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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Aus den Tagen der Völkerschlacht bei Leipzig.

wig denkwürdig werden die Tage des 16., 18. und 19. Oktober
1813 nicht nnr für Leipzig, sondern für ganz Europa sein, denn
ohne Übertreibung kann man sagen, daß die Schicksale der Völker
Europas von dem Ausgange der in diesen Tagen auf Leipzigs
Gefilden geschlagenen Schlacht abhingen. Daher ist auch keine
Schlacht so oft und so vielseitig beschrieben worden wie gerade diese, und be¬
sonders über den Verlauf der Schlachttage vom 16. und 18. Oktober ist selbst
hinsichtlich der Einzelheiten ziemliche Klarheit vorhanden.

Nicht dasselbe kann man von den Ereignissen des 19. Oktober sagen, denn
schon nach Erstürmung der Vorstädte Leipzigs wurde das allgemeine Durch¬
einander, bei den Verfolgten wie bei den Verfolgern, ein derartiges, daß es den
spätern Chronisten schwer geworden ist, ein geordnetes Bild der Vorgänge dieses
Tages zu geben. Ganz besonders trifft das aber zu bei Betrachtung des
Schicksals, das Friedrich August I., Sachsens König, in jenen schweren Stunde"
zu erdulden hatte, und das fast von jedem Historiker der Leipziger Schlacht anders
dargestellt wird. Unter diesen Umständen ist jedes Zeugnis von Wert, welches
zur Aufhellung der Sachlage dient, in der sich damals König Friedrich August
befand, und umso mehr wird auf ein solches Zeugnis Gewicht zu legen sein, wenn
es von Personen stammt, welche als unmittelbar Mitwirkende anzusehen sind.

Im Nachstehenden möge, aus den noch nicht veröffentlichten Aufzeichnungen
des verstorbenen Leipziger Stadtrates S......, eine höchst beachtenswerte Mit¬
teilung über die betreffenden Ereignisse wiedergegeben sein. Sie rührt von dem
Grafen Schulenburg her, einem gebornen Sachsen, der mit Erlaubnis des Königs
den Feldzug in österreichischen Diensten mitmachte und seinerzeit Adjutant des
Fürsten Schwarzenberg, des Oberkommandirenden der verbündeten Armeen, war.
Die Angaben, welche Graf Schulenburg noch in Gegenwart einer dritten
Person, des Dr. M....., gemacht hat, lauten, wie folgt:

"Als am 19. Oktober vormittags die Verbündeten Monarchen auf el"em
Hügel bei Probstheida hielten und sich von Zeit zu Zeit durch den bei ihnen
Weilenden Fürsten Schwarzenberg Rapporte über den Fortgang der Erstürmung
der Stadt Leipzig erteilen ließen, sprengte ein österreichischer Rittmeister mit
der Meldung heran, daß Napoleon die Stadt soeben verlassen habe, der König
von, Sachsen sich aber im Thomcischen Hanse noch befinde und auch daselbst
bleiben werde. Ein unter der Suite welkender preußischer General sagte darauf



*) Nur Kaiser Alexander II. von Rußland und König Friedrich Wilhelm HD. von Preußen
weilten dort, während sich Kaiser Franz I. auf andern Stellen des Schlachtfeldes befand.
Aus den Tagen der Völkerschlacht bei Leipzig.

wig denkwürdig werden die Tage des 16., 18. und 19. Oktober
1813 nicht nnr für Leipzig, sondern für ganz Europa sein, denn
ohne Übertreibung kann man sagen, daß die Schicksale der Völker
Europas von dem Ausgange der in diesen Tagen auf Leipzigs
Gefilden geschlagenen Schlacht abhingen. Daher ist auch keine
Schlacht so oft und so vielseitig beschrieben worden wie gerade diese, und be¬
sonders über den Verlauf der Schlachttage vom 16. und 18. Oktober ist selbst
hinsichtlich der Einzelheiten ziemliche Klarheit vorhanden.

Nicht dasselbe kann man von den Ereignissen des 19. Oktober sagen, denn
schon nach Erstürmung der Vorstädte Leipzigs wurde das allgemeine Durch¬
einander, bei den Verfolgten wie bei den Verfolgern, ein derartiges, daß es den
spätern Chronisten schwer geworden ist, ein geordnetes Bild der Vorgänge dieses
Tages zu geben. Ganz besonders trifft das aber zu bei Betrachtung des
Schicksals, das Friedrich August I., Sachsens König, in jenen schweren Stunde»
zu erdulden hatte, und das fast von jedem Historiker der Leipziger Schlacht anders
dargestellt wird. Unter diesen Umständen ist jedes Zeugnis von Wert, welches
zur Aufhellung der Sachlage dient, in der sich damals König Friedrich August
befand, und umso mehr wird auf ein solches Zeugnis Gewicht zu legen sein, wenn
es von Personen stammt, welche als unmittelbar Mitwirkende anzusehen sind.

