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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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politische Zustände und Aussichten in Frankreich.

sichten und deren Verbreitung will der Freisinn nicht die Vorfrucht für die
Sozialdemokratie sein!

Der Casfarel-Andlau-Bonlangersche Skandal giebt dem edeln "Organ" in
einem Artikel über die französischen Armeeverhältnisse Veranlassung, einen
Unterschied zu machen zwischen "derplebejischen Masse" des französischen Offizier-
korps, das seit dem Kriege neugebildet wurden ist, und einer "Anzahl patrizischer
Überbleibsel des Kaiserreiches, einer aristokratischen Clique," und liefert der Volks¬
zeitung den Beweis, "daß es nicht der volkstümliche Charakter des französischen
Heerleitungswcsens ist, der die soeben bekannt gewordenen Fälle von Bestech¬
lichkeit erzeugt hat, sondern daß umgekehrt der Geist, auf dem die Armee der
Republik beruht, sich gegen die faulen Überreste der Napoleonischen Wirtschaft
auflehnt." Mit der raffinirtesten Heuchelei sucht so das freisinnige Organ
Münze für die Herrlichkeit der Demokratie zu schlagen, indem sie nicht jenen
Recht geben will, "die die eingeleitete rücksichtslose Untersuchung als ein Zeichen
des Verfalls und der Verkommenheit" betrachten -- wer diese Leute seien,
darüber schweigt das Blatt --, sondern sie will diese "rücksichtslose Unter¬
suchung" betrachten "als ein Zeichen eines regen, demokratischen Gemeinsinns."
Und so wird denn der schmutzige Handel begraben unter dem "regen demo¬
kratischen Gemeinsinn," und auch diese Caffarelsche Geschichte muß zur Verherr¬
lichung der Republik dienen!

Warum beschäftigen wir uns aber mit der unerfreulichen Arbeit, auf dieses
Gebühren der Opposition hinzuweisen zu einer Zeit, wo der Zusammenschluß
der Mittelparteien eine gemeinsame Arbeit möglich gemacht hat, wie sie frucht¬
bringender in den Annalen des deutschen Reichstages noch nicht dagewesen ist?
Darum, weil daraus deutlich zu ersehen ist, wie das Viridus ranis das oberste
Gesetz für die Kartellparteien bleiben muß.




politische Zustände und Aussichten in Frankreich.

le Aufgabe Frankreichs war in der Zeit nach 1871, wie wir
wiederholen, sich möglichst viele Freunde und möglichst wenige
Feinde unter den Mächten zu machen und durch Stetigkeit der
Regierung bündnisfähig zu werden. Das letztere ist, wie gezeigt
wurde, durch deu Parlamentarismus und die Selbstsucht der
Parteien vereitelt, das erstere niemals im Ernste versucht worden. Keines-WWW-MW


politische Zustände und Aussichten in Frankreich.

sichten und deren Verbreitung will der Freisinn nicht die Vorfrucht für die
Sozialdemokratie sein!

Der Casfarel-Andlau-Bonlangersche Skandal giebt dem edeln „Organ" in
einem Artikel über die französischen Armeeverhältnisse Veranlassung, einen
Unterschied zu machen zwischen „derplebejischen Masse" des französischen Offizier-
korps, das seit dem Kriege neugebildet wurden ist, und einer „Anzahl patrizischer
Überbleibsel des Kaiserreiches, einer aristokratischen Clique," und liefert der Volks¬
zeitung den Beweis, „daß es nicht der volkstümliche Charakter des französischen
Heerleitungswcsens ist, der die soeben bekannt gewordenen Fälle von Bestech¬
lichkeit erzeugt hat, sondern daß umgekehrt der Geist, auf dem die Armee der
Republik beruht, sich gegen die faulen Überreste der Napoleonischen Wirtschaft
auflehnt." Mit der raffinirtesten Heuchelei sucht so das freisinnige Organ
Münze für die Herrlichkeit der Demokratie zu schlagen, indem sie nicht jenen
Recht geben will, „die die eingeleitete rücksichtslose Untersuchung als ein Zeichen
des Verfalls und der Verkommenheit" betrachten — wer diese Leute seien,
darüber schweigt das Blatt —, sondern sie will diese „rücksichtslose Unter¬
suchung" betrachten „als ein Zeichen eines regen, demokratischen Gemeinsinns."
Und so wird denn der schmutzige Handel begraben unter dem „regen demo¬
kratischen Gemeinsinn," und auch diese Caffarelsche Geschichte muß zur Verherr¬
lichung der Republik dienen!

