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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Galeotto.

aleotto bezeichnete im spätern Mittelalter als allgemein bekcinnts
dichterische Figur das, was man noch heutzutage in England
gleichfalls literarischen Ursprungs einen Pander nennt (Pandarus
s. Shakespeare, Troilus und Cressida), einen Augehörigen jener
ehrbaren Zunft, die man, wie alles, was in ihr widerliches
Gewerbe schlägt, nicht gern offen nennt und doch so oft nennen muß. König
Galeotto ist nämlich im Kreise der Artusromane der flache, nichtige Gelegenheits¬
macher, welcher den herrlichen, aber zugleich unschuldigen "tuenden" Helden
Lanzelot und das Muster der Frauen, die sittsame Königin Ginevra, zu Falle
bringt. Die Bedeutung des Namens war als bekannt so sicher vorauszusetzen,
daß Dante an jener Stelle des fünften Gesanges der Hölle, welchem das un¬
glückliche Liebespaar Paolo und Francesecr seine Unsterblichkeit verdankt, Fran-
cesca vom Lanzelotbuche, das auch in ihnen das Verhängnis wirkte, aus¬
rufen läßt:


Galeotto war das Buch, und der es schrieb --
An jenem Tage lasen wir nicht weiter.

Die Wunderstelle hat in einem spanischen Dichter unsrer Tage abermals eine
Tragödie gewirkt, wie es ja trotz des thörichten Umsturz- und Neuanfangs¬
dünkels gewisser Zeiten ewig die Eigentümlichkeit guter Stoffe -- d. h. erster
glücklicher Fassungen allgemein menschlicher Vorgänge -- sein wird, durch alle
Zeiten immer neu befruchtend zu wirken. Tief erfaßt, reif und ernst durch¬
geführt, ist bei diesem die erschütternde Wirkung auch diesmal nicht ausgeblieben.
Da sie zugleich tief, edel und eigenartig ist, so möchten wir nicht verfehlen,
das mit obigem Titel versehene Familiendrama des Jose Echegaray aus der
gleichgiltigen Menge seiner äußerlichen, gerade nur einen Theaterabend aus¬
füllenden Geschwister an dieser Stelle herauszuheben. Das Stück bedeutet über¬
haupt in mancher Hinsicht eine Art stMäg-ra ok >?c"r1l, d. h. da wir freilich nicht
Meisterwerk sagen können, eine Art Muster und Ziel der modernen Bühnen-
produltiou. Es ist in Deutschland schon geraume Zeit bekannt, durch den Druck
und Aufführungen an den wichtigsten Plätzen. Es hat sich, wie es bei uns
Gott sei Dank noch immer möglich ist, geräuschlos und ohne jedes der be¬
kannten, dem besten Publikum von vornherein nur verdächtigen "drastischen
Mittel" die Aufmerksamkeit und Neigung der Einsichtsvollen erworben. Es
eignet sich daher vortrefflich, manches daran anzuknüpfen, was sich von einem
höhern Standpunkte über diese ganze Literatur und ihre mit komischem Ernst
immer wieder erörterten alleinigen Ansprüche auf die Zukunft vielleicht sagen
ließe. Als uns das Stück zum ersten male flüchtig aufstieß -- vor mehr als


Galeotto.

aleotto bezeichnete im spätern Mittelalter als allgemein bekcinnts
dichterische Figur das, was man noch heutzutage in England
gleichfalls literarischen Ursprungs einen Pander nennt (Pandarus
s. Shakespeare, Troilus und Cressida), einen Augehörigen jener
ehrbaren Zunft, die man, wie alles, was in ihr widerliches
Gewerbe schlägt, nicht gern offen nennt und doch so oft nennen muß. König
Galeotto ist nämlich im Kreise der Artusromane der flache, nichtige Gelegenheits¬
macher, welcher den herrlichen, aber zugleich unschuldigen „tuenden" Helden
Lanzelot und das Muster der Frauen, die sittsame Königin Ginevra, zu Falle
bringt. Die Bedeutung des Namens war als bekannt so sicher vorauszusetzen,
daß Dante an jener Stelle des fünften Gesanges der Hölle, welchem das un¬
glückliche Liebespaar Paolo und Francesecr seine Unsterblichkeit verdankt, Fran-
cesca vom Lanzelotbuche, das auch in ihnen das Verhängnis wirkte, aus¬
rufen läßt:


Galeotto war das Buch, und der es schrieb —
An jenem Tage lasen wir nicht weiter.

