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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Mehr Besorgnis als alle Anzapfungen der Regierung durch den Frei¬
sinn konnte der Kongreß der vereinigten Sozialdemokraten in Se. Gallen erregen.
Er that einen Schritt weiter vorwärts, um den sozialen Krieg und das Ver¬
derben der Völker herbeizuführen. Wenn sich auch nicht mit Bestimmtheit
sagen läßt, daß die Gemäßigten der Partei von den Radikalen zurückgeworfen
worden seien, weil sie durch ihre Beteiligung an parlamentarischer Arbeit die
Frage der sozialen Revolution erst in zweiter Linie gestellt hätten, so wurde
doch die schärfere Betonung des revolutionären Charakters der sozialdemokratischen
Bewegung beschlossen. Auf die Wahlen kann das zukünftig einen großen Ein¬
fluß haben, da die Deutschfreisinnigen besonders bei den Stichwahlen durch die
Gemeinschaft mit den Sozialdemokraten ihre Geschäfte gemacht haben. Nur
ist fraglich, ob die Se. Galterer Beschlüsse im einzelnen Falle durchgeführt
werden. Der Parteitag hat auch von dem künftigen Zentral-Wahlkomitee der
Partei verlangt, daß es den Vielkandidaturen der einzelnen Genossen nach
Möglichkeit entgegentrete. Gleichwohl wurde bei den sächsischen Landtags¬
wahlen, die am 18. Oktober vorzunehmen waren, Bebel in drei, Liebknecht in
fünf Wahlkreisen aufgestellt. So ist es auch fraglich, ob das Verbot, mit
andern Parteien bei den Wahlen zu gehen, d. h. gegebenen Falles den Frei¬
sinn oder die Ultramontanen zu unterstützen, ausgeführt wird. Die sozial¬
demokratischen Führer wissen zu gut, daß die Freisinnigen ihren Bestrebungen
den Boden bereiten. Die Freisinnigen selbst waren, wie die Volkszeitung in
ihrem Berichte über die Se. Galterer Beschlüsse zeigt, über die Maßen entzückt,
daß die Bekehrung der deutscheu Sozialdemokraten "zur rohen Gewalt" nicht
wahr sei, und sich nur darin die schärfere Betonung der sozialen Revolution
kundgegeben habe, daß die Richtung Bebel-Liebknecht auf der ganzen Linie gesiegt
habe. Daß aber die Sozialdemokraten jetzt eine gemäßigtere Haltung grund¬
sätzlich aufgegeben hätten, das sei die Frucht der staatsmännischen Thätigkeit der
Freunde des Sozialistengesetzes. Sicher, dieses Völkchen mit dem Heilmittel
der "freien Diskussion" würde noch fortschwatzen, auch wenn es die Hiebe der
sozialdemokratischen Fäuste schon spürte. Trotz des Sieges der extremen Richtung
in Se. Gallen, deren Vertreter z. B. keinen Anstoß nahmen, die Thaten der
Kommune selbst im deutschen Reichstage zu verherrliche", sieht die Volkszeitung
keine Spur von Befürwortung "roher Gewalt." Es ist eben nur die "unaus¬
bleibliche Wirkung des Sozialistengesetzes eingetreten," aber die sozialdemo¬
kratische Partei hat sich doch noch "innerhalb der praktisch und prinzipiell
auch nach heutigem Recht zulässigen Grenzen gehalten." Also die Forde¬
rung der Enteignung von Grund und Boden und der sämtlichen Produk¬
tionsmittel, die Forderung, das ganze bewegliche und unbewegliche Eigen¬
tum den bisherigen Besitzern zu entziehen, liegt den Staatsmännern des
Organs für jedermann ans dem Volke "innerhalb der auch nach heutigen!
Rechte praktisch und prinzipiell zulässigen Grenzen." Und mit solchen An-


Mehr Besorgnis als alle Anzapfungen der Regierung durch den Frei¬
sinn konnte der Kongreß der vereinigten Sozialdemokraten in Se. Gallen erregen.
