Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Aus den Tagen der Völkerschlacht bei Leipzig.

so laut, daß es Fürst Schwarzenberg und die verbündeten Monarchen hören
konnten: "Da muß man ihn gefangen nehmen," worauf sich Fürst Schwarzen¬
berg mißmutig zu dem Sprecher umdrehte und ihm erwiederte: "Hier habe ich
als Oberfeldherr zu kommandiren und verbitte mir jede Bemerkung." Dann
wandte sich Fürst Schwarzenberg zu mir mit den Worten: "Lieber Schulenburg,
beeilen Sie sich, schnell das auszuführen, was ich Ihnen auftrage sunt setzte, sich zu
mir neigend, heimlich hinzu: ehe uns solch ein.............Preuße'^) zuvorkommt,
denn Sie wissen, daß unsre Interessen komplizirt sind^. Reiten Sie so schnell
wie möglich nach Leipzig und suchen sie vor den König von Sachsen zu kommen
und sagen Sie ihm, daß Sie im Namen und Auftrage Sr. Majestät des Kaisers
von Österreich von mir zu ihm gesendet worden sind, dem Könige zu sagen,
daß sich derselbe als Gefangener anzusehen habe, und bringen Sie mir feinen
Degen; ich erwarte Sie an dem Thore von Leipzig."

In denkbar kürzester Zeit befand ich mich am Eingange der Stadt. Unsre
Truppen hatten bereits die Straße, welche nach dem innern Thore führte, vom
Feinde gereinigt; tausende von Menschen versperrten aber noch das innere Thor
und auf beiden Seiten der Allee (Promenade) hörte ich noch stark schießen.
Nach einigen Minuten war das Thor zur Grimmaischen Gasse von den wenigen
Feinden gesäubert und ich ritt in dieselbe ein, wobei ich noch genötigt war,
gegen einen auf mich anlegenden französischen Dragoner mich zu verteidigen.
Durch das ungeheure Gedränge, welches in der Grimmaischen Gasse und aus
dem Markte herrschte, mich langsam durcharbeitend, hielt ich endlich vor dem
Hause des Königs, vor welchem eine Kompagnie sächsischer Garde-Grenadiere
Wache stand. Der Kapitän derselben rief mir zu: "Schulenburg, was machen
Sie hier? Sie tragen ja österreichische Uniform!" Doch erkannte ich ihn in
der Eile des Eintritts nicht. Den Eingang des Hauses fand ich vollgepfropft
mit polnischen Offizieren, welche, als sie mich sahen, riefen: "Wir wollen öster¬
reichische Gefangene sein, nehmen Sie unsre Degen und lassen Sie uns nicht
in russische Gefangenschaft kommen." Ich erwiederte: "Meine Herren! Ich
muß zum König von Sachsen, legen Sie Ihre Degen auf einen Haufen, Sie
sind meine Gefangenen."

Als ich im ersten Stock in die Wohnung des Königs trat, fand ich alle
Thüren weit geöffnet. In den Vorzimmern befanden sich, unter vielen sächsischen
Offizieren und Hofbediensteten, wohl an zwanzig Damen, die teils zum Hof¬
staate gehören mochten, teils aber auch, ihrer Kleidung nach, Frauen aus der
Stadt waren, die hier Schutz suchten. Den König fand ich in seinem Zimmer auf
dem Sofa sitzend, ihm zur Rechten und Linken die Königin und die Prinzessin
Auguste, beide in Thränen. Ich wandte mich sofort an den König mit fol-



*) Das hier ausgelassene Epitheton ist eins von denen, mit welchen H. Heine die Lapp-
lttnder schmückte.
Aus den Tagen der Völkerschlacht bei Leipzig.

so laut, daß es Fürst Schwarzenberg und die verbündeten Monarchen hören
konnten: »Da muß man ihn gefangen nehmen,« worauf sich Fürst Schwarzen¬
berg mißmutig zu dem Sprecher umdrehte und ihm erwiederte: »Hier habe ich
als Oberfeldherr zu kommandiren und verbitte mir jede Bemerkung.« Dann
wandte sich Fürst Schwarzenberg zu mir mit den Worten: »Lieber Schulenburg,
beeilen Sie sich, schnell das auszuführen, was ich Ihnen auftrage sunt setzte, sich zu
mir neigend, heimlich hinzu: ehe uns solch ein.............Preuße'^) zuvorkommt,
denn Sie wissen, daß unsre Interessen komplizirt sind^. Reiten Sie so schnell
wie möglich nach Leipzig und suchen sie vor den König von Sachsen zu kommen
und sagen Sie ihm, daß Sie im Namen und Auftrage Sr. Majestät des Kaisers
von Österreich von mir zu ihm gesendet worden sind, dem Könige zu sagen,
daß sich derselbe als Gefangener anzusehen habe, und bringen Sie mir feinen
Degen; ich erwarte Sie an dem Thore von Leipzig.«

