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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Stammverwandtschaft und Waffenbrüderschaft
mit England.

tammverwandtschaft und Waffenbrüderschaft mit England ist eine
Losung, an der die Preußen, die selbst oder deren Vater bei
Belle-Alliance gefochten hatten, sich lange Zeit zu erwärmen
liebten. Wer im Verkehr mit Engländern oder durch unbefangenes
Lesen ihrer Zeitungen und Geschichtswerke beobachtet hatte, wie
die Zuneigung, die sich in diesen Worten ausspricht, auf der andern Seite auf¬
genommen wurde, der wußte, daß man sich dort Preußens und Deutschlands
nur dann freundlich erinnert, wenn man ihrer bedarf, und daß der durchschnitt¬
liche John Bull ungefähr den Eindruck hatte, wie wenn el" bestäubter Wan¬
derer dem Vorübergehenden zuruft: Der Herr da mit dem prächtigen Ge¬
spann ist mein Vetter! Das Bild ist nicht zu stark; ist doch in dem Brief¬
wechsel Friedrich Wilhelms IV. mit Bunsen zu lesen, daß der König, der in
der Neuenburger Sache, nach der Fcbruarreovlution, nach dem 2. Dezember
immer wieder ans England Hoffnungen setzte, die immer wieder getäuscht wurden,
im Jahre 1862 seinem Freunde schrieb, man habe in London seine, des Königs,
Anmahnmigen "wie das Gebell eines Hündchens überhört."

Das jüngere Geschlecht hat angesichts der Ereignisse, welche es erlebt hat,
vor den Erfahrungen, welche es macht, und in dem berechtigten Selbstgefühl,
in welchem es aufwachsen konnte, den Geschmack an solchen Artigkeiten verloren,
man durfte sie für abgethan halten. Seit einiger Zeit spukt aber die alte
Redensart wieder, meistens in Verbindung mit einer Schönmalerei der heutigen
Zustände und der früheren Politik Englands. Wenn nun im Nachstehenden der
Versuch gemacht wird, sie auf ihren Grund und die darin steckende Erwartung


Grenzboten III. 1837. S9


Stammverwandtschaft und Waffenbrüderschaft
mit England.

tammverwandtschaft und Waffenbrüderschaft mit England ist eine
Losung, an der die Preußen, die selbst oder deren Vater bei
Belle-Alliance gefochten hatten, sich lange Zeit zu erwärmen
liebten. Wer im Verkehr mit Engländern oder durch unbefangenes
Lesen ihrer Zeitungen und Geschichtswerke beobachtet hatte, wie
die Zuneigung, die sich in diesen Worten ausspricht, auf der andern Seite auf¬
genommen wurde, der wußte, daß man sich dort Preußens und Deutschlands
nur dann freundlich erinnert, wenn man ihrer bedarf, und daß der durchschnitt¬
liche John Bull ungefähr den Eindruck hatte, wie wenn el» bestäubter Wan¬
derer dem Vorübergehenden zuruft: Der Herr da mit dem prächtigen Ge¬
spann ist mein Vetter! Das Bild ist nicht zu stark; ist doch in dem Brief¬
wechsel Friedrich Wilhelms IV. mit Bunsen zu lesen, daß der König, der in
der Neuenburger Sache, nach der Fcbruarreovlution, nach dem 2. Dezember
immer wieder ans England Hoffnungen setzte, die immer wieder getäuscht wurden,
im Jahre 1862 seinem Freunde schrieb, man habe in London seine, des Königs,
Anmahnmigen „wie das Gebell eines Hündchens überhört."

Das jüngere Geschlecht hat angesichts der Ereignisse, welche es erlebt hat,
vor den Erfahrungen, welche es macht, und in dem berechtigten Selbstgefühl,
in welchem es aufwachsen konnte, den Geschmack an solchen Artigkeiten verloren,
man durfte sie für abgethan halten. Seit einiger Zeit spukt aber die alte
Redensart wieder, meistens in Verbindung mit einer Schönmalerei der heutigen
Zustände und der früheren Politik Englands. Wenn nun im Nachstehenden der
Versuch gemacht wird, sie auf ihren Grund und die darin steckende Erwartung


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[0553] [Abbildung] Stammverwandtschaft und Waffenbrüderschaft mit England. tammverwandtschaft und Waffenbrüderschaft mit England ist eine Losung, an der die Preußen, die selbst oder deren Vater bei Belle-Alliance gefochten hatten, sich lange Zeit zu erwärmen liebten. Wer im Verkehr mit Engländern oder durch unbefangenes Lesen ihrer Zeitungen und Geschichtswerke beobachtet hatte, wie die Zuneigung, die sich in diesen Worten ausspricht, auf der andern Seite auf¬ genommen wurde, der wußte, daß man sich dort Preußens und Deutschlands nur dann freundlich erinnert, wenn man ihrer bedarf, und daß der durchschnitt¬ liche John Bull ungefähr den Eindruck hatte, wie wenn el» bestäubter Wan¬ derer dem Vorübergehenden zuruft: Der Herr da mit dem prächtigen Ge¬ spann ist mein Vetter! Das Bild ist nicht zu stark; ist doch in dem Brief¬ wechsel Friedrich Wilhelms IV. mit Bunsen zu lesen, daß der König, der in der Neuenburger Sache, nach der Fcbruarreovlution, nach dem 2. Dezember immer wieder ans England Hoffnungen setzte, die immer wieder getäuscht wurden, im Jahre 1862 seinem Freunde schrieb, man habe in London seine, des Königs, Anmahnmigen „wie das Gebell eines Hündchens überhört." Das jüngere Geschlecht hat angesichts der Ereignisse, welche es erlebt hat, vor den Erfahrungen, welche es macht, und in dem berechtigten Selbstgefühl, in welchem es aufwachsen konnte, den Geschmack an solchen Artigkeiten verloren, man durfte sie für abgethan halten. Seit einiger Zeit spukt aber die alte Redensart wieder, meistens in Verbindung mit einer Schönmalerei der heutigen Zustände und der früheren Politik Englands. Wenn nun im Nachstehenden der Versuch gemacht wird, sie auf ihren Grund und die darin steckende Erwartung Grenzboten III. 1837. S9

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/553>, abgerufen am 29.04.2024.