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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Htammverwandtschaft und Waffenbrüderschaft mit England.

auf ihren Wert anzusehen, so liegt die Absicht fern, in dem Leser Verstimmung
gegen das englische Volk zu erregen. Mag jeder lieben und hassen, wen er will,
und seine Freundschaften mit Engländern schätzen und Pflegen, aber, wenn er
über Staatsangelegenheiten redet oder denkt, sich gegenwärtig halten, was der
einst von den deutschen Liberalen gefeierte und mit mancher Liebeserklärung be¬
ehrte Lord Palmerston wenige Tage nach der Februarrevolution im Unterhause
sagte: "Was die romantische Vorstellung betrifft, daß Völker oder Regierungen
erheblich oder dauernd durch Freundschaft und Gott weiß was sonst beeinflußt
werden, so sage ich, daß diejenigen, welche solche Vorstellungen hegen und den
Verkehr zwischen Einzelnen auf den Verkehr zwischen Völkern anwenden, sich
in einem leeren Traum ergehen."

stammverwandt sind die Norddeutschen auch und noch mehr mit den
Holländern, den Vlamländern, den Dänen, den Schweden, den Norwegern; aber
der Verwandtschaft mit ihnen wird nur auf wissenschaftlichem Gebiete gedacht,
in der Völkerkunde, der Sprachlehre. Mit den Dänen haben wir Kriege führen
müssen. Die Holländer sind in den oberen Stünden unterrichtete und umgäng¬
liche Leute; aber trotz der Verwandtschaft mit uns sind sie in der Verfolgung
ihrer Interessen zuweilen recht unangenehme Nachbarn gewesen und haben sich
von ihrer verstorbenen Königin, einer Deutschen, einreden lassen, daß wir uns
mit feindlichen Absichten gegen sie trügen. Die Schweden waren 1813 Waffen¬
brüder der Preußen und wären 1864 gern Waffenbrüder der Dänen geworden,
wenn sie sich stark genug dazu gefühlt hätten. Sie alle haben sich durch ihr
Interesse, wie sie es eben verstanden, bestimmen lassen. Und haben es die Eng¬
länder jemals anders gemacht?

Der vor wenigen Jahren veröffentlichte Schriftenwechsel zwischen der Ber¬
liner und der Londoner Regierung zeigt, daß die letztere unter Zustimmung der
öffentlichen Meinung unsern Versuchen, etwas von der Welt, die noch nicht weg¬
gegeben ist, zu erwerben, mit Anmaßlichkeit, Mißgunst und Hinterlist begegnete,
bis endlich sehr deutsch mit Lord Granville gesprochen und ihm begreiflich ge¬
macht wurde, daß er Deutschlands auf andern Gebieten bedürfte. Auch nachdem
die Abgrenzung geschehen ist, haben unsre Landsleute jenseits der Meere sich
von den Engländern eines nichts weniger als verwandtschaftlichen Verhaltens
zu versehen.

In dem Kriege von 1870 und 1871 beobachtete England eine Neutralität,
die mit dem Buchstaben des Völkerrechts verträglich war, sachlich aber sich als
eine Begünstigung unsers Feindes darstellte. Während damals unsre junge
Flotte, abgesehen von dem kühnen Streifzuge des Kapitäns Weikhmann mit der
Korvette "Augusta," die See gegen die Franzosen nicht halten konnte, versah
England die letztern mit allen möglichen Kriegsbedürfnissen, erklärte sich
freilich bereit, uns ebenso zu versorgen, wenn wir den Waffenfabriken von
Birmingham etwas zu verdienen geben wollten. Ja es ist uns ein Fall er-


Htammverwandtschaft und Waffenbrüderschaft mit England.

auf ihren Wert anzusehen, so liegt die Absicht fern, in dem Leser Verstimmung
gegen das englische Volk zu erregen. Mag jeder lieben und hassen, wen er will,
und seine Freundschaften mit Engländern schätzen und Pflegen, aber, wenn er
über Staatsangelegenheiten redet oder denkt, sich gegenwärtig halten, was der
einst von den deutschen Liberalen gefeierte und mit mancher Liebeserklärung be¬
ehrte Lord Palmerston wenige Tage nach der Februarrevolution im Unterhause
sagte: „Was die romantische Vorstellung betrifft, daß Völker oder Regierungen
erheblich oder dauernd durch Freundschaft und Gott weiß was sonst beeinflußt
werden, so sage ich, daß diejenigen, welche solche Vorstellungen hegen und den
Verkehr zwischen Einzelnen auf den Verkehr zwischen Völkern anwenden, sich
in einem leeren Traum ergehen."

stammverwandt sind die Norddeutschen auch und noch mehr mit den
Holländern, den Vlamländern, den Dänen, den Schweden, den Norwegern; aber
der Verwandtschaft mit ihnen wird nur auf wissenschaftlichem Gebiete gedacht,
in der Völkerkunde, der Sprachlehre. Mit den Dänen haben wir Kriege führen
müssen. Die Holländer sind in den oberen Stünden unterrichtete und umgäng¬
liche Leute; aber trotz der Verwandtschaft mit uns sind sie in der Verfolgung
ihrer Interessen zuweilen recht unangenehme Nachbarn gewesen und haben sich
von ihrer verstorbenen Königin, einer Deutschen, einreden lassen, daß wir uns
mit feindlichen Absichten gegen sie trügen. Die Schweden waren 1813 Waffen¬
brüder der Preußen und wären 1864 gern Waffenbrüder der Dänen geworden,
wenn sie sich stark genug dazu gefühlt hätten. Sie alle haben sich durch ihr
Interesse, wie sie es eben verstanden, bestimmen lassen. Und haben es die Eng¬
länder jemals anders gemacht?

