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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Noch einmal die Tonleiter.

frage an einem Beispiel zu verdeutlichen, sei an Hermann und Dorothea er¬
innert. Hermann ist kein Spießbürger, weil er die Neigung zu Dorothea zu
fassen, zu behaupten, zum glücklichen Ende zu führen weiß. Er wäre in unsern
Augen nicht ein einfacher, sondern ein kläglicher Spießbürger, wenn er sich
ohne den leisesten Zug der eignen Natur die zweite Kaufmannstochter auf¬
reden ließe.

Doch genug von alledem, die "Prolegomena" haben uns eben wieder ge¬
zeigt, daß die realistische und die spezifisch naturalistische Anschauung von und
in der Literatur sich zunächst noch nicht begegnen können, selbst wo es einem
Vermittler so ernst um die Versöhnung ist, wie Herrn W. Bölsche nach seiner
Versicherung.




Noch einmal die Tonleiter.

eine Laiengedanken darüber in Ur. 22 d. Bl. sind in Ur. 26 zweier
Erwiderungen von Fachmusikern gewürdigt worden. Ich fühle
mich als Laie damit geehrt und habe daran gelernt. Eine dritte
Erwiderung ist leider ihres gar nicht musikalischen Tones halber
nicht zum Druck gekommen, ich weiß davon auch nur, daß da
von "Sonntagstonleiter" die Rede gewesen, also dabei das Spottregister ge¬
zogen worden ist, und möchte schon wissen, wie die musikalisch-harmonischen
Dinge in der Spottregion geklungen haben mögen.

Was ich an den beiden gedruckten Erwiderungen für mich gelernt habe,
hat vielleicht auch allgemeinen Wert, sodaß ich es wohl kurz vorbringen darf,
zugleich als Ausdruck meines Dankes. Einmal bin ich erstaunt zu sehen, wie
die Kleinigkeit, als die ich sie bei mir immer behandelt habe, bei allem beiläufigen
Ärger darüber, doch eine weiter tragende Bedeutung hat, als ich wußte, und
wie sie noch andre musikalische Grundfragen anregt, als ich Laie gesehen hatte.
Ich hatte alles Gewicht auf den Rhythmus gelegt, und daraus die musikalische
Unmöglichkeit der gewöhnlichen überlieferten einfachen Tonleiter abgeleitet, nein,
bewiesen, glaub ich, und muß leider dabei bleiben. Aber die harmonische Seite
der Frage, welche in der ersten Erwiderung so gründlich und geistvoll in den
Vordergrund gezogen wird, ist mir als Ergänzung meiner privaten Gedanken
hochwillkomner, zumal das längst in mir arbeitenden Ahnungen zur Klarheit
verhilft, wofür ich herzlich dankbar bin.

Ich habe daran nun klar gelernt, daß zu dem Tonraume, der für das
natürlichste Tongebilde, die einfache Melodie, gegeben ist als Geburth- und


Noch einmal die Tonleiter.

frage an einem Beispiel zu verdeutlichen, sei an Hermann und Dorothea er¬
innert. Hermann ist kein Spießbürger, weil er die Neigung zu Dorothea zu
fassen, zu behaupten, zum glücklichen Ende zu führen weiß. Er wäre in unsern
Augen nicht ein einfacher, sondern ein kläglicher Spießbürger, wenn er sich
ohne den leisesten Zug der eignen Natur die zweite Kaufmannstochter auf¬
reden ließe.

Doch genug von alledem, die „Prolegomena" haben uns eben wieder ge¬
zeigt, daß die realistische und die spezifisch naturalistische Anschauung von und
in der Literatur sich zunächst noch nicht begegnen können, selbst wo es einem
Vermittler so ernst um die Versöhnung ist, wie Herrn W. Bölsche nach seiner
Versicherung.




Noch einmal die Tonleiter.

eine Laiengedanken darüber in Ur. 22 d. Bl. sind in Ur. 26 zweier
Erwiderungen von Fachmusikern gewürdigt worden. Ich fühle
mich als Laie damit geehrt und habe daran gelernt. Eine dritte
Erwiderung ist leider ihres gar nicht musikalischen Tones halber
nicht zum Druck gekommen, ich weiß davon auch nur, daß da
von „Sonntagstonleiter" die Rede gewesen, also dabei das Spottregister ge¬
zogen worden ist, und möchte schon wissen, wie die musikalisch-harmonischen
Dinge in der Spottregion geklungen haben mögen.

