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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Die Geheimbundsprozesse in Deutschland.

glaubten. Wir können in ihnen weder ein Zeichen des Niederganges der po¬
litischen Moral in Deutschland noch einen Beweis dafür erblicken, daß die un¬
heimlichen Künste der Ccirbonari und der Fenier sich bei uns Eingang verschafft
haben; wir sehen darin nur ein Zeichen des Zwiespaltes, in dem sich Gesetz
und öffentliche Meinung zur Zeit noch bezüglich der Auffassung des Begriffes
"Verbindung" befinden.

Es ist kein Beweis von politischer Reife, daß man nach der Veröffent¬
lichung des reichsgerichtlichen Erkenntnisses behaupten konnte, jedes politische
Vereinsleben in Deutschland sei hinfort unmöglich, und die nationalliberale
Partei laufe nicht minder Gefahr, als strafbare Verbindung bezeichnet zu werden,
wie die deutsch-freisinnige und das Zentrum. Nur blinder Parteieifer konnte
so weit gehen, sich im Ernste zu dieser Übertreibung zu versteigen, die ruhige
Prüfung der Sachlage ließ darüber keinen Zweifel-,, daß nur unter besondern
Voraussetzungen eine politische Partei unter den Begriff der Verbindung fällt.
Einen betrübenden Eindruck muß es machen, daß man aus Anlaß der Geheim-
bnudsuntersuchungen die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des obersten deutschen
Gerichtshofes in geradezu schmählicher Weise zu verdächtigen versucht, daß man
den traurigen Mut besessen hat, das glänzende Wappenschild des Reichsgerichts
mit Schmutz zu beweisen, daß man sich nicht gescheut hat, einen Gerichtshof,
auf den jede Nation stolz wäre, in mehr oder minder verblümten Worten der
Liebedienerei und der Gefälligkeit gegenüber der Reichsregicrung zu zeihen. Der
juristischen Kritik der oben angeführten Entscheidungen und ihrer Gründe sei'
voller Raum gegeben und auch die schärfste Beurteilung ist willkommen, so-
lange sie sich aus dem Boden der Wissenschaft bewegt. Aber verdammenswert
erscheint jeder Versuch, dem Reichsgerichte unwürdige Beweggründe unter¬
zuschieben, verdammenswert und verwerflich im höchsten Grade erscheint-es,
durch ein solches Gebühren den Glauben der Massen an die Unbefangenheit
der Rechtspflege zu lockern und zu erschüttern, und wenn die Geheim¬
bundsprozesse längst vergessen sein werden, so wird diese Besudelung der Ehre
des obersten Gerichtshofes noch ein beschämendes Zeugnis dafür ablegen,
daß zu Ausgang des neunzehnten Jahrhunderts die Parteiverblendung ' im
deutschen Reiche eine hinreichende Macht besaß, um talentvolle und gebildete,
im politischen Leben stehende Männer zu einer Kritik der deutschen Rechtspflege
zu veranlassen, wie man sie allenfalls auf dem Gemüse- und Fischmarkt > ver¬
ständlich finden würde.




Die Geheimbundsprozesse in Deutschland.

glaubten. Wir können in ihnen weder ein Zeichen des Niederganges der po¬
litischen Moral in Deutschland noch einen Beweis dafür erblicken, daß die un¬
heimlichen Künste der Ccirbonari und der Fenier sich bei uns Eingang verschafft
haben; wir sehen darin nur ein Zeichen des Zwiespaltes, in dem sich Gesetz
und öffentliche Meinung zur Zeit noch bezüglich der Auffassung des Begriffes
„Verbindung" befinden.

