ist Vielleicht ein gutes und günstiges Zeichen, daß der Natura¬
lismus, obgleich er nach wie vor mit dem ganzen Fanatismus
eines neuen Glaubens auftritt, und zwar eines solchen, der die
Welt mit Feuer und Schwert unterwerfen und hundert alexan-
drinische Bibliotheken für eine verbrennen möchte, doch für not¬
wendig oder wenigstens ersprießlich erachtet, an die Stelle der bloßen Drohungen
und prahlerischer Znkunftsverheißungen einige Auseinnndersetznngen, ja eine Art
von Verständigung treten zu lassen. Und auch das kann als charakteristisch
gelten, daß diejenigen, welche diese Auseinandersetzungen unternehmen, den Ge¬
brauch des Wortes "naturalistisch" scheuen und von einer realistischen Ästhetik,
einer realistischen Poesie sprechen. Gemeine ist aber damit, wenigstens bei dem
ersten Schriftsteller, der, wie von vornherein zugestanden sei, mit anständiger
Polemik, in anständigem Vortrag über diese Dinge spricht, nicht das, was wir
poetischen Realismus nennen, was alle große und echte Poesie längst besessen


Zur Ästhetik des Naturalismus.

in meiner Hochachtung vor der mühevollen und segensreichen Arbeit des Lehrers
hinter niemand zurückzustehen, anderseits in der Überzeugung, daß die erwähnten
Übelstände zwar nicht die Regel bilden, aber doch recht häufigen Erfahrungen
entsprechen.

Am wenigsten möchte ich den einzelnen Lehrer für den Unverstand im
Religionsunterricht verantwortlich machen: hier walten höhere Mächte, denen
Lehrer und Eltern meistens machtlos gegenüberstehen. Wie bedenklich es
ist, durch einseitige Betonung eines religiösen Standpunktes im Schulunterricht
kleiner Kinder den überzeugten Widerspruch der Eltern herauszufordern, liegt
auf der Hand. Es ist natürlich nicht leicht, diese Klippe zu vermeiden, denn
auch hier heißt es: So viel Köpfe, so viel Sinne, und es wird unmöglich sein,
es allen recht zu machen. Der richtige Weg scheint mir in einer weisen Be¬
schränkung gegeben zu fein. Jedenfalls sollten Einseitigsten und Ausschrei¬
tungen unterbleiben, wie ich sie oben in einigen Beispielen angedeutet habe.

Jedes Staatsgesetz hat Anspruch auf unsern vollen Respekt. Wo es aber
mit zwingender Gewalt uns Lasten auferlegt, wird es nur dann seine segens¬
reiche Wirksamkeit ganz entfalten können, wenn es sich dauernd auch der Sym¬
pathie des Volkes zu erfreuen hat. Dies gilt vom Heere und — von der
Schule.




Zur Ästhetik des Naturalismus.

s ist Vielleicht ein gutes und günstiges Zeichen, daß der Natura¬
lismus, obgleich er nach wie vor mit dem ganzen Fanatismus
eines neuen Glaubens auftritt, und zwar eines solchen, der die
Welt mit Feuer und Schwert unterwerfen und hundert alexan-
drinische Bibliotheken für eine verbrennen möchte, doch für not¬
wendig oder wenigstens ersprießlich erachtet, an die Stelle der bloßen Drohungen
und prahlerischer Znkunftsverheißungen einige Auseinnndersetznngen, ja eine Art
von Verständigung treten zu lassen. Und auch das kann als charakteristisch
gelten, daß diejenigen, welche diese Auseinandersetzungen unternehmen, den Ge¬
brauch des Wortes „naturalistisch" scheuen und von einer realistischen Ästhetik,
einer realistischen Poesie sprechen. Gemeine ist aber damit, wenigstens bei dem
ersten Schriftsteller, der, wie von vornherein zugestanden sei, mit anständiger
Polemik, in anständigem Vortrag über diese Dinge spricht, nicht das, was wir
poetischen Realismus nennen, was alle große und echte Poesie längst besessen


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[0380] Zur Ästhetik des Naturalismus. in meiner Hochachtung vor der mühevollen und segensreichen Arbeit des Lehrers hinter niemand zurückzustehen, anderseits in der Überzeugung, daß die erwähnten Übelstände zwar nicht die Regel bilden, aber doch recht häufigen Erfahrungen entsprechen. Am wenigsten möchte ich den einzelnen Lehrer für den Unverstand im Religionsunterricht verantwortlich machen: hier walten höhere Mächte, denen Lehrer und Eltern meistens machtlos gegenüberstehen. Wie bedenklich es ist, durch einseitige Betonung eines religiösen Standpunktes im Schulunterricht kleiner Kinder den überzeugten Widerspruch der Eltern herauszufordern, liegt auf der Hand. Es ist natürlich nicht leicht, diese Klippe zu vermeiden, denn auch hier heißt es: So viel Köpfe, so viel Sinne, und es wird unmöglich sein, es allen recht zu machen. Der richtige Weg scheint mir in einer weisen Be¬ schränkung gegeben zu fein. Jedenfalls sollten Einseitigsten und Ausschrei¬ tungen unterbleiben, wie ich sie oben in einigen Beispielen angedeutet habe. Jedes Staatsgesetz hat Anspruch auf unsern vollen Respekt. Wo es aber mit zwingender Gewalt uns Lasten auferlegt, wird es nur dann seine segens¬ reiche Wirksamkeit ganz entfalten können, wenn es sich dauernd auch der Sym¬ pathie des Volkes zu erfreuen hat. Dies gilt vom Heere und — von der Schule. Zur Ästhetik des Naturalismus. s ist Vielleicht ein gutes und günstiges Zeichen, daß der Natura¬ lismus, obgleich er nach wie vor mit dem ganzen Fanatismus eines neuen Glaubens auftritt, und zwar eines solchen, der die Welt mit Feuer und Schwert unterwerfen und hundert alexan- drinische Bibliotheken für eine verbrennen möchte, doch für not¬ wendig oder wenigstens ersprießlich erachtet, an die Stelle der bloßen Drohungen und prahlerischer Znkunftsverheißungen einige Auseinnndersetznngen, ja eine Art von Verständigung treten zu lassen. Und auch das kann als charakteristisch gelten, daß diejenigen, welche diese Auseinandersetzungen unternehmen, den Ge¬ brauch des Wortes „naturalistisch" scheuen und von einer realistischen Ästhetik, einer realistischen Poesie sprechen. Gemeine ist aber damit, wenigstens bei dem ersten Schriftsteller, der, wie von vornherein zugestanden sei, mit anständiger Polemik, in anständigem Vortrag über diese Dinge spricht, nicht das, was wir poetischen Realismus nennen, was alle große und echte Poesie längst besessen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/380>, abgerufen am 29.04.2024.