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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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vom wunderschönen Monat Mai.

dem Erwachen des Tier- oder Pflanzenlebens hergenommen sind, aber nicht
etwa den Eindruck schildern, den die Frühlingszeit ans des Menschen Gemüt
zu machen pflegt. Die "Eicrzeit" heißt der Mai auf den friesischen Inseln
und auf Island, der Blütcnmonat oder Blumcnmouat in den Niederlanden und
in Ostfriesland. Noch lebhafteres Naturgefühl verraten slawische Namen.
Irnoxulc, d. h. Dornknospe, hieß der Mai ehemals bei den Böhmen, oder sie
nannten ihn den blühenden, den grasigen, den Laub- oder den Blattmonat,
während sich im Litthauischen der Name Kukuksmonat findet.

Der Begriff der Wonne also liegt den alten Namen des Maimonats voll¬
kommen fern. Der Name Wonnemonat ist lediglich durch Umdeutung entstanden,
und zwar wahrscheinlich erst im sechzehnten Jahrhundert, als gelehrte Forschung
Einhcirds Biographie und damit auch das Calcudarium Kaiser Karls aus dem
Staube der Kloslcrbiblivtheken hervorzog. Wie man aus Karls vinäunuzm-rund,
d. h. der Winzermonat von dem lateinischen vinäsinm, frisch weg "Windmvnat"
machte, so wurde der Wcidemonat der alten Germanen in einen Wonnemonat
umgewandelt. Vergessen war die alte Grundbedeutung des Wortes virus oder
oriens; nur als Boie und Wieland auf Justus Friedrich Rundes gutgemeinten
Vorschlag beschlossen, in den von ihnen herausgegebenen Zeitschriften die einhei¬
mischen Monatsnamen anstatt der lateinischen einzuführen,*) erhielt das Wort
"Wonnemonat" auch in der Literatur das Bürgerrecht, das, wie ein Blick auf die
Vollskalendcr beweist, auch heutzutage noch nicht erloschen ist. Dagegen hat der
"Windmonat" dem freilich leichter zu deutenden "Herbstmonat" Platz gemacht.

Allein Umdeutungen wie die eben besprochenen werden selten ohne innere
Berechtigung vorgenommen. Wenn man aus vuirnsurmM Wonnemonat machte,
so prägte man in dem Worte mir aus, was bereits in der Seele lag. War
doch der Mai, lange bevor der Name aufkam, thatsächlich zum Wonnemonat
geworden. Man kennt die FrühlingSfrende, die schon in der Urzeit unserm
Volke eigentümlich war. Man weiß, durch welche Symbolik ehemals der
Kampf zwischen den Jahresmächten des Winters und des Sommers dargestellt
wurde. Winter und Sommer, jener in Stroh und Moos gehüllt, dieser mit
Ephen und Immergrün bekränzt, treten einander gegenüber und bekämpfen sich,
bis der Winter den Streichen des Gegners erliegt. Dann wird von den Um¬
stehenden dem Besiegten die Hülle abgerissen und zerstückelt herumgetragen; der
Sieger aber wird mit frohem Zuruf und Gesaug begrüßt. Später tritt an
die Stelle des Winters vielfach der Tod. Dann kommt der Kampf in Weg¬
fall. In Gestalt einer Stroh- oder Holzpuppe wird der Tod ins Wasser ge¬
worfen oder in lodernden Feuer verbrannt. Noch jetzt leben solche Bräuche
in einigen Gegenden Deutschlands fort, wenn auch meist nur in den Spielen
der Jugend und arg entstellt.



") Das hat schon Gottsched gethan in der von ihm herausgegebenen Zeitschrift: Das
"
D. Red. Neueste aus der anmutigen Gelehrsamkeit" (17S1--1762).
vom wunderschönen Monat Mai.

dem Erwachen des Tier- oder Pflanzenlebens hergenommen sind, aber nicht
etwa den Eindruck schildern, den die Frühlingszeit ans des Menschen Gemüt
zu machen pflegt. Die „Eicrzeit" heißt der Mai auf den friesischen Inseln
und auf Island, der Blütcnmonat oder Blumcnmouat in den Niederlanden und
in Ostfriesland. Noch lebhafteres Naturgefühl verraten slawische Namen.
Irnoxulc, d. h. Dornknospe, hieß der Mai ehemals bei den Böhmen, oder sie
nannten ihn den blühenden, den grasigen, den Laub- oder den Blattmonat,
während sich im Litthauischen der Name Kukuksmonat findet.

Der Begriff der Wonne also liegt den alten Namen des Maimonats voll¬
kommen fern. Der Name Wonnemonat ist lediglich durch Umdeutung entstanden,
und zwar wahrscheinlich erst im sechzehnten Jahrhundert, als gelehrte Forschung
Einhcirds Biographie und damit auch das Calcudarium Kaiser Karls aus dem
Staube der Kloslcrbiblivtheken hervorzog. Wie man aus Karls vinäunuzm-rund,
d. h. der Winzermonat von dem lateinischen vinäsinm, frisch weg „Windmvnat"
machte, so wurde der Wcidemonat der alten Germanen in einen Wonnemonat
umgewandelt. Vergessen war die alte Grundbedeutung des Wortes virus oder
oriens; nur als Boie und Wieland auf Justus Friedrich Rundes gutgemeinten
Vorschlag beschlossen, in den von ihnen herausgegebenen Zeitschriften die einhei¬
mischen Monatsnamen anstatt der lateinischen einzuführen,*) erhielt das Wort
„Wonnemonat" auch in der Literatur das Bürgerrecht, das, wie ein Blick auf die
Vollskalendcr beweist, auch heutzutage noch nicht erloschen ist. Dagegen hat der
„Windmonat" dem freilich leichter zu deutenden „Herbstmonat" Platz gemacht.

Allein Umdeutungen wie die eben besprochenen werden selten ohne innere
Berechtigung vorgenommen. Wenn man aus vuirnsurmM Wonnemonat machte,
so prägte man in dem Worte mir aus, was bereits in der Seele lag. War
doch der Mai, lange bevor der Name aufkam, thatsächlich zum Wonnemonat
geworden. Man kennt die FrühlingSfrende, die schon in der Urzeit unserm
Volke eigentümlich war. Man weiß, durch welche Symbolik ehemals der
Kampf zwischen den Jahresmächten des Winters und des Sommers dargestellt
wurde. Winter und Sommer, jener in Stroh und Moos gehüllt, dieser mit
Ephen und Immergrün bekränzt, treten einander gegenüber und bekämpfen sich,
bis der Winter den Streichen des Gegners erliegt. Dann wird von den Um¬
stehenden dem Besiegten die Hülle abgerissen und zerstückelt herumgetragen; der
Sieger aber wird mit frohem Zuruf und Gesaug begrüßt. Später tritt an
die Stelle des Winters vielfach der Tod. Dann kommt der Kampf in Weg¬
fall. In Gestalt einer Stroh- oder Holzpuppe wird der Tod ins Wasser ge¬
worfen oder in lodernden Feuer verbrannt. Noch jetzt leben solche Bräuche
in einigen Gegenden Deutschlands fort, wenn auch meist nur in den Spielen
der Jugend und arg entstellt.



») Das hat schon Gottsched gethan in der von ihm herausgegebenen Zeitschrift: Das

D. Red. Neueste aus der anmutigen Gelehrsamkeit" (17S1—1762).
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/52>, abgerufen am 14.05.2024.