Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Alters- und Invalidenversicherung der Arbeiter.

diese Summe einfach um die Zinsen aus dem vorhandenen Deckungskapital.
Und dieses durch höhere Beiträge in den ersten Jahren noch anzusammeln, ist
unvernünftig. Denn Staat und Industrie können in andrer Weise aus ihren
Kapitalien größeren Nutzen ziehen, als wie es hier geschehen müßte, sie in ersten
Hypotheken oder in 3^ prozentigen Staatspapieren anzulegen.

Auch ist der Einwand unberechtigt, daß beim Umlageverfahrcn die Zukunft
auf Kosten der Gegenwart belastet werde. Man muß sich nur von der Vor¬
stellung frei machen, als ob zur Altersversorgung der Arbeiter Spareinlagen
notwendig seien. So lange man hieran festhält, sind die jetzt nicht gemachten
Einlagen allerdings von unseru Nachfolgern nachträglich aufzubringen. Geht
man aber von dem Grundsatze aus, daß die Industrie neben Löhnen für die
Arbeitsfähigen auch die Renten für die Arbeitsinvaliden zu zahlen habe, so
fällt jener Einwand in sich zusammen.

Endlich bieten Staat und Industrie auch ohne ein vorhandenes Deckungs¬
kapital genügende Sicherheit für die Erfüllung ihrer Leistungen. Hat die Alters¬
versorgung erst einige Jahre des Wirkens hinter sich, hat das Volk ihre Seg¬
nungen erprobt, und haben sich die Beteiligten an die Ausgaben dafür gewöhnt,
dann werden auch in schlechten Zeiten nach einem unglücklichen Kriege die
Kosten dafür aufgebracht werden, ebenso wie bei gesteigerter Thatkraft in solchen
Fällen ja auch alle übrigen Geldmittel beschafft werden, die für Erhaltung des
Staatsganzen erforderlich sind. Und sollte" wirklich im Laufe der Jahrhunderte
Staat nud Industrie nicht mehr imstande sein, die Invaliden der Arbeit zu
versorgen, ja dann haben sich, was wir nicht wünschen wollen, auch die Lebens¬
bedingungen in Deutschland von Grund auf geändert, dann ist das jetzt auf¬
blühende Deutschland dem Verfall nahe, dann liegen Handel und Wandel
danieder, dann sind die Preise gesunken, dann ist vielleicht die Bevölkerung
dezimirt, dann -- brauchen wir keine Invaliden- und Altersversorgung der
Arbeiter mehr.




3.

Es handelt sich nun um die Kosten der Alters- und Invalidenversicherung,
und diese sind -- in dieser Beziehung dürfen wir uns keinen Täuschungen hin¬
geben -- nicht gering. Freilich, das statistische Material über die Absterbe¬
ordnung bei den einzelnen Arbeiterklassen ist noch unvollkommen, und zumal
über die Dauer der Arbeitsfähigkeit und den Eintritt der Invalidität besitzen
wir zuverlässige Beobachtungen nur für Eisenbahnarbeiter. Indes werden die
für die letzteren von Behm zusammengestellten Zahlen, mögen sie nun auf die
übrigen Arbeiterklassen mehr oder weniger anwendbar sein, uns immerhin ein
annäherndes Bild von den Kosten der Versicherung geben.

Und zwar wollen wir die Berechnung zunächst für den Beharrungszustand
machen, der nach vierzig oder auch fünfzig Jahren eintreten dürfte, und bei


Die Alters- und Invalidenversicherung der Arbeiter.

diese Summe einfach um die Zinsen aus dem vorhandenen Deckungskapital.
Und dieses durch höhere Beiträge in den ersten Jahren noch anzusammeln, ist
unvernünftig. Denn Staat und Industrie können in andrer Weise aus ihren
Kapitalien größeren Nutzen ziehen, als wie es hier geschehen müßte, sie in ersten
Hypotheken oder in 3^ prozentigen Staatspapieren anzulegen.

Auch ist der Einwand unberechtigt, daß beim Umlageverfahrcn die Zukunft
auf Kosten der Gegenwart belastet werde. Man muß sich nur von der Vor¬
stellung frei machen, als ob zur Altersversorgung der Arbeiter Spareinlagen
notwendig seien. So lange man hieran festhält, sind die jetzt nicht gemachten
Einlagen allerdings von unseru Nachfolgern nachträglich aufzubringen. Geht
man aber von dem Grundsatze aus, daß die Industrie neben Löhnen für die
Arbeitsfähigen auch die Renten für die Arbeitsinvaliden zu zahlen habe, so
fällt jener Einwand in sich zusammen.