Er that einen Schritt weiter vorwärts, um den sozialen Krieg und das Ver¬
derben der Völker herbeizuführen. Wenn sich auch nicht mit Bestimmtheit
sagen läßt, daß die Gemäßigten der Partei von den Radikalen zurückgeworfen
worden seien, weil sie durch ihre Beteiligung an parlamentarischer Arbeit die
Frage der sozialen Revolution erst in zweiter Linie gestellt hätten, so wurde
doch die schärfere Betonung des revolutionären Charakters der sozialdemokratischen
Bewegung beschlossen. Auf die Wahlen kann das zukünftig einen großen Ein¬
fluß haben, da die Deutschfreisinnigen besonders bei den Stichwahlen durch die
Gemeinschaft mit den Sozialdemokraten ihre Geschäfte gemacht haben. Nur
ist fraglich, ob die Se. Galterer Beschlüsse im einzelnen Falle durchgeführt
werden. Der Parteitag hat auch von dem künftigen Zentral-Wahlkomitee der
Partei verlangt, daß es den Vielkandidaturen der einzelnen Genossen nach
Möglichkeit entgegentrete. Gleichwohl wurde bei den sächsischen Landtags¬
wahlen, die am 18. Oktober vorzunehmen waren, Bebel in drei, Liebknecht in
fünf Wahlkreisen aufgestellt. So ist es auch fraglich, ob das Verbot, mit
andern Parteien bei den Wahlen zu gehen, d. h. gegebenen Falles den Frei¬
sinn oder die Ultramontanen zu unterstützen, ausgeführt wird. Die sozial¬
demokratischen Führer wissen zu gut, daß die Freisinnigen ihren Bestrebungen
den Boden bereiten. Die Freisinnigen selbst waren, wie die Volkszeitung in
ihrem Berichte über die Se. Galterer Beschlüsse zeigt, über die Maßen entzückt,
daß die Bekehrung der deutscheu Sozialdemokraten „zur rohen Gewalt" nicht
wahr sei, und sich nur darin die schärfere Betonung der sozialen Revolution
kundgegeben habe, daß die Richtung Bebel-Liebknecht auf der ganzen Linie gesiegt
habe. Daß aber die Sozialdemokraten jetzt eine gemäßigtere Haltung grund¬
sätzlich aufgegeben hätten, das sei die Frucht der staatsmännischen Thätigkeit der
Freunde des Sozialistengesetzes. Sicher, dieses Völkchen mit dem Heilmittel
der „freien Diskussion" würde noch fortschwatzen, auch wenn es die Hiebe der
sozialdemokratischen Fäuste schon spürte. Trotz des Sieges der extremen Richtung
in Se. Gallen, deren Vertreter z. B. keinen Anstoß nahmen, die Thaten der
Kommune selbst im deutschen Reichstage zu verherrliche», sieht die Volkszeitung
keine Spur von Befürwortung „roher Gewalt." Es ist eben nur die „unaus¬
bleibliche Wirkung des Sozialistengesetzes eingetreten," aber die sozialdemo¬
kratische Partei hat sich doch noch „innerhalb der praktisch und prinzipiell
auch nach heutigem Recht zulässigen Grenzen gehalten." Also die Forde¬
rung der Enteignung von Grund und Boden und der sämtlichen Produk¬
tionsmittel, die Forderung, das ganze bewegliche und unbewegliche Eigen¬
tum den bisherigen Besitzern zu entziehen, liegt den Staatsmännern des
Organs für jedermann ans dem Volke „innerhalb der auch nach heutigen!
Rechte praktisch und prinzipiell zulässigen Grenzen." Und mit solchen An-


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[0317] Mehr Besorgnis als alle Anzapfungen der Regierung durch den Frei¬ sinn konnte der Kongreß der vereinigten Sozialdemokraten in Se. Gallen erregen. Er that einen Schritt weiter vorwärts, um den sozialen Krieg und das Ver¬ derben der Völker herbeizuführen. Wenn sich auch nicht mit Bestimmtheit sagen läßt, daß die Gemäßigten der Partei von den Radikalen zurückgeworfen worden seien, weil sie durch ihre Beteiligung an parlamentarischer Arbeit die Frage der sozialen Revolution erst in zweiter Linie gestellt hätten, so wurde doch die schärfere Betonung des revolutionären Charakters der sozialdemokratischen Bewegung beschlossen. Auf die Wahlen kann das zukünftig einen großen Ein¬ fluß haben, da die Deutschfreisinnigen besonders bei den Stichwahlen durch die Gemeinschaft mit den Sozialdemokraten ihre Geschäfte gemacht haben. Nur ist fraglich, ob die Se. Galterer Beschlüsse im einzelnen Falle durchgeführt werden. Der Parteitag hat auch von dem künftigen Zentral-Wahlkomitee der Partei verlangt, daß es den Vielkandidaturen der einzelnen Genossen nach Möglichkeit entgegentrete. Gleichwohl wurde bei den sächsischen Landtags¬ wahlen, die am 18. Oktober vorzunehmen waren, Bebel in drei, Liebknecht in fünf Wahlkreisen aufgestellt. So ist es auch fraglich, ob das Verbot, mit andern Parteien bei den Wahlen zu gehen, d. h. gegebenen Falles den Frei¬ sinn oder die Ultramontanen zu unterstützen, ausgeführt wird. Die sozial¬ demokratischen Führer wissen zu gut, daß die Freisinnigen ihren Bestrebungen den Boden bereiten. Die Freisinnigen selbst waren, wie die Volkszeitung in ihrem Berichte über die Se. Galterer Beschlüsse zeigt, über die Maßen entzückt, daß die Bekehrung der deutscheu Sozialdemokraten „zur rohen Gewalt" nicht wahr sei, und sich nur darin die schärfere Betonung der sozialen Revolution kundgegeben habe, daß die Richtung Bebel-Liebknecht auf der ganzen Linie gesiegt habe. Daß aber die Sozialdemokraten jetzt eine gemäßigtere Haltung grund¬ sätzlich aufgegeben hätten, das sei die Frucht der staatsmännischen Thätigkeit der Freunde des Sozialistengesetzes. Sicher, dieses Völkchen mit dem Heilmittel der „freien Diskussion" würde noch fortschwatzen, auch wenn es die Hiebe der sozialdemokratischen Fäuste schon spürte. Trotz des Sieges der extremen Richtung in Se. Gallen, deren Vertreter z. B. keinen Anstoß nahmen, die Thaten der Kommune selbst im deutschen Reichstage zu verherrliche», sieht die Volkszeitung keine Spur von Befürwortung „roher Gewalt." Es ist eben nur die „unaus¬ bleibliche Wirkung des Sozialistengesetzes eingetreten," aber die sozialdemo¬ kratische Partei hat sich doch noch „innerhalb der praktisch und prinzipiell auch nach heutigem Recht zulässigen Grenzen gehalten." Also die Forde¬ rung der Enteignung von Grund und Boden und der sämtlichen Produk¬ tionsmittel, die Forderung, das ganze bewegliche und unbewegliche Eigen¬ tum den bisherigen Besitzern zu entziehen, liegt den Staatsmännern des Organs für jedermann ans dem Volke „innerhalb der auch nach heutigen! Rechte praktisch und prinzipiell zulässigen Grenzen." Und mit solchen An-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/317>, abgerufen am 16.05.2024.