In denkbar kürzester Zeit befand ich mich am Eingange der Stadt. Unsre
Truppen hatten bereits die Straße, welche nach dem innern Thore führte, vom
Feinde gereinigt; tausende von Menschen versperrten aber noch das innere Thor
und auf beiden Seiten der Allee (Promenade) hörte ich noch stark schießen.
Nach einigen Minuten war das Thor zur Grimmaischen Gasse von den wenigen
Feinden gesäubert und ich ritt in dieselbe ein, wobei ich noch genötigt war,
gegen einen auf mich anlegenden französischen Dragoner mich zu verteidigen.
Durch das ungeheure Gedränge, welches in der Grimmaischen Gasse und aus
dem Markte herrschte, mich langsam durcharbeitend, hielt ich endlich vor dem
Hause des Königs, vor welchem eine Kompagnie sächsischer Garde-Grenadiere
Wache stand. Der Kapitän derselben rief mir zu: »Schulenburg, was machen
Sie hier? Sie tragen ja österreichische Uniform!« Doch erkannte ich ihn in
der Eile des Eintritts nicht. Den Eingang des Hauses fand ich vollgepfropft
mit polnischen Offizieren, welche, als sie mich sahen, riefen: »Wir wollen öster¬
reichische Gefangene sein, nehmen Sie unsre Degen und lassen Sie uns nicht
in russische Gefangenschaft kommen.« Ich erwiederte: »Meine Herren! Ich
muß zum König von Sachsen, legen Sie Ihre Degen auf einen Haufen, Sie
sind meine Gefangenen.«

Als ich im ersten Stock in die Wohnung des Königs trat, fand ich alle
Thüren weit geöffnet. In den Vorzimmern befanden sich, unter vielen sächsischen
Offizieren und Hofbediensteten, wohl an zwanzig Damen, die teils zum Hof¬
staate gehören mochten, teils aber auch, ihrer Kleidung nach, Frauen aus der
Stadt waren, die hier Schutz suchten. Den König fand ich in seinem Zimmer auf
dem Sofa sitzend, ihm zur Rechten und Linken die Königin und die Prinzessin
Auguste, beide in Thränen. Ich wandte mich sofort an den König mit fol-