Endlich bieten Staat und Industrie auch ohne ein vorhandenes Deckungs¬
kapital genügende Sicherheit für die Erfüllung ihrer Leistungen. Hat die Alters¬
versorgung erst einige Jahre des Wirkens hinter sich, hat das Volk ihre Seg¬
nungen erprobt, und haben sich die Beteiligten an die Ausgaben dafür gewöhnt,
dann werden auch in schlechten Zeiten nach einem unglücklichen Kriege die
Kosten dafür aufgebracht werden, ebenso wie bei gesteigerter Thatkraft in solchen
Fällen ja auch alle übrigen Geldmittel beschafft werden, die für Erhaltung des
Staatsganzen erforderlich sind. Und sollte» wirklich im Laufe der Jahrhunderte
Staat nud Industrie nicht mehr imstande sein, die Invaliden der Arbeit zu
versorgen, ja dann haben sich, was wir nicht wünschen wollen, auch die Lebens¬
bedingungen in Deutschland von Grund auf geändert, dann ist das jetzt auf¬
blühende Deutschland dem Verfall nahe, dann liegen Handel und Wandel
danieder, dann sind die Preise gesunken, dann ist vielleicht die Bevölkerung
dezimirt, dann — brauchen wir keine Invaliden- und Altersversorgung der
Arbeiter mehr.




3.

Es handelt sich nun um die Kosten der Alters- und Invalidenversicherung,
und diese sind — in dieser Beziehung dürfen wir uns keinen Täuschungen hin¬
geben — nicht gering. Freilich, das statistische Material über die Absterbe¬
ordnung bei den einzelnen Arbeiterklassen ist noch unvollkommen, und zumal
über die Dauer der Arbeitsfähigkeit und den Eintritt der Invalidität besitzen
wir zuverlässige Beobachtungen nur für Eisenbahnarbeiter. Indes werden die
für die letzteren von Behm zusammengestellten Zahlen, mögen sie nun auf die
übrigen Arbeiterklassen mehr oder weniger anwendbar sein, uns immerhin ein
annäherndes Bild von den Kosten der Versicherung geben.

Und zwar wollen wir die Berechnung zunächst für den Beharrungszustand
machen, der nach vierzig oder auch fünfzig Jahren eintreten dürfte, und bei


