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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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ganges, welches durch alle Buchhandlungen und postanstaltcn des In- und Auslandes zu
beziehen ist. preis für das Vierteljahr g Mark. Wir bitten um schleunige Erneuerung
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Leipzig, im Juni M7. Die Verlagshandlung.

Belgien und die sozialpolitische Frage.

clgien ist bekanntermaßen das Ideal der Liberalen, soweit sie
Doktrinäre sind, die Verwirklichung ihrer Wünsche auf verfassungs¬
mäßigen Gebiete, der Musterstaat des Parlamentarismus, der
alleinseligmachenden Form des politischen Lebens, die sich, wenn
man den Herren glauben darf, überall bewähren muß. Schade
nur, daß die Erfahrung die letztere Behauptung bis jetzt nicht bestätigt hat,
daß sie seit einiger Zeit selbst am lebendige Thatsache gewordenen Ideale, am
Muster, zweifeln läßt, und daß hier gerade in Betreff der wichtigsten Frage des
innern politischen Lebens, wie man zu sagen pflegt, guter Rat teuer ist. In Öster¬
reich verewigt der Parlamentarismus den Streit der Nationalitäten, in Frankreich
läßt er keine Negierung mit Aussicht auf Dauer aufkommen, in Belgien zeigte er
sich bisher ganz und gar unfähig, die soziale Frage auch nur annähernd zu
lösen, die in dem stark bevölkerten Fabriklande von solcher Bedeutung ist, daß
sie, wenn den betreffenden Übelständen nicht bald abgeholfen wird, mit einer
Katastrophe endigen muß. Weder die jetzt am Ruder stehende Partei noch die
gegenwärtig in der Minderheit befindliche und folglich Opposition machende
wußte einen Ausweg aus der Not und Verlegenheit zu finden, und ebenso
wenig war dazu die katholische Kirche imstande, die nach wiederholter Ver¬
sicherung unsrer Ultramontanen im Reichstage allein die Kraft besitzt, der sozialen
Revolution in ihrer Entwicklung Halt zu gebieten.

Die Arbciterunruhen, welche im März vorigen Jahres begannen und nach
einer mehrmonatlichen Pause im jetzigen von neuem ausbrachen, hatten ihren
Grund zunächst in der Bedrückung und Ausbeutung der arbeitenden Klassen
durch die Kapitalisten, welche sie beschäftigten, und in Aufreizungen jener Klassen


Grenzboten III. 1887. 8


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clgien ist bekanntermaßen das Ideal der Liberalen, soweit sie
Doktrinäre sind, die Verwirklichung ihrer Wünsche auf verfassungs¬
mäßigen Gebiete, der Musterstaat des Parlamentarismus, der
alleinseligmachenden Form des politischen Lebens, die sich, wenn
man den Herren glauben darf, überall bewähren muß. Schade
nur, daß die Erfahrung die letztere Behauptung bis jetzt nicht bestätigt hat,
daß sie seit einiger Zeit selbst am lebendige Thatsache gewordenen Ideale, am
Muster, zweifeln läßt, und daß hier gerade in Betreff der wichtigsten Frage des
innern politischen Lebens, wie man zu sagen pflegt, guter Rat teuer ist. In Öster¬
reich verewigt der Parlamentarismus den Streit der Nationalitäten, in Frankreich
läßt er keine Negierung mit Aussicht auf Dauer aufkommen, in Belgien zeigte er
sich bisher ganz und gar unfähig, die soziale Frage auch nur annähernd zu
lösen, die in dem stark bevölkerten Fabriklande von solcher Bedeutung ist, daß
sie, wenn den betreffenden Übelständen nicht bald abgeholfen wird, mit einer
Katastrophe endigen muß. Weder die jetzt am Ruder stehende Partei noch die
gegenwärtig in der Minderheit befindliche und folglich Opposition machende
wußte einen Ausweg aus der Not und Verlegenheit zu finden, und ebenso
wenig war dazu die katholische Kirche imstande, die nach wiederholter Ver¬
sicherung unsrer Ultramontanen im Reichstage allein die Kraft besitzt, der sozialen
Revolution in ihrer Entwicklung Halt zu gebieten.

Die Arbciterunruhen, welche im März vorigen Jahres begannen und nach
einer mehrmonatlichen Pause im jetzigen von neuem ausbrachen, hatten ihren
Grund zunächst in der Bedrückung und Ausbeutung der arbeitenden Klassen
durch die Kapitalisten, welche sie beschäftigten, und in Aufreizungen jener Klassen


Grenzboten III. 1887. 8
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[0065] [Abbildung] Zur Beachtung. Mit dem vorliegenden Neste beginnt diese Zeitschrift das 8. Vierteljahr ihres 4H. Jahr¬ ganges, welches durch alle Buchhandlungen und postanstaltcn des In- und Auslandes zu beziehen ist. preis für das Vierteljahr g Mark. Wir bitten um schleunige Erneuerung des Abonnements. Leipzig, im Juni M7. Die Verlagshandlung. Belgien und die sozialpolitische Frage. clgien ist bekanntermaßen das Ideal der Liberalen, soweit sie Doktrinäre sind, die Verwirklichung ihrer Wünsche auf verfassungs¬ mäßigen Gebiete, der Musterstaat des Parlamentarismus, der alleinseligmachenden Form des politischen Lebens, die sich, wenn man den Herren glauben darf, überall bewähren muß. Schade nur, daß die Erfahrung die letztere Behauptung bis jetzt nicht bestätigt hat, daß sie seit einiger Zeit selbst am lebendige Thatsache gewordenen Ideale, am Muster, zweifeln läßt, und daß hier gerade in Betreff der wichtigsten Frage des innern politischen Lebens, wie man zu sagen pflegt, guter Rat teuer ist. In Öster¬ reich verewigt der Parlamentarismus den Streit der Nationalitäten, in Frankreich läßt er keine Negierung mit Aussicht auf Dauer aufkommen, in Belgien zeigte er sich bisher ganz und gar unfähig, die soziale Frage auch nur annähernd zu lösen, die in dem stark bevölkerten Fabriklande von solcher Bedeutung ist, daß sie, wenn den betreffenden Übelständen nicht bald abgeholfen wird, mit einer Katastrophe endigen muß. Weder die jetzt am Ruder stehende Partei noch die gegenwärtig in der Minderheit befindliche und folglich Opposition machende wußte einen Ausweg aus der Not und Verlegenheit zu finden, und ebenso wenig war dazu die katholische Kirche imstande, die nach wiederholter Ver¬ sicherung unsrer Ultramontanen im Reichstage allein die Kraft besitzt, der sozialen Revolution in ihrer Entwicklung Halt zu gebieten. Die Arbciterunruhen, welche im März vorigen Jahres begannen und nach einer mehrmonatlichen Pause im jetzigen von neuem ausbrachen, hatten ihren Grund zunächst in der Bedrückung und Ausbeutung der arbeitenden Klassen durch die Kapitalisten, welche sie beschäftigten, und in Aufreizungen jener Klassen Grenzboten III. 1887. 8

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/65>, abgerufen am 29.04.2024.