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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Aus den hinterlassenen papieren
eines preußischen Staatsministers.
Gerhard von Amyntor. Mitgeteilt von

er Mann, aus dessen Aufzeichnungen das hier folgende Bruchstück
mitgeteilt wird, ruht schon in kühler Erde. Er ist lange Zeit
preußischer Staatsminister gewesen. Ein alter pommerscher Ari¬
stokrat im besten Sinne des Wortes, hielt er es stets mit der
politischen Rechten und erwartete nur von ihr das Heil des
Vaterlandes. Wer objektiv genug ist, zu begreifen, daß allen Bäumen nicht ein
und dieselbe Rinde wachsen kann, wird, auch wenn er von einer andern poli¬
tischen Überzeugung geleitet wird, doch nicht ohne Interesse auf diese Auf¬
zeichnungen blicken, deren Verfasser jedenfalls von edelstem Streben beseelt und
jederzeit bemüht war, den Aufgaben seines schwierigen und verantwortungsvollen
Amtes mit der Gewissenhaftigkeit eines deutschen Mannes von echtem Schrot
und Korn gerecht zu werden. Wie ernst er es mit seiner einstigen Stellung
als Landrat nahm (er war, als er zur Paulskirche abgeordnet wurde, Landrat
des L.schen Kreises), mag folgende schriftliche Äußerung von ihm bezeigen: "Bei
der Verwaltung des Kreises gewahrte ich sehr bald, daß es bei einem Landrat
weit mehr auf einen ehrlichen und festen Charakter, als auf ein hohes Maß
positiver Gelehrsamkeit ankomme. Ohne Scheu und ohne Rücksicht das Schlechte
offen verdammen, das Gute unterstützen, ohne Ansehen der Person Unparteilich¬
keit und Gerechtigkeit üben, gegen alle Eingesessenen ohne Ermüdung bei Tage
wie bei Nacht gefällig sein, die Not der Nebenmenschen immer viel höher an¬
schlagen als die eigne Lage, mit ihnen gemeinsam um Regen und Sonnenschein
bitten, mit ihnen leben und sorgen und, wenn es gilt, auch gelegentlich essen,
trinken und jagen, im gesellschaftlichen Verkehr immer erhorchen, wo den einzelnen
der Schuh drückt, und ihm dann beibringen, das aber, was man einmal für




Aus den hinterlassenen papieren
eines preußischen Staatsministers.
Gerhard von Amyntor. Mitgeteilt von

er Mann, aus dessen Aufzeichnungen das hier folgende Bruchstück
mitgeteilt wird, ruht schon in kühler Erde. Er ist lange Zeit
preußischer Staatsminister gewesen. Ein alter pommerscher Ari¬
stokrat im besten Sinne des Wortes, hielt er es stets mit der
politischen Rechten und erwartete nur von ihr das Heil des
Vaterlandes. Wer objektiv genug ist, zu begreifen, daß allen Bäumen nicht ein
und dieselbe Rinde wachsen kann, wird, auch wenn er von einer andern poli¬
tischen Überzeugung geleitet wird, doch nicht ohne Interesse auf diese Auf¬
zeichnungen blicken, deren Verfasser jedenfalls von edelstem Streben beseelt und
jederzeit bemüht war, den Aufgaben seines schwierigen und verantwortungsvollen
Amtes mit der Gewissenhaftigkeit eines deutschen Mannes von echtem Schrot
und Korn gerecht zu werden. Wie ernst er es mit seiner einstigen Stellung
als Landrat nahm (er war, als er zur Paulskirche abgeordnet wurde, Landrat
des L.schen Kreises), mag folgende schriftliche Äußerung von ihm bezeigen: „Bei
der Verwaltung des Kreises gewahrte ich sehr bald, daß es bei einem Landrat
weit mehr auf einen ehrlichen und festen Charakter, als auf ein hohes Maß
positiver Gelehrsamkeit ankomme. Ohne Scheu und ohne Rücksicht das Schlechte
offen verdammen, das Gute unterstützen, ohne Ansehen der Person Unparteilich¬
keit und Gerechtigkeit üben, gegen alle Eingesessenen ohne Ermüdung bei Tage
wie bei Nacht gefällig sein, die Not der Nebenmenschen immer viel höher an¬
schlagen als die eigne Lage, mit ihnen gemeinsam um Regen und Sonnenschein
bitten, mit ihnen leben und sorgen und, wenn es gilt, auch gelegentlich essen,
trinken und jagen, im gesellschaftlichen Verkehr immer erhorchen, wo den einzelnen
der Schuh drückt, und ihm dann beibringen, das aber, was man einmal für


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[0440] [Abbildung] Aus den hinterlassenen papieren eines preußischen Staatsministers. Gerhard von Amyntor. Mitgeteilt von er Mann, aus dessen Aufzeichnungen das hier folgende Bruchstück mitgeteilt wird, ruht schon in kühler Erde. Er ist lange Zeit preußischer Staatsminister gewesen. Ein alter pommerscher Ari¬ stokrat im besten Sinne des Wortes, hielt er es stets mit der politischen Rechten und erwartete nur von ihr das Heil des Vaterlandes. Wer objektiv genug ist, zu begreifen, daß allen Bäumen nicht ein und dieselbe Rinde wachsen kann, wird, auch wenn er von einer andern poli¬ tischen Überzeugung geleitet wird, doch nicht ohne Interesse auf diese Auf¬ zeichnungen blicken, deren Verfasser jedenfalls von edelstem Streben beseelt und jederzeit bemüht war, den Aufgaben seines schwierigen und verantwortungsvollen Amtes mit der Gewissenhaftigkeit eines deutschen Mannes von echtem Schrot und Korn gerecht zu werden. Wie ernst er es mit seiner einstigen Stellung als Landrat nahm (er war, als er zur Paulskirche abgeordnet wurde, Landrat des L.schen Kreises), mag folgende schriftliche Äußerung von ihm bezeigen: „Bei der Verwaltung des Kreises gewahrte ich sehr bald, daß es bei einem Landrat weit mehr auf einen ehrlichen und festen Charakter, als auf ein hohes Maß positiver Gelehrsamkeit ankomme. Ohne Scheu und ohne Rücksicht das Schlechte offen verdammen, das Gute unterstützen, ohne Ansehen der Person Unparteilich¬ keit und Gerechtigkeit üben, gegen alle Eingesessenen ohne Ermüdung bei Tage wie bei Nacht gefällig sein, die Not der Nebenmenschen immer viel höher an¬ schlagen als die eigne Lage, mit ihnen gemeinsam um Regen und Sonnenschein bitten, mit ihnen leben und sorgen und, wenn es gilt, auch gelegentlich essen, trinken und jagen, im gesellschaftlichen Verkehr immer erhorchen, wo den einzelnen der Schuh drückt, und ihm dann beibringen, das aber, was man einmal für

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/440>, abgerufen am 28.04.2024.