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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Zu Theodor ^torus siebzigsten Geburtstage"

n diesen Tagen hält jeder Freund der Literatur seine kleine Storm-
Andacht. Es verlautet, daß die Husumer sich daran gemacht haben,
am 14. September den siebzigsten Geburtstag ihres berühmten Mit¬
bürgers festlich zu begehen, und da greifen wohl auch viele ge¬
bildete deutsche Männer und noch mehr edle deutsche Frauen außer
Husum nach den zierlichen Ausgaben von "Jmmensee," "Viola, trioolor," "^quis
8udwM8U8," "Auf der Universität," "Der stille Musikant." ..Waldwinkel" u.s.w,,
die auf ihren Tischen liegen, um sich die Seele ihres Lieblingsdichters neu zu
vergegenwärtigen. Ist auch nicht die gesamte deutsche Nation hinter den Hu-
sumern, so feiert Wohl der ganze deutsche Mittelstand, dessen Dichter Theodor
Storm so recht eigentlich geworden ist, in der Stille das Fest mit. Die Hnsumer
allerdings haben den meisten Grund, ihren Mitbürger zu ehren. Denn für die
Stormsche Muse, die nicht gern in die Weite schweift, sich anch nicht in jene
Gedankenhöhen verliert, welche des Erdgeruchs der heimatlichen Scholle ganz
entbehren, ist Husum der liebste Aufenthalt geworden. Die meisten Geschichten,
selbst die historischen Novellen haben die Heimat und nicht bloß die meer-
nmschlungcne Provinz Schleswig-Holstein, sondern Husum selbst wenn nicht zum
Schauplatz, so doch zum Ausgangspunkt der Handlung. Wie oft heißt es bei
Storm: "Meine Vaterstadt!" Uno Husum, das weltabgelegcne, weder durch
eine hervorragende Industrie, noch durch eine" Hafen, noch dnrch eine Universität,
noch durch ein weltgeschichtliches Ereignis berühmte kleine Städtchen, ist durch
Storms Phantasie dem deutsche" Volke so vertraut geworden, wie es nur irgend
eine Märchenstadt werden konnte. Zwar steht es nicht so klar vor uns, daß
wir einen Stadtplan davon entwerfen konnten, wie man von Dantes Hölle
Pläne gezeichnet hat, sondern ganz im Charakter der Stormschcn Poesie ist es eine
bestimmte Stimmung, nämlich die ruhiger, aber herzerquickender, weltentsagender,
aber auch schmerzfreier, leidenschaftsloser, zu Rückblicken in die Vergangenheit
einladender Beschaulichkeit, die mit dem Namen und Klänge des Städtchens in
uns geweckt wird. Aufregende Schicksale heiterer und ernster Art haben sich zur
Genüge in Husum abgespielt, über alle Ereignisse und Menschen lagert es aber
wie der blane Duft poesiereicher Ferne, der die in der Nähe allzulebhaften
Farben vermittelnd ausgleicht. Und darum haben die Husumer zuvörderst die
Pflicht, ihren geliebten Storm zu feiern: er hat sie der Nation ans Herz ge¬
bunden. In weiteren Kreisen gedenken aber auch die deutschen Frauen an diesem
siebzigsten Geburtstage dankbar ihres Dichters. Denn wahrlich kein zweiter
Dichter der Gegenwart hat das deutsche Heim, seine auf jeden geringen Hausrat
verteilte Seele und das stille Walten der Frau so innig, so verständnisvoll,


Zu Theodor ^torus siebzigsten Geburtstage»