Im Nachstehenden möge, aus den noch nicht veröffentlichten Aufzeichnungen
des verstorbenen Leipziger Stadtrates S......, eine höchst beachtenswerte Mit¬
teilung über die betreffenden Ereignisse wiedergegeben sein. Sie rührt von dem
Grafen Schulenburg her, einem gebornen Sachsen, der mit Erlaubnis des Königs
den Feldzug in österreichischen Diensten mitmachte und seinerzeit Adjutant des
Fürsten Schwarzenberg, des Oberkommandirenden der verbündeten Armeen, war.
Die Angaben, welche Graf Schulenburg noch in Gegenwart einer dritten
Person, des Dr. M....., gemacht hat, lauten, wie folgt:

„Als am 19. Oktober vormittags die Verbündeten Monarchen auf el»em
Hügel bei Probstheida hielten und sich von Zeit zu Zeit durch den bei ihnen
Weilenden Fürsten Schwarzenberg Rapporte über den Fortgang der Erstürmung
der Stadt Leipzig erteilen ließen, sprengte ein österreichischer Rittmeister mit
der Meldung heran, daß Napoleon die Stadt soeben verlassen habe, der König
von, Sachsen sich aber im Thomcischen Hanse noch befinde und auch daselbst
bleiben werde. Ein unter der Suite welkender preußischer General sagte darauf



*) Nur Kaiser Alexander II. von Rußland und König Friedrich Wilhelm HD. von Preußen
weilten dort, während sich Kaiser Franz I. auf andern Stellen des Schlachtfeldes befand.
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[0179] Aus den Tagen der Völkerschlacht bei Leipzig. wig denkwürdig werden die Tage des 16., 18. und 19. Oktober 1813 nicht nnr für Leipzig, sondern für ganz Europa sein, denn ohne Übertreibung kann man sagen, daß die Schicksale der Völker Europas von dem Ausgange der in diesen Tagen auf Leipzigs Gefilden geschlagenen Schlacht abhingen. Daher ist auch keine Schlacht so oft und so vielseitig beschrieben worden wie gerade diese, und be¬ sonders über den Verlauf der Schlachttage vom 16. und 18. Oktober ist selbst hinsichtlich der Einzelheiten ziemliche Klarheit vorhanden. Nicht dasselbe kann man von den Ereignissen des 19. Oktober sagen, denn schon nach Erstürmung der Vorstädte Leipzigs wurde das allgemeine Durch¬ einander, bei den Verfolgten wie bei den Verfolgern, ein derartiges, daß es den spätern Chronisten schwer geworden ist, ein geordnetes Bild der Vorgänge dieses Tages zu geben. Ganz besonders trifft das aber zu bei Betrachtung des Schicksals, das Friedrich August I., Sachsens König, in jenen schweren Stunde» zu erdulden hatte, und das fast von jedem Historiker der Leipziger Schlacht anders dargestellt wird. Unter diesen Umständen ist jedes Zeugnis von Wert, welches zur Aufhellung der Sachlage dient, in der sich damals König Friedrich August befand, und umso mehr wird auf ein solches Zeugnis Gewicht zu legen sein, wenn es von Personen stammt, welche als unmittelbar Mitwirkende anzusehen sind. Im Nachstehenden möge, aus den noch nicht veröffentlichten Aufzeichnungen des verstorbenen Leipziger Stadtrates S......, eine höchst beachtenswerte Mit¬ teilung über die betreffenden Ereignisse wiedergegeben sein. Sie rührt von dem Grafen Schulenburg her, einem gebornen Sachsen, der mit Erlaubnis des Königs den Feldzug in österreichischen Diensten mitmachte und seinerzeit Adjutant des Fürsten Schwarzenberg, des Oberkommandirenden der verbündeten Armeen, war. Die Angaben, welche Graf Schulenburg noch in Gegenwart einer dritten Person, des Dr. M....., gemacht hat, lauten, wie folgt: „Als am 19. Oktober vormittags die Verbündeten Monarchen auf el»em Hügel bei Probstheida hielten und sich von Zeit zu Zeit durch den bei ihnen Weilenden Fürsten Schwarzenberg Rapporte über den Fortgang der Erstürmung der Stadt Leipzig erteilen ließen, sprengte ein österreichischer Rittmeister mit der Meldung heran, daß Napoleon die Stadt soeben verlassen habe, der König von, Sachsen sich aber im Thomcischen Hanse noch befinde und auch daselbst bleiben werde. Ein unter der Suite welkender preußischer General sagte darauf *) Nur Kaiser Alexander II. von Rußland und König Friedrich Wilhelm HD. von Preußen weilten dort, während sich Kaiser Franz I. auf andern Stellen des Schlachtfeldes befand.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/179>, abgerufen am 01.05.2024.