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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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vom wunderschöllen Monat Mai.

bald wieder zu dem Pinsel greifen, welcher uns einst den Dithyrambus der
Romantik "Tannhäuser und Venus" geschaffen hat!


Adolf Rosenberg.


Vom wunderschönen Monat Mai.

arna wird der Mai im deutschen Liede so iiberschwäuglich
gepriesen? Warum nennt man ihn den Wonnemonat? Ist
sein Habitus wirklich so wonniglich? Im Brockhausschen Kon¬
versationslexikon heißt es von ihm, daß er einen besseren
Ruf habe, als er verdiene, denn er bringe gewöhnlich mehr
schlechtes als gutes Wetter. Das gleicht denn doch einer Anklage wegen un¬
befugter Führung eines Ehrentitels, zu deren Erhärtung man nur die drei
Eismänner anzuführen braucht, die uicht nur dem Winzer und dem Landmann,
sondern auch dem Stadtbewohner so unwillkommene Gäste sind. Da saust oft
der Nordostwind trotz hellen Sonnenscheines schneidend dnrch die Ebene, oder
es öffnet, wie es Heuer geschehen ist, der Himmel seine Schleusen, um un-
endlichen Regen und kühle Tage zu senden. Indessen, was verschlägt das
alles! Blumen und junges Frühlingsgrün halten dem Boreas wie dem Plnvius
Stand, und so werden die Poeten auch wohl Recht haben, wenn sie den Mui
als Freudenbringer nach langer Winternot feiern und als Wonnemonat begrüßen.

Unsre Altvordern freilich waren nicht ganz so poetisch gestimmt. Ist
ihnen auch der Übergang vom Winter zum Sommer von jeher eine bedeutsame
und heilige Zeit gewesen, so reicht doch der Name "Wonnemonat" keineswegs
bis in das Dunkel einer entlegenen Vorzeit zurück. ^Viiur<zmKirüt oder vuirns-
rrmnöt, so heißt der Mai im Calendarium Karls des Großen, das bekanntlich
von dessen Biographen Einhard überliefert ist. Das ist aber eine recht pro¬
saische Bezeichnung. Denn das altdeutsche Wort nirms bedeutet Weide, virms-
in-wol heißt also derjenige Monat, in welchem die Stallfütterung aufhört und
das Vieh wieder auf die Weide getrieben wird. Heutzutage ist das Wort
virus so gut wie erloschen, es kommt nur noch in wenigen Eigennamen vor,
wie z. B. in Winnefeld. Auf die Weide weist auch die alte angelsächsische
Bezeichnung unsers Monats, tllrirmloi, d. h. der Dreimilchner, weil, wie schon
Beda erklärt, in diesem Monat das Vieh dreimal am Tage gemolken wird.
^riWMWssräs heißt in einem schwedischen Dialekt noch jetzt eine Pflanze, die
"Min pÄ>nLtri8, woraus man auf einen altnordischen, dem angelsächsischen
ibi'imüni entsprechenden Monatsnamen schließen kann. Dieselbe Beziehung liegt
in einem andern noch jetzt ans Island gebräuchlichen Namen. StsoKtiä nennt
man dort den Maimonat, d. h. die Zeit, in welcher die Hürden für die
Lämmer abgesteckt werden. Es giebt noch andre Bezeichnungen, die alle von


vom wunderschöllen Monat Mai.

bald wieder zu dem Pinsel greifen, welcher uns einst den Dithyrambus der
Romantik „Tannhäuser und Venus" geschaffen hat!


Adolf Rosenberg.


Vom wunderschönen Monat Mai.

arna wird der Mai im deutschen Liede so iiberschwäuglich
gepriesen? Warum nennt man ihn den Wonnemonat? Ist
sein Habitus wirklich so wonniglich? Im Brockhausschen Kon¬
versationslexikon heißt es von ihm, daß er einen besseren
Ruf habe, als er verdiene, denn er bringe gewöhnlich mehr
schlechtes als gutes Wetter. Das gleicht denn doch einer Anklage wegen un¬
befugter Führung eines Ehrentitels, zu deren Erhärtung man nur die drei
Eismänner anzuführen braucht, die uicht nur dem Winzer und dem Landmann,
sondern auch dem Stadtbewohner so unwillkommene Gäste sind. Da saust oft
der Nordostwind trotz hellen Sonnenscheines schneidend dnrch die Ebene, oder
es öffnet, wie es Heuer geschehen ist, der Himmel seine Schleusen, um un-
endlichen Regen und kühle Tage zu senden. Indessen, was verschlägt das
alles! Blumen und junges Frühlingsgrün halten dem Boreas wie dem Plnvius
Stand, und so werden die Poeten auch wohl Recht haben, wenn sie den Mui
als Freudenbringer nach langer Winternot feiern und als Wonnemonat begrüßen.

Unsre Altvordern freilich waren nicht ganz so poetisch gestimmt. Ist
ihnen auch der Übergang vom Winter zum Sommer von jeher eine bedeutsame
und heilige Zeit gewesen, so reicht doch der Name „Wonnemonat" keineswegs
bis in das Dunkel einer entlegenen Vorzeit zurück. ^Viiur<zmKirüt oder vuirns-
rrmnöt, so heißt der Mai im Calendarium Karls des Großen, das bekanntlich
von dessen Biographen Einhard überliefert ist. Das ist aber eine recht pro¬
saische Bezeichnung. Denn das altdeutsche Wort nirms bedeutet Weide, virms-
in-wol heißt also derjenige Monat, in welchem die Stallfütterung aufhört und
das Vieh wieder auf die Weide getrieben wird. Heutzutage ist das Wort
virus so gut wie erloschen, es kommt nur noch in wenigen Eigennamen vor,
wie z. B. in Winnefeld. Auf die Weide weist auch die alte angelsächsische
Bezeichnung unsers Monats, tllrirmloi, d. h. der Dreimilchner, weil, wie schon
Beda erklärt, in diesem Monat das Vieh dreimal am Tage gemolken wird.
^riWMWssräs heißt in einem schwedischen Dialekt noch jetzt eine Pflanze, die
«Min pÄ>nLtri8, woraus man auf einen altnordischen, dem angelsächsischen
ibi'imüni entsprechenden Monatsnamen schließen kann. Dieselbe Beziehung liegt
in einem andern noch jetzt ans Island gebräuchlichen Namen. StsoKtiä nennt
man dort den Maimonat, d. h. die Zeit, in welcher die Hürden für die
Lämmer abgesteckt werden. Es giebt noch andre Bezeichnungen, die alle von


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/51>, abgerufen am 28.04.2024.