n diesen Tagen hält jeder Freund der Literatur seine kleine Storm-
Andacht. Es verlautet, daß die Husumer sich daran gemacht haben,
am 14. September den siebzigsten Geburtstag ihres berühmten Mit¬
bürgers festlich zu begehen, und da greifen wohl auch viele ge¬
bildete deutsche Männer und noch mehr edle deutsche Frauen außer
Husum nach den zierlichen Ausgaben von „Jmmensee," „Viola, trioolor," „^quis
8udwM8U8," „Auf der Universität," „Der stille Musikant." ..Waldwinkel" u.s.w,,
die auf ihren Tischen liegen, um sich die Seele ihres Lieblingsdichters neu zu
vergegenwärtigen. Ist auch nicht die gesamte deutsche Nation hinter den Hu-
sumern, so feiert Wohl der ganze deutsche Mittelstand, dessen Dichter Theodor
Storm so recht eigentlich geworden ist, in der Stille das Fest mit. Die Hnsumer
allerdings haben den meisten Grund, ihren Mitbürger zu ehren. Denn für die
Stormsche Muse, die nicht gern in die Weite schweift, sich anch nicht in jene
Gedankenhöhen verliert, welche des Erdgeruchs der heimatlichen Scholle ganz
entbehren, ist Husum der liebste Aufenthalt geworden. Die meisten Geschichten,
selbst die historischen Novellen haben die Heimat und nicht bloß die meer-
nmschlungcne Provinz Schleswig-Holstein, sondern Husum selbst wenn nicht zum
Schauplatz, so doch zum Ausgangspunkt der Handlung. Wie oft heißt es bei
Storm: „Meine Vaterstadt!" Uno Husum, das weltabgelegcne, weder durch
eine hervorragende Industrie, noch durch eine» Hafen, noch dnrch eine Universität,
noch durch ein weltgeschichtliches Ereignis berühmte kleine Städtchen, ist durch
Storms Phantasie dem deutsche» Volke so vertraut geworden, wie es nur irgend
eine Märchenstadt werden konnte. Zwar steht es nicht so klar vor uns, daß
wir einen Stadtplan davon entwerfen konnten, wie man von Dantes Hölle
Pläne gezeichnet hat, sondern ganz im Charakter der Stormschcn Poesie ist es eine
bestimmte Stimmung, nämlich die ruhiger, aber herzerquickender, weltentsagender,
aber auch schmerzfreier, leidenschaftsloser, zu Rückblicken in die Vergangenheit
einladender Beschaulichkeit, die mit dem Namen und Klänge des Städtchens in
uns geweckt wird. Aufregende Schicksale heiterer und ernster Art haben sich zur
Genüge in Husum abgespielt, über alle Ereignisse und Menschen lagert es aber
wie der blane Duft poesiereicher Ferne, der die in der Nähe allzulebhaften
Farben vermittelnd ausgleicht. Und darum haben die Husumer zuvörderst die
Pflicht, ihren geliebten Storm zu feiern: er hat sie der Nation ans Herz ge¬
bunden. In weiteren Kreisen gedenken aber auch die deutschen Frauen an diesem
siebzigsten Geburtstage dankbar ihres Dichters. Denn wahrlich kein zweiter
Dichter der Gegenwart hat das deutsche Heim, seine auf jeden geringen Hausrat
verteilte Seele und das stille Walten der Frau so innig, so verständnisvoll,


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[0582] Zu Theodor ^torus siebzigsten Geburtstage» n diesen Tagen hält jeder Freund der Literatur seine kleine Storm- Andacht. Es verlautet, daß die Husumer sich daran gemacht haben, am 14. September den siebzigsten Geburtstag ihres berühmten Mit¬ bürgers festlich zu begehen, und da greifen wohl auch viele ge¬ bildete deutsche Männer und noch mehr edle deutsche Frauen außer Husum nach den zierlichen Ausgaben von „Jmmensee," „Viola, trioolor," „^quis 8udwM8U8," „Auf der Universität," „Der stille Musikant." ..Waldwinkel" u.s.w,, die auf ihren Tischen liegen, um sich die Seele ihres Lieblingsdichters neu zu vergegenwärtigen. Ist auch nicht die gesamte deutsche Nation hinter den Hu- sumern, so feiert Wohl der ganze deutsche Mittelstand, dessen Dichter Theodor Storm so recht eigentlich geworden ist, in der Stille das Fest mit. Die Hnsumer allerdings haben den meisten Grund, ihren Mitbürger zu ehren. Denn für die Stormsche Muse, die nicht gern in die Weite schweift, sich anch nicht in jene Gedankenhöhen verliert, welche des Erdgeruchs der heimatlichen Scholle ganz entbehren, ist Husum der liebste Aufenthalt geworden. Die meisten Geschichten, selbst die historischen Novellen haben die Heimat und nicht bloß die meer- nmschlungcne Provinz Schleswig-Holstein, sondern Husum selbst wenn nicht zum Schauplatz, so doch zum Ausgangspunkt der Handlung. Wie oft heißt es bei Storm: „Meine Vaterstadt!" Uno Husum, das weltabgelegcne, weder durch eine hervorragende Industrie, noch durch eine» Hafen, noch dnrch eine Universität, noch durch ein weltgeschichtliches Ereignis berühmte kleine Städtchen, ist durch Storms Phantasie dem deutsche» Volke so vertraut geworden, wie es nur irgend eine Märchenstadt werden konnte. Zwar steht es nicht so klar vor uns, daß wir einen Stadtplan davon entwerfen konnten, wie man von Dantes Hölle Pläne gezeichnet hat, sondern ganz im Charakter der Stormschcn Poesie ist es eine bestimmte Stimmung, nämlich die ruhiger, aber herzerquickender, weltentsagender, aber auch schmerzfreier, leidenschaftsloser, zu Rückblicken in die Vergangenheit einladender Beschaulichkeit, die mit dem Namen und Klänge des Städtchens in uns geweckt wird. Aufregende Schicksale heiterer und ernster Art haben sich zur Genüge in Husum abgespielt, über alle Ereignisse und Menschen lagert es aber wie der blane Duft poesiereicher Ferne, der die in der Nähe allzulebhaften Farben vermittelnd ausgleicht. Und darum haben die Husumer zuvörderst die Pflicht, ihren geliebten Storm zu feiern: er hat sie der Nation ans Herz ge¬ bunden. In weiteren Kreisen gedenken aber auch die deutschen Frauen an diesem siebzigsten Geburtstage dankbar ihres Dichters. Denn wahrlich kein zweiter Dichter der Gegenwart hat das deutsche Heim, seine auf jeden geringen Hausrat verteilte Seele und das stille Walten der Frau so innig, so verständnisvoll,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/582>, abgerufen am 28.04.2024.