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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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falls durften die Franzosen, wenn sie klug waren, sich in schroffen Gegensatz
gegen eine Macht ersten Ranges stellen; sie haben es aber sogar gegen
mehrere gethan. Allerdings haben einige Ministerien, namentlich das Ferrysche,
versucht, erträgliche Beziehungen zu Berlin herzustellen und zu Pflegen, und
dabei Entgegenkommen gefunden, aber andre, vorzüglich die, in welchen Bou-
langer seine Renommistenrolle spielen durfte, thaten ungefähr das Gegenteil,
und was das Volk angeht, so haben die, welche für dasselbe das Wort führen,
nie aufgehört, der Welt zu sagen, daß die Nation uns von Herzen hasse, weil
wir, als sie uus ohne Grund angriff, uns als die stärkeren erwiesen und ihr
ein Stück Land abnahmen, dessen wir zur Sicherung unsrer Grenzen gegen
weitere Angriffe bedurften, und das überdies einmal zum deutschen Reiche ge¬
hört hatte. Dieser Haß war, so erklärte man uns, unauslöschlich und sollte
so bald als möglich in Thaten kundgegeben werden. In Spanien unterstützte
man die Karlisten und liebäugelte mit den Republikanern, wozu später die
grobe Beleidigung des jetzt verstorbenen Königs durch den Pariser Pöbel und
die Nebenbuhlerschaft in Marokko kamen. Ferner ergriff Frankreich die erste
beste Gelegenheit, es mit Italien zu verderben, indem es in Tunis nicht
allein dessen Interesse schwer verletzte, sondern auch den Stolz des ver¬
jüngten tapfern Volkes empfindlich gegen sich aufregte, sodaß selbst die fran¬
zösische Partei hier nunmehr sich von den brutale" Nachbarn abwendete
oder wenigstens verstummen mußte. Die Einsprüche des römischen Hofes wurden
mit kaum verhehlter Geringschätzung behandelt und eine Schntzherrschaft über Tune-
sien errichtet, die einer Besitzergreifung gleichkam und bei der Lage desselben dicht
vor Sizilien zu einer gefährlichen Bedrohung wurde. Kaum war dieser Triumph
erfochten, so wurde mit China ein Streit über Tvnking vom Zaune gebrochen,
und als ob es daran nicht gering wäre, der versöhnlichste aller Päpste, die in
diesem Jahrhunderte ans dem Stuhle Sankt Peters saßen, tief gekränkt. Ludwig
Philipp hatte den alten Widerwillen der Engländer gegen die Franzosen in ein
gutes Einvernehmen verwandelt, Napoleon der Dritte es erhalten und gefördert.
Die Kolonialpolitik der Republik zerstörte es durch ihre Unternehmungen in
Nordafrika, in Tonking und China, in Madagaskar, auf australischen Inseln*)
und namentlich durch ihr Verhalten zu der ägyptischen Frage. Wir vermögen
in der Geschichte der letzten Jahre kaum ein einziges Beispiel aufzufinden, wo
die leitenden französischen Politiker in der Art verfahren wären, daß sie sich
eine fremde Macht damit günstig gestimmt hätten, man müßte denn an Griechen¬
land denken, das aber wenig bedeuten will und durch dessen Beschützung und
Förderung bei seinen Vergrößerungsgelüsten man sich die Pforte entfremdete,
deren Macht trotz aller ihrer Einbußen in den letzten Jahrzehnten immer noch
zehnmal schwerer wiegt als die des kleinen, ruhmrcdigeu Gernegroß in Athen.



Die Neuen Hebriden sind gemeint. Der betreffende Streit ist übrigens, wie der
ägyptische, vor kurzem geschlichtet worden.

falls durften die Franzosen, wenn sie klug waren, sich in schroffen Gegensatz
gegen eine Macht ersten Ranges stellen; sie haben es aber sogar gegen
mehrere gethan. Allerdings haben einige Ministerien, namentlich das Ferrysche,
versucht, erträgliche Beziehungen zu Berlin herzustellen und zu Pflegen, und
dabei Entgegenkommen gefunden, aber andre, vorzüglich die, in welchen Bou-
langer seine Renommistenrolle spielen durfte, thaten ungefähr das Gegenteil,
und was das Volk angeht, so haben die, welche für dasselbe das Wort führen,
nie aufgehört, der Welt zu sagen, daß die Nation uns von Herzen hasse, weil
wir, als sie uus ohne Grund angriff, uns als die stärkeren erwiesen und ihr
ein Stück Land abnahmen, dessen wir zur Sicherung unsrer Grenzen gegen
weitere Angriffe bedurften, und das überdies einmal zum deutschen Reiche ge¬
hört hatte. Dieser Haß war, so erklärte man uns, unauslöschlich und sollte
so bald als möglich in Thaten kundgegeben werden. In Spanien unterstützte
man die Karlisten und liebäugelte mit den Republikanern, wozu später die
grobe Beleidigung des jetzt verstorbenen Königs durch den Pariser Pöbel und
die Nebenbuhlerschaft in Marokko kamen. Ferner ergriff Frankreich die erste
beste Gelegenheit, es mit Italien zu verderben, indem es in Tunis nicht
allein dessen Interesse schwer verletzte, sondern auch den Stolz des ver¬
jüngten tapfern Volkes empfindlich gegen sich aufregte, sodaß selbst die fran¬
zösische Partei hier nunmehr sich von den brutale» Nachbarn abwendete
oder wenigstens verstummen mußte. Die Einsprüche des römischen Hofes wurden
mit kaum verhehlter Geringschätzung behandelt und eine Schntzherrschaft über Tune-
sien errichtet, die einer Besitzergreifung gleichkam und bei der Lage desselben dicht
vor Sizilien zu einer gefährlichen Bedrohung wurde. Kaum war dieser Triumph
erfochten, so wurde mit China ein Streit über Tvnking vom Zaune gebrochen,
und als ob es daran nicht gering wäre, der versöhnlichste aller Päpste, die in
diesem Jahrhunderte ans dem Stuhle Sankt Peters saßen, tief gekränkt. Ludwig
Philipp hatte den alten Widerwillen der Engländer gegen die Franzosen in ein
gutes Einvernehmen verwandelt, Napoleon der Dritte es erhalten und gefördert.
Die Kolonialpolitik der Republik zerstörte es durch ihre Unternehmungen in
Nordafrika, in Tonking und China, in Madagaskar, auf australischen Inseln*)
und namentlich durch ihr Verhalten zu der ägyptischen Frage. Wir vermögen
in der Geschichte der letzten Jahre kaum ein einziges Beispiel aufzufinden, wo
die leitenden französischen Politiker in der Art verfahren wären, daß sie sich
eine fremde Macht damit günstig gestimmt hätten, man müßte denn an Griechen¬
land denken, das aber wenig bedeuten will und durch dessen Beschützung und
Förderung bei seinen Vergrößerungsgelüsten man sich die Pforte entfremdete,
deren Macht trotz aller ihrer Einbußen in den letzten Jahrzehnten immer noch
zehnmal schwerer wiegt als die des kleinen, ruhmrcdigeu Gernegroß in Athen.



Die Neuen Hebriden sind gemeint. Der betreffende Streit ist übrigens, wie der
ägyptische, vor kurzem geschlichtet worden.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/319>, abgerufen am 22.05.2024.