Die Wunderstelle hat in einem spanischen Dichter unsrer Tage abermals eine
Tragödie gewirkt, wie es ja trotz des thörichten Umsturz- und Neuanfangs¬
dünkels gewisser Zeiten ewig die Eigentümlichkeit guter Stoffe — d. h. erster
glücklicher Fassungen allgemein menschlicher Vorgänge — sein wird, durch alle
Zeiten immer neu befruchtend zu wirken. Tief erfaßt, reif und ernst durch¬
geführt, ist bei diesem die erschütternde Wirkung auch diesmal nicht ausgeblieben.
Da sie zugleich tief, edel und eigenartig ist, so möchten wir nicht verfehlen,
das mit obigem Titel versehene Familiendrama des Jose Echegaray aus der
gleichgiltigen Menge seiner äußerlichen, gerade nur einen Theaterabend aus¬
füllenden Geschwister an dieser Stelle herauszuheben. Das Stück bedeutet über¬
haupt in mancher Hinsicht eine Art stMäg-ra ok >?c»r1l, d. h. da wir freilich nicht
Meisterwerk sagen können, eine Art Muster und Ziel der modernen Bühnen-
produltiou. Es ist in Deutschland schon geraume Zeit bekannt, durch den Druck
und Aufführungen an den wichtigsten Plätzen. Es hat sich, wie es bei uns
Gott sei Dank noch immer möglich ist, geräuschlos und ohne jedes der be¬
kannten, dem besten Publikum von vornherein nur verdächtigen „drastischen
Mittel" die Aufmerksamkeit und Neigung der Einsichtsvollen erworben. Es
eignet sich daher vortrefflich, manches daran anzuknüpfen, was sich von einem
höhern Standpunkte über diese ganze Literatur und ihre mit komischem Ernst
immer wieder erörterten alleinigen Ansprüche auf die Zukunft vielleicht sagen
ließe. Als uns das Stück zum ersten male flüchtig aufstieß — vor mehr als


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[0243] Galeotto. aleotto bezeichnete im spätern Mittelalter als allgemein bekcinnts dichterische Figur das, was man noch heutzutage in England gleichfalls literarischen Ursprungs einen Pander nennt (Pandarus s. Shakespeare, Troilus und Cressida), einen Augehörigen jener ehrbaren Zunft, die man, wie alles, was in ihr widerliches Gewerbe schlägt, nicht gern offen nennt und doch so oft nennen muß. König Galeotto ist nämlich im Kreise der Artusromane der flache, nichtige Gelegenheits¬ macher, welcher den herrlichen, aber zugleich unschuldigen „tuenden" Helden Lanzelot und das Muster der Frauen, die sittsame Königin Ginevra, zu Falle bringt. Die Bedeutung des Namens war als bekannt so sicher vorauszusetzen, daß Dante an jener Stelle des fünften Gesanges der Hölle, welchem das un¬ glückliche Liebespaar Paolo und Francesecr seine Unsterblichkeit verdankt, Fran- cesca vom Lanzelotbuche, das auch in ihnen das Verhängnis wirkte, aus¬ rufen läßt: Galeotto war das Buch, und der es schrieb — An jenem Tage lasen wir nicht weiter. Die Wunderstelle hat in einem spanischen Dichter unsrer Tage abermals eine Tragödie gewirkt, wie es ja trotz des thörichten Umsturz- und Neuanfangs¬ dünkels gewisser Zeiten ewig die Eigentümlichkeit guter Stoffe — d. h. erster glücklicher Fassungen allgemein menschlicher Vorgänge — sein wird, durch alle Zeiten immer neu befruchtend zu wirken. Tief erfaßt, reif und ernst durch¬ geführt, ist bei diesem die erschütternde Wirkung auch diesmal nicht ausgeblieben. Da sie zugleich tief, edel und eigenartig ist, so möchten wir nicht verfehlen, das mit obigem Titel versehene Familiendrama des Jose Echegaray aus der gleichgiltigen Menge seiner äußerlichen, gerade nur einen Theaterabend aus¬ füllenden Geschwister an dieser Stelle herauszuheben. Das Stück bedeutet über¬ haupt in mancher Hinsicht eine Art stMäg-ra ok >?c»r1l, d. h. da wir freilich nicht Meisterwerk sagen können, eine Art Muster und Ziel der modernen Bühnen- produltiou. Es ist in Deutschland schon geraume Zeit bekannt, durch den Druck und Aufführungen an den wichtigsten Plätzen. Es hat sich, wie es bei uns Gott sei Dank noch immer möglich ist, geräuschlos und ohne jedes der be¬ kannten, dem besten Publikum von vornherein nur verdächtigen „drastischen Mittel" die Aufmerksamkeit und Neigung der Einsichtsvollen erworben. Es eignet sich daher vortrefflich, manches daran anzuknüpfen, was sich von einem höhern Standpunkte über diese ganze Literatur und ihre mit komischem Ernst immer wieder erörterten alleinigen Ansprüche auf die Zukunft vielleicht sagen ließe. Als uns das Stück zum ersten male flüchtig aufstieß — vor mehr als

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/243>, abgerufen am 01.05.2024.