Der vor wenigen Jahren veröffentlichte Schriftenwechsel zwischen der Ber¬
liner und der Londoner Regierung zeigt, daß die letztere unter Zustimmung der
öffentlichen Meinung unsern Versuchen, etwas von der Welt, die noch nicht weg¬
gegeben ist, zu erwerben, mit Anmaßlichkeit, Mißgunst und Hinterlist begegnete,
bis endlich sehr deutsch mit Lord Granville gesprochen und ihm begreiflich ge¬
macht wurde, daß er Deutschlands auf andern Gebieten bedürfte. Auch nachdem
die Abgrenzung geschehen ist, haben unsre Landsleute jenseits der Meere sich
von den Engländern eines nichts weniger als verwandtschaftlichen Verhaltens
zu versehen.

In dem Kriege von 1870 und 1871 beobachtete England eine Neutralität,
die mit dem Buchstaben des Völkerrechts verträglich war, sachlich aber sich als
eine Begünstigung unsers Feindes darstellte. Während damals unsre junge
Flotte, abgesehen von dem kühnen Streifzuge des Kapitäns Weikhmann mit der
Korvette „Augusta," die See gegen die Franzosen nicht halten konnte, versah
England die letztern mit allen möglichen Kriegsbedürfnissen, erklärte sich
freilich bereit, uns ebenso zu versorgen, wenn wir den Waffenfabriken von
Birmingham etwas zu verdienen geben wollten. Ja es ist uns ein Fall er-


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[0554] Htammverwandtschaft und Waffenbrüderschaft mit England. auf ihren Wert anzusehen, so liegt die Absicht fern, in dem Leser Verstimmung gegen das englische Volk zu erregen. Mag jeder lieben und hassen, wen er will, und seine Freundschaften mit Engländern schätzen und Pflegen, aber, wenn er über Staatsangelegenheiten redet oder denkt, sich gegenwärtig halten, was der einst von den deutschen Liberalen gefeierte und mit mancher Liebeserklärung be¬ ehrte Lord Palmerston wenige Tage nach der Februarrevolution im Unterhause sagte: „Was die romantische Vorstellung betrifft, daß Völker oder Regierungen erheblich oder dauernd durch Freundschaft und Gott weiß was sonst beeinflußt werden, so sage ich, daß diejenigen, welche solche Vorstellungen hegen und den Verkehr zwischen Einzelnen auf den Verkehr zwischen Völkern anwenden, sich in einem leeren Traum ergehen." stammverwandt sind die Norddeutschen auch und noch mehr mit den Holländern, den Vlamländern, den Dänen, den Schweden, den Norwegern; aber der Verwandtschaft mit ihnen wird nur auf wissenschaftlichem Gebiete gedacht, in der Völkerkunde, der Sprachlehre. Mit den Dänen haben wir Kriege führen müssen. Die Holländer sind in den oberen Stünden unterrichtete und umgäng¬ liche Leute; aber trotz der Verwandtschaft mit uns sind sie in der Verfolgung ihrer Interessen zuweilen recht unangenehme Nachbarn gewesen und haben sich von ihrer verstorbenen Königin, einer Deutschen, einreden lassen, daß wir uns mit feindlichen Absichten gegen sie trügen. Die Schweden waren 1813 Waffen¬ brüder der Preußen und wären 1864 gern Waffenbrüder der Dänen geworden, wenn sie sich stark genug dazu gefühlt hätten. Sie alle haben sich durch ihr Interesse, wie sie es eben verstanden, bestimmen lassen. Und haben es die Eng¬ länder jemals anders gemacht? Der vor wenigen Jahren veröffentlichte Schriftenwechsel zwischen der Ber¬ liner und der Londoner Regierung zeigt, daß die letztere unter Zustimmung der öffentlichen Meinung unsern Versuchen, etwas von der Welt, die noch nicht weg¬ gegeben ist, zu erwerben, mit Anmaßlichkeit, Mißgunst und Hinterlist begegnete, bis endlich sehr deutsch mit Lord Granville gesprochen und ihm begreiflich ge¬ macht wurde, daß er Deutschlands auf andern Gebieten bedürfte. Auch nachdem die Abgrenzung geschehen ist, haben unsre Landsleute jenseits der Meere sich von den Engländern eines nichts weniger als verwandtschaftlichen Verhaltens zu versehen. In dem Kriege von 1870 und 1871 beobachtete England eine Neutralität, die mit dem Buchstaben des Völkerrechts verträglich war, sachlich aber sich als eine Begünstigung unsers Feindes darstellte. Während damals unsre junge Flotte, abgesehen von dem kühnen Streifzuge des Kapitäns Weikhmann mit der Korvette „Augusta," die See gegen die Franzosen nicht halten konnte, versah England die letztern mit allen möglichen Kriegsbedürfnissen, erklärte sich freilich bereit, uns ebenso zu versorgen, wenn wir den Waffenfabriken von Birmingham etwas zu verdienen geben wollten. Ja es ist uns ein Fall er-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/554>, abgerufen am 14.05.2024.