*) Das hier ausgelassene Epitheton ist eins von denen, mit welchen H. Heine die Lapp-
lttnder schmückte.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0180" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/201609"/>
          <fw type="header" place="top"> Aus den Tagen der Völkerschlacht bei Leipzig.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_432" prev="#ID_431"> so laut, daß es Fürst Schwarzenberg und die verbündeten Monarchen hören<lb/>
konnten: »Da muß man ihn gefangen nehmen,« worauf sich Fürst Schwarzen¬<lb/>
berg mißmutig zu dem Sprecher umdrehte und ihm erwiederte: »Hier habe ich<lb/>
als Oberfeldherr zu kommandiren und verbitte mir jede Bemerkung.« Dann<lb/>
wandte sich Fürst Schwarzenberg zu mir mit den Worten: »Lieber Schulenburg,<lb/>
beeilen Sie sich, schnell das auszuführen, was ich Ihnen auftrage sunt setzte, sich zu<lb/>
mir neigend, heimlich hinzu: ehe uns solch ein.............Preuße'^) zuvorkommt,<lb/>
denn Sie wissen, daß unsre Interessen komplizirt sind^. Reiten Sie so schnell<lb/>
wie möglich nach Leipzig und suchen sie vor den König von Sachsen zu kommen<lb/>
und sagen Sie ihm, daß Sie im Namen und Auftrage Sr. Majestät des Kaisers<lb/>
von Österreich von mir zu ihm gesendet worden sind, dem Könige zu sagen,<lb/>
daß sich derselbe als Gefangener anzusehen habe, und bringen Sie mir feinen<lb/>
Degen; ich erwarte Sie an dem Thore von Leipzig.«</p><lb/>
          <p xml:id="ID_433"> In denkbar kürzester Zeit befand ich mich am Eingange der Stadt. Unsre<lb/>
Truppen hatten bereits die Straße, welche nach dem innern Thore führte, vom<lb/>
Feinde gereinigt; tausende von Menschen versperrten aber noch das innere Thor<lb/>
und auf beiden Seiten der Allee (Promenade) hörte ich noch stark schießen.<lb/>
Nach einigen Minuten war das Thor zur Grimmaischen Gasse von den wenigen<lb/>
Feinden gesäubert und ich ritt in dieselbe ein, wobei ich noch genötigt war,<lb/>
gegen einen auf mich anlegenden französischen Dragoner mich zu verteidigen.<lb/>
Durch das ungeheure Gedränge, welches in der Grimmaischen Gasse und aus<lb/>
dem Markte herrschte, mich langsam durcharbeitend, hielt ich endlich vor dem<lb/>
Hause des Königs, vor welchem eine Kompagnie sächsischer Garde-Grenadiere<lb/>
Wache stand. Der Kapitän derselben rief mir zu: »Schulenburg, was machen<lb/>
Sie hier? Sie tragen ja österreichische Uniform!« Doch erkannte ich ihn in<lb/>
der Eile des Eintritts nicht. Den Eingang des Hauses fand ich vollgepfropft<lb/>
mit polnischen Offizieren, welche, als sie mich sahen, riefen: »Wir wollen öster¬<lb/>
reichische Gefangene sein, nehmen Sie unsre Degen und lassen Sie uns nicht<lb/>
in russische Gefangenschaft kommen.« Ich erwiederte: »Meine Herren! Ich<lb/>
muß zum König von Sachsen, legen Sie Ihre Degen auf einen Haufen, Sie<lb/>
sind meine Gefangenen.«</p><lb/>
          <p xml:id="ID_434" next="#ID_435"> Als ich im ersten Stock in die Wohnung des Königs trat, fand ich alle<lb/>
Thüren weit geöffnet. In den Vorzimmern befanden sich, unter vielen sächsischen<lb/>
Offizieren und Hofbediensteten, wohl an zwanzig Damen, die teils zum Hof¬<lb/>
staate gehören mochten, teils aber auch, ihrer Kleidung nach, Frauen aus der<lb/>
Stadt waren, die hier Schutz suchten. Den König fand ich in seinem Zimmer auf<lb/>
dem Sofa sitzend, ihm zur Rechten und Linken die Königin und die Prinzessin<lb/>
Auguste, beide in Thränen.  Ich wandte mich sofort an den König mit fol-</p><lb/>
          <note xml:id="FID_34" place="foot"> *) Das hier ausgelassene Epitheton ist eins von denen, mit welchen H. Heine die Lapp-<lb/>
lttnder schmückte.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0180] Aus den Tagen der Völkerschlacht bei Leipzig. so laut, daß es Fürst Schwarzenberg und die verbündeten Monarchen hören konnten: »Da muß man ihn gefangen nehmen,« worauf sich Fürst Schwarzen¬ berg mißmutig zu dem Sprecher umdrehte und ihm erwiederte: »Hier habe ich als Oberfeldherr zu kommandiren und verbitte mir jede Bemerkung.« Dann wandte sich Fürst Schwarzenberg zu mir mit den Worten: »Lieber Schulenburg, beeilen Sie sich, schnell das auszuführen, was ich Ihnen auftrage sunt setzte, sich zu mir neigend, heimlich hinzu: ehe uns solch ein.............Preuße'^) zuvorkommt, denn Sie wissen, daß unsre Interessen komplizirt sind^. Reiten Sie so schnell wie möglich nach Leipzig und suchen sie vor den König von Sachsen zu kommen und sagen Sie ihm, daß Sie im Namen und Auftrage Sr. Majestät des Kaisers von Österreich von mir zu ihm gesendet worden sind, dem Könige zu sagen, daß sich derselbe als Gefangener anzusehen habe, und bringen Sie mir feinen Degen; ich erwarte Sie an dem Thore von Leipzig.« In denkbar kürzester Zeit befand ich mich am Eingange der Stadt. Unsre Truppen hatten bereits die Straße, welche nach dem innern Thore führte, vom Feinde gereinigt; tausende von Menschen versperrten aber noch das innere Thor und auf beiden Seiten der Allee (Promenade) hörte ich noch stark schießen. Nach einigen Minuten war das Thor zur Grimmaischen Gasse von den wenigen Feinden gesäubert und ich ritt in dieselbe ein, wobei ich noch genötigt war, gegen einen auf mich anlegenden französischen Dragoner mich zu verteidigen. Durch das ungeheure Gedränge, welches in der Grimmaischen Gasse und aus dem Markte herrschte, mich langsam durcharbeitend, hielt ich endlich vor dem Hause des Königs, vor welchem eine Kompagnie sächsischer Garde-Grenadiere Wache stand. Der Kapitän derselben rief mir zu: »Schulenburg, was machen Sie hier? Sie tragen ja österreichische Uniform!« Doch erkannte ich ihn in der Eile des Eintritts nicht. Den Eingang des Hauses fand ich vollgepfropft mit polnischen Offizieren, welche, als sie mich sahen, riefen: »Wir wollen öster¬ reichische Gefangene sein, nehmen Sie unsre Degen und lassen Sie uns nicht in russische Gefangenschaft kommen.« Ich erwiederte: »Meine Herren! Ich muß zum König von Sachsen, legen Sie Ihre Degen auf einen Haufen, Sie sind meine Gefangenen.« Als ich im ersten Stock in die Wohnung des Königs trat, fand ich alle Thüren weit geöffnet. In den Vorzimmern befanden sich, unter vielen sächsischen Offizieren und Hofbediensteten, wohl an zwanzig Damen, die teils zum Hof¬ staate gehören mochten, teils aber auch, ihrer Kleidung nach, Frauen aus der Stadt waren, die hier Schutz suchten. Den König fand ich in seinem Zimmer auf dem Sofa sitzend, ihm zur Rechten und Linken die Königin und die Prinzessin Auguste, beide in Thränen. Ich wandte mich sofort an den König mit fol- *) Das hier ausgelassene Epitheton ist eins von denen, mit welchen H. Heine die Lapp- lttnder schmückte.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/180
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/180>, abgerufen am 22.05.2024.