Es ist kein Beweis von politischer Reife, daß man nach der Veröffent¬
lichung des reichsgerichtlichen Erkenntnisses behaupten konnte, jedes politische
Vereinsleben in Deutschland sei hinfort unmöglich, und die nationalliberale
Partei laufe nicht minder Gefahr, als strafbare Verbindung bezeichnet zu werden,
wie die deutsch-freisinnige und das Zentrum. Nur blinder Parteieifer konnte
so weit gehen, sich im Ernste zu dieser Übertreibung zu versteigen, die ruhige
Prüfung der Sachlage ließ darüber keinen Zweifel-,, daß nur unter besondern
Voraussetzungen eine politische Partei unter den Begriff der Verbindung fällt.
Einen betrübenden Eindruck muß es machen, daß man aus Anlaß der Geheim-
bnudsuntersuchungen die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des obersten deutschen
Gerichtshofes in geradezu schmählicher Weise zu verdächtigen versucht, daß man
den traurigen Mut besessen hat, das glänzende Wappenschild des Reichsgerichts
mit Schmutz zu beweisen, daß man sich nicht gescheut hat, einen Gerichtshof,
auf den jede Nation stolz wäre, in mehr oder minder verblümten Worten der
Liebedienerei und der Gefälligkeit gegenüber der Reichsregicrung zu zeihen. Der
juristischen Kritik der oben angeführten Entscheidungen und ihrer Gründe sei'
voller Raum gegeben und auch die schärfste Beurteilung ist willkommen, so-
lange sie sich aus dem Boden der Wissenschaft bewegt. Aber verdammenswert
erscheint jeder Versuch, dem Reichsgerichte unwürdige Beweggründe unter¬
zuschieben, verdammenswert und verwerflich im höchsten Grade erscheint-es,
durch ein solches Gebühren den Glauben der Massen an die Unbefangenheit
der Rechtspflege zu lockern und zu erschüttern, und wenn die Geheim¬
bundsprozesse längst vergessen sein werden, so wird diese Besudelung der Ehre
des obersten Gerichtshofes noch ein beschämendes Zeugnis dafür ablegen,
daß zu Ausgang des neunzehnten Jahrhunderts die Parteiverblendung ' im
deutschen Reiche eine hinreichende Macht besaß, um talentvolle und gebildete,
im politischen Leben stehende Männer zu einer Kritik der deutschen Rechtspflege
zu veranlassen, wie man sie allenfalls auf dem Gemüse- und Fischmarkt > ver¬
ständlich finden würde.




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[0178] Die Geheimbundsprozesse in Deutschland. glaubten. Wir können in ihnen weder ein Zeichen des Niederganges der po¬ litischen Moral in Deutschland noch einen Beweis dafür erblicken, daß die un¬ heimlichen Künste der Ccirbonari und der Fenier sich bei uns Eingang verschafft haben; wir sehen darin nur ein Zeichen des Zwiespaltes, in dem sich Gesetz und öffentliche Meinung zur Zeit noch bezüglich der Auffassung des Begriffes „Verbindung" befinden. Es ist kein Beweis von politischer Reife, daß man nach der Veröffent¬ lichung des reichsgerichtlichen Erkenntnisses behaupten konnte, jedes politische Vereinsleben in Deutschland sei hinfort unmöglich, und die nationalliberale Partei laufe nicht minder Gefahr, als strafbare Verbindung bezeichnet zu werden, wie die deutsch-freisinnige und das Zentrum. Nur blinder Parteieifer konnte so weit gehen, sich im Ernste zu dieser Übertreibung zu versteigen, die ruhige Prüfung der Sachlage ließ darüber keinen Zweifel-,, daß nur unter besondern Voraussetzungen eine politische Partei unter den Begriff der Verbindung fällt. Einen betrübenden Eindruck muß es machen, daß man aus Anlaß der Geheim- bnudsuntersuchungen die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des obersten deutschen Gerichtshofes in geradezu schmählicher Weise zu verdächtigen versucht, daß man den traurigen Mut besessen hat, das glänzende Wappenschild des Reichsgerichts mit Schmutz zu beweisen, daß man sich nicht gescheut hat, einen Gerichtshof, auf den jede Nation stolz wäre, in mehr oder minder verblümten Worten der Liebedienerei und der Gefälligkeit gegenüber der Reichsregicrung zu zeihen. Der juristischen Kritik der oben angeführten Entscheidungen und ihrer Gründe sei' voller Raum gegeben und auch die schärfste Beurteilung ist willkommen, so- lange sie sich aus dem Boden der Wissenschaft bewegt. Aber verdammenswert erscheint jeder Versuch, dem Reichsgerichte unwürdige Beweggründe unter¬ zuschieben, verdammenswert und verwerflich im höchsten Grade erscheint-es, durch ein solches Gebühren den Glauben der Massen an die Unbefangenheit der Rechtspflege zu lockern und zu erschüttern, und wenn die Geheim¬ bundsprozesse längst vergessen sein werden, so wird diese Besudelung der Ehre des obersten Gerichtshofes noch ein beschämendes Zeugnis dafür ablegen, daß zu Ausgang des neunzehnten Jahrhunderts die Parteiverblendung ' im deutschen Reiche eine hinreichende Macht besaß, um talentvolle und gebildete, im politischen Leben stehende Männer zu einer Kritik der deutschen Rechtspflege zu veranlassen, wie man sie allenfalls auf dem Gemüse- und Fischmarkt > ver¬ ständlich finden würde.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/178>, abgerufen am 22.05.2024.