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0512" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/201291"/>
            <fw type="header" place="top"> Die Alters- und Invalidenversicherung der Arbeiter.</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_1607" prev="#ID_1606"> diese Summe einfach um die Zinsen aus dem vorhandenen Deckungskapital.<lb/>
Und dieses durch höhere Beiträge in den ersten Jahren noch anzusammeln, ist<lb/>
unvernünftig. Denn Staat und Industrie können in andrer Weise aus ihren<lb/>
Kapitalien größeren Nutzen ziehen, als wie es hier geschehen müßte, sie in ersten<lb/>
Hypotheken oder in 3^ prozentigen Staatspapieren anzulegen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1608"> Auch ist der Einwand unberechtigt, daß beim Umlageverfahrcn die Zukunft<lb/>
auf Kosten der Gegenwart belastet werde. Man muß sich nur von der Vor¬<lb/>
stellung frei machen, als ob zur Altersversorgung der Arbeiter Spareinlagen<lb/>
notwendig seien. So lange man hieran festhält, sind die jetzt nicht gemachten<lb/>
Einlagen allerdings von unseru Nachfolgern nachträglich aufzubringen. Geht<lb/>
man aber von dem Grundsatze aus, daß die Industrie neben Löhnen für die<lb/>
Arbeitsfähigen auch die Renten für die Arbeitsinvaliden zu zahlen habe, so<lb/>
fällt jener Einwand in sich zusammen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1609"> Endlich bieten Staat und Industrie auch ohne ein vorhandenes Deckungs¬<lb/>
kapital genügende Sicherheit für die Erfüllung ihrer Leistungen. Hat die Alters¬<lb/>
versorgung erst einige Jahre des Wirkens hinter sich, hat das Volk ihre Seg¬<lb/>
nungen erprobt, und haben sich die Beteiligten an die Ausgaben dafür gewöhnt,<lb/>
dann werden auch in schlechten Zeiten nach einem unglücklichen Kriege die<lb/>
Kosten dafür aufgebracht werden, ebenso wie bei gesteigerter Thatkraft in solchen<lb/>
Fällen ja auch alle übrigen Geldmittel beschafft werden, die für Erhaltung des<lb/>
Staatsganzen erforderlich sind. Und sollte» wirklich im Laufe der Jahrhunderte<lb/>
Staat nud Industrie nicht mehr imstande sein, die Invaliden der Arbeit zu<lb/>
versorgen, ja dann haben sich, was wir nicht wünschen wollen, auch die Lebens¬<lb/>
bedingungen in Deutschland von Grund auf geändert, dann ist das jetzt auf¬<lb/>
blühende Deutschland dem Verfall nahe, dann liegen Handel und Wandel<lb/>
danieder, dann sind die Preise gesunken, dann ist vielleicht die Bevölkerung<lb/>
dezimirt, dann &#x2014; brauchen wir keine Invaliden- und Altersversorgung der<lb/>
Arbeiter mehr.</p><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          </div>
          <div n="2">
            <head> 3.</head><lb/>
            <p xml:id="ID_1610"> Es handelt sich nun um die Kosten der Alters- und Invalidenversicherung,<lb/>
und diese sind &#x2014; in dieser Beziehung dürfen wir uns keinen Täuschungen hin¬<lb/>
geben &#x2014; nicht gering. Freilich, das statistische Material über die Absterbe¬<lb/>
ordnung bei den einzelnen Arbeiterklassen ist noch unvollkommen, und zumal<lb/>
über die Dauer der Arbeitsfähigkeit und den Eintritt der Invalidität besitzen<lb/>
wir zuverlässige Beobachtungen nur für Eisenbahnarbeiter. Indes werden die<lb/>
für die letzteren von Behm zusammengestellten Zahlen, mögen sie nun auf die<lb/>
übrigen Arbeiterklassen mehr oder weniger anwendbar sein, uns immerhin ein<lb/>
annäherndes Bild von den Kosten der Versicherung geben.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1611"> Und zwar wollen wir die Berechnung zunächst für den Beharrungszustand<lb/>
machen, der nach vierzig oder auch fünfzig Jahren eintreten dürfte, und bei</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0512] Die Alters- und Invalidenversicherung der Arbeiter. diese Summe einfach um die Zinsen aus dem vorhandenen Deckungskapital. Und dieses durch höhere Beiträge in den ersten Jahren noch anzusammeln, ist unvernünftig. Denn Staat und Industrie können in andrer Weise aus ihren Kapitalien größeren Nutzen ziehen, als wie es hier geschehen müßte, sie in ersten Hypotheken oder in 3^ prozentigen Staatspapieren anzulegen. Auch ist der Einwand unberechtigt, daß beim Umlageverfahrcn die Zukunft auf Kosten der Gegenwart belastet werde. Man muß sich nur von der Vor¬ stellung frei machen, als ob zur Altersversorgung der Arbeiter Spareinlagen notwendig seien. So lange man hieran festhält, sind die jetzt nicht gemachten Einlagen allerdings von unseru Nachfolgern nachträglich aufzubringen. Geht man aber von dem Grundsatze aus, daß die Industrie neben Löhnen für die Arbeitsfähigen auch die Renten für die Arbeitsinvaliden zu zahlen habe, so fällt jener Einwand in sich zusammen. Endlich bieten Staat und Industrie auch ohne ein vorhandenes Deckungs¬ kapital genügende Sicherheit für die Erfüllung ihrer Leistungen. Hat die Alters¬ versorgung erst einige Jahre des Wirkens hinter sich, hat das Volk ihre Seg¬ nungen erprobt, und haben sich die Beteiligten an die Ausgaben dafür gewöhnt, dann werden auch in schlechten Zeiten nach einem unglücklichen Kriege die Kosten dafür aufgebracht werden, ebenso wie bei gesteigerter Thatkraft in solchen Fällen ja auch alle übrigen Geldmittel beschafft werden, die für Erhaltung des Staatsganzen erforderlich sind. Und sollte» wirklich im Laufe der Jahrhunderte Staat nud Industrie nicht mehr imstande sein, die Invaliden der Arbeit zu versorgen, ja dann haben sich, was wir nicht wünschen wollen, auch die Lebens¬ bedingungen in Deutschland von Grund auf geändert, dann ist das jetzt auf¬ blühende Deutschland dem Verfall nahe, dann liegen Handel und Wandel danieder, dann sind die Preise gesunken, dann ist vielleicht die Bevölkerung dezimirt, dann — brauchen wir keine Invaliden- und Altersversorgung der Arbeiter mehr. 3. Es handelt sich nun um die Kosten der Alters- und Invalidenversicherung, und diese sind — in dieser Beziehung dürfen wir uns keinen Täuschungen hin¬ geben — nicht gering. Freilich, das statistische Material über die Absterbe¬ ordnung bei den einzelnen Arbeiterklassen ist noch unvollkommen, und zumal über die Dauer der Arbeitsfähigkeit und den Eintritt der Invalidität besitzen wir zuverlässige Beobachtungen nur für Eisenbahnarbeiter. Indes werden die für die letzteren von Behm zusammengestellten Zahlen, mögen sie nun auf die übrigen Arbeiterklassen mehr oder weniger anwendbar sein, uns immerhin ein annäherndes Bild von den Kosten der Versicherung geben. Und zwar wollen wir die Berechnung zunächst für den Beharrungszustand machen, der nach vierzig oder auch fünfzig Jahren eintreten dürfte, und bei

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/512
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/512>, abgerufen am 29.04.2024.