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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Kleinere Mitteilungen.

Ich wollt', ich könnte Morpheus sein,
Ich wiegte in den Schlaf dich ein,
Und abends dann in stiller Ruh
Küßt' ich dir sanft die Augen zu.

Ob diese Sehnsucht nicht eine wirkliche Grundlage hatte und namentlich an die
kleine Levantinerin gerichtet war, will ich unentschieden lassen.

(Fortsetzung folgt.)




Kleinere Mitteilungen.

Der Parlamentarismus in Norwegen. Die Mehrheit des norwegischen
Storthings, an der Spitze ihr ehemaliger Führer Johann Sverdrup, ist bei Ge¬
legenheit der Anklage und Verurteilung des königstreuen Ministers Seltner in
diesen Blättern seinerzeit gezeichnet worden. Die bisherigen Erlebnisse dieser Volks¬
männer dienen zur Vervollständigung des damals von ihnen entworfenen Bildes.
Um den Minister seiner von seinem Platze zu verdrängen, wurde unter Leitung des
Demokraten Johann Sverdrup die bodenlose Anklage gegen seiner erhoben und
mit Hilfe des famosen sogenannten Reichsgerichts (einer in ihrer überwiegenden
Mehrheit aus nicht sachverständigen, von der Storthingsmehrheit gewählten und
von dieser Völlig abhängigen Laien too zusammengesetzten Gesellschaft) durch¬
geführt. Um den dem Minister seiner durch seine Verurteilung abgenommenen
Platz selbst besteigen zu können, wurden von dem gesinnungstüchtigen Demokraten
Sverdrup und seinen Genossen dem Könige gegenüber frühere Worte und Thaten
verleugnet. Um Minister bleiben zu können, wird der so lant und überzeugungs-
treu während ihrer Beschäftigung als Oppositionsführer verkündeten Lehre des
parlamentarischen Regierungssystems ohne Scheu ins Gesicht geschlagen.

Der gegenwärtige Kultusminister, Pastor Jnkvb Sverdrup, eine Neffe des
Ministerpräsidenten Johann Sverdrup, hat mit Billigung der meisten Mitglieder,
insbesondre des Präsidenten des Ministeriums, beim letzten Storthing die Kirchen-
reformvorlage eingebracht, welche gegen Schluß der letzten Session mit großer
Mehrheit von dem Storthing verworfen worden ist. Noch dem Gesetzentwurf
sollten aus Laien bestehende Kirchengemeinderäte eingeführt werden, was sowohl den
Ansichten der Rechten, als denen eines großen Teiles der Linken zuwiderlief; den
Ansichten der letzteren deshalb, weil der Entwurf den Radikalen nicht weit genug
ging, einer Anzahl bäuerlicher Demokraten nicht strenggläubig genug war. Der
Entwurf wurde demgemäß abgelehnt, und nach der Lehre der jetzigen Minister als
Vertreter der parlamentarischen Regierungsform hätten diese auf Grund der er¬
littenen schweren Niederlage sofort zurücktreten oder mindestens eine Vertrnuens-
erklärung vom Storthing verlangen müssen; denn die Minister sind ja nach der
Lehre der Demokraten lediglich Vollstrecker des in der Pnrlamentsmehrheit ver¬
körperten Volkswillens und haben kein Recht auf Wetterführung der Regierung,
wenn diese Mehrheit gegen sie entscheidet. Das fällt den Herren aber gar nicht


Kleinere Mitteilungen.

Ich wollt', ich könnte Morpheus sein,
Ich wiegte in den Schlaf dich ein,
Und abends dann in stiller Ruh
Küßt' ich dir sanft die Augen zu.

Ob diese Sehnsucht nicht eine wirkliche Grundlage hatte und namentlich an die
kleine Levantinerin gerichtet war, will ich unentschieden lassen.

(Fortsetzung folgt.)




Kleinere Mitteilungen.

Der Parlamentarismus in Norwegen. Die Mehrheit des norwegischen
Storthings, an der Spitze ihr ehemaliger Führer Johann Sverdrup, ist bei Ge¬
legenheit der Anklage und Verurteilung des königstreuen Ministers Seltner in
diesen Blättern seinerzeit gezeichnet worden. Die bisherigen Erlebnisse dieser Volks¬
männer dienen zur Vervollständigung des damals von ihnen entworfenen Bildes.
Um den Minister seiner von seinem Platze zu verdrängen, wurde unter Leitung des
Demokraten Johann Sverdrup die bodenlose Anklage gegen seiner erhoben und
mit Hilfe des famosen sogenannten Reichsgerichts (einer in ihrer überwiegenden
Mehrheit aus nicht sachverständigen, von der Storthingsmehrheit gewählten und
von dieser Völlig abhängigen Laien too zusammengesetzten Gesellschaft) durch¬
geführt. Um den dem Minister seiner durch seine Verurteilung abgenommenen
Platz selbst besteigen zu können, wurden von dem gesinnungstüchtigen Demokraten
Sverdrup und seinen Genossen dem Könige gegenüber frühere Worte und Thaten
verleugnet. Um Minister bleiben zu können, wird der so lant und überzeugungs-
treu während ihrer Beschäftigung als Oppositionsführer verkündeten Lehre des
parlamentarischen Regierungssystems ohne Scheu ins Gesicht geschlagen.

Der gegenwärtige Kultusminister, Pastor Jnkvb Sverdrup, eine Neffe des
Ministerpräsidenten Johann Sverdrup, hat mit Billigung der meisten Mitglieder,
insbesondre des Präsidenten des Ministeriums, beim letzten Storthing die Kirchen-
reformvorlage eingebracht, welche gegen Schluß der letzten Session mit großer
Mehrheit von dem Storthing verworfen worden ist. Noch dem Gesetzentwurf
sollten aus Laien bestehende Kirchengemeinderäte eingeführt werden, was sowohl den
Ansichten der Rechten, als denen eines großen Teiles der Linken zuwiderlief; den
Ansichten der letzteren deshalb, weil der Entwurf den Radikalen nicht weit genug
ging, einer Anzahl bäuerlicher Demokraten nicht strenggläubig genug war. Der
Entwurf wurde demgemäß abgelehnt, und nach der Lehre der jetzigen Minister als
Vertreter der parlamentarischen Regierungsform hätten diese auf Grund der er¬
littenen schweren Niederlage sofort zurücktreten oder mindestens eine Vertrnuens-
erklärung vom Storthing verlangen müssen; denn die Minister sind ja nach der
Lehre der Demokraten lediglich Vollstrecker des in der Pnrlamentsmehrheit ver¬
körperten Volkswillens und haben kein Recht auf Wetterführung der Regierung,
wenn diese Mehrheit gegen sie entscheidet. Das fällt den Herren aber gar nicht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/110>, abgerufen am 01.05.2024.