Was ich an den beiden gedruckten Erwiderungen für mich gelernt habe,
hat vielleicht auch allgemeinen Wert, sodaß ich es wohl kurz vorbringen darf,
zugleich als Ausdruck meines Dankes. Einmal bin ich erstaunt zu sehen, wie
die Kleinigkeit, als die ich sie bei mir immer behandelt habe, bei allem beiläufigen
Ärger darüber, doch eine weiter tragende Bedeutung hat, als ich wußte, und
wie sie noch andre musikalische Grundfragen anregt, als ich Laie gesehen hatte.
Ich hatte alles Gewicht auf den Rhythmus gelegt, und daraus die musikalische
Unmöglichkeit der gewöhnlichen überlieferten einfachen Tonleiter abgeleitet, nein,
bewiesen, glaub ich, und muß leider dabei bleiben. Aber die harmonische Seite
der Frage, welche in der ersten Erwiderung so gründlich und geistvoll in den
Vordergrund gezogen wird, ist mir als Ergänzung meiner privaten Gedanken
hochwillkomner, zumal das längst in mir arbeitenden Ahnungen zur Klarheit
verhilft, wofür ich herzlich dankbar bin.

Ich habe daran nun klar gelernt, daß zu dem Tonraume, der für das
natürlichste Tongebilde, die einfache Melodie, gegeben ist als Geburth- und


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[0387] Noch einmal die Tonleiter. frage an einem Beispiel zu verdeutlichen, sei an Hermann und Dorothea er¬ innert. Hermann ist kein Spießbürger, weil er die Neigung zu Dorothea zu fassen, zu behaupten, zum glücklichen Ende zu führen weiß. Er wäre in unsern Augen nicht ein einfacher, sondern ein kläglicher Spießbürger, wenn er sich ohne den leisesten Zug der eignen Natur die zweite Kaufmannstochter auf¬ reden ließe. Doch genug von alledem, die „Prolegomena" haben uns eben wieder ge¬ zeigt, daß die realistische und die spezifisch naturalistische Anschauung von und in der Literatur sich zunächst noch nicht begegnen können, selbst wo es einem Vermittler so ernst um die Versöhnung ist, wie Herrn W. Bölsche nach seiner Versicherung. Noch einmal die Tonleiter. eine Laiengedanken darüber in Ur. 22 d. Bl. sind in Ur. 26 zweier Erwiderungen von Fachmusikern gewürdigt worden. Ich fühle mich als Laie damit geehrt und habe daran gelernt. Eine dritte Erwiderung ist leider ihres gar nicht musikalischen Tones halber nicht zum Druck gekommen, ich weiß davon auch nur, daß da von „Sonntagstonleiter" die Rede gewesen, also dabei das Spottregister ge¬ zogen worden ist, und möchte schon wissen, wie die musikalisch-harmonischen Dinge in der Spottregion geklungen haben mögen. Was ich an den beiden gedruckten Erwiderungen für mich gelernt habe, hat vielleicht auch allgemeinen Wert, sodaß ich es wohl kurz vorbringen darf, zugleich als Ausdruck meines Dankes. Einmal bin ich erstaunt zu sehen, wie die Kleinigkeit, als die ich sie bei mir immer behandelt habe, bei allem beiläufigen Ärger darüber, doch eine weiter tragende Bedeutung hat, als ich wußte, und wie sie noch andre musikalische Grundfragen anregt, als ich Laie gesehen hatte. Ich hatte alles Gewicht auf den Rhythmus gelegt, und daraus die musikalische Unmöglichkeit der gewöhnlichen überlieferten einfachen Tonleiter abgeleitet, nein, bewiesen, glaub ich, und muß leider dabei bleiben. Aber die harmonische Seite der Frage, welche in der ersten Erwiderung so gründlich und geistvoll in den Vordergrund gezogen wird, ist mir als Ergänzung meiner privaten Gedanken hochwillkomner, zumal das längst in mir arbeitenden Ahnungen zur Klarheit verhilft, wofür ich herzlich dankbar bin. Ich habe daran nun klar gelernt, daß zu dem Tonraume, der für das natürlichste Tongebilde, die einfache Melodie, gegeben ist als Geburth- und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/387>, abgerufen am 28.04.2024.