Warum beschäftigen wir uns aber mit der unerfreulichen Arbeit, auf dieses
Gebühren der Opposition hinzuweisen zu einer Zeit, wo der Zusammenschluß
der Mittelparteien eine gemeinsame Arbeit möglich gemacht hat, wie sie frucht¬
bringender in den Annalen des deutschen Reichstages noch nicht dagewesen ist?
Darum, weil daraus deutlich zu ersehen ist, wie das Viridus ranis das oberste
Gesetz für die Kartellparteien bleiben muß.




politische Zustände und Aussichten in Frankreich.

le Aufgabe Frankreichs war in der Zeit nach 1871, wie wir
wiederholen, sich möglichst viele Freunde und möglichst wenige
Feinde unter den Mächten zu machen und durch Stetigkeit der
Regierung bündnisfähig zu werden. Das letztere ist, wie gezeigt
wurde, durch deu Parlamentarismus und die Selbstsucht der
Parteien vereitelt, das erstere niemals im Ernste versucht worden. Keines-WWW-MW


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[0318] politische Zustände und Aussichten in Frankreich. sichten und deren Verbreitung will der Freisinn nicht die Vorfrucht für die Sozialdemokratie sein! Der Casfarel-Andlau-Bonlangersche Skandal giebt dem edeln „Organ" in einem Artikel über die französischen Armeeverhältnisse Veranlassung, einen Unterschied zu machen zwischen „derplebejischen Masse" des französischen Offizier- korps, das seit dem Kriege neugebildet wurden ist, und einer „Anzahl patrizischer Überbleibsel des Kaiserreiches, einer aristokratischen Clique," und liefert der Volks¬ zeitung den Beweis, „daß es nicht der volkstümliche Charakter des französischen Heerleitungswcsens ist, der die soeben bekannt gewordenen Fälle von Bestech¬ lichkeit erzeugt hat, sondern daß umgekehrt der Geist, auf dem die Armee der Republik beruht, sich gegen die faulen Überreste der Napoleonischen Wirtschaft auflehnt." Mit der raffinirtesten Heuchelei sucht so das freisinnige Organ Münze für die Herrlichkeit der Demokratie zu schlagen, indem sie nicht jenen Recht geben will, „die die eingeleitete rücksichtslose Untersuchung als ein Zeichen des Verfalls und der Verkommenheit" betrachten — wer diese Leute seien, darüber schweigt das Blatt —, sondern sie will diese „rücksichtslose Unter¬ suchung" betrachten „als ein Zeichen eines regen, demokratischen Gemeinsinns." Und so wird denn der schmutzige Handel begraben unter dem „regen demo¬ kratischen Gemeinsinn," und auch diese Caffarelsche Geschichte muß zur Verherr¬ lichung der Republik dienen! Warum beschäftigen wir uns aber mit der unerfreulichen Arbeit, auf dieses Gebühren der Opposition hinzuweisen zu einer Zeit, wo der Zusammenschluß der Mittelparteien eine gemeinsame Arbeit möglich gemacht hat, wie sie frucht¬ bringender in den Annalen des deutschen Reichstages noch nicht dagewesen ist? Darum, weil daraus deutlich zu ersehen ist, wie das Viridus ranis das oberste Gesetz für die Kartellparteien bleiben muß. politische Zustände und Aussichten in Frankreich. le Aufgabe Frankreichs war in der Zeit nach 1871, wie wir wiederholen, sich möglichst viele Freunde und möglichst wenige Feinde unter den Mächten zu machen und durch Stetigkeit der Regierung bündnisfähig zu werden. Das letztere ist, wie gezeigt wurde, durch deu Parlamentarismus und die Selbstsucht der Parteien vereitelt, das erstere niemals im Ernste versucht worden. Keines-WWW-MW

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/318>, abgerufen am 01.05.2024.