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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Eine Fahrt in den Orient.

Die Croupiers sollen die Geschicklichkeit besitzen, as oorri^ör ig. torwns, und
ein türkischer Offizier, der jüngst dies zu entdecken glaubte, machte kurzen
Prozeß, er raffte alles auf dem Tische befindliche Geld einschließlich der Vorräte
des Bankiers zusammen, warf die Tische zur Erde und zog seines Weges, indem
er jeden mit seinem Säbel bedrohte. Da die Bankhalter selbst in einem Glas¬
hause sitzen, mußten sie sich in Acht nehmen, auf andre Steine zu werfen, und
so ließen sie sich diese Plünderung ruhig gefallen. Darauf ist ein Verbot
ergangen, daß die Offiziere abends von Pera fern bleiben sollen. Das ist alles,
und es wird natürlich so lange dauern, bis es anders wird. Vorgestern nachts
wurde sogar ein Mann nicht weit von unserm Hause überfallen und beraubt;
selbstverständlich hat man von den Räubern keine Spur, man kann nicht gegen
das Kismeth kämpfen. Wahrscheinlich hatte während dieses Überfalls der treue
Wächter der Nacht einige hundert Schritte davon so laut mit seinem Stocke
gepocht, daß die Räuber eine Störung durch ihn nicht zu fürchten hatten. Wozu
sich auch in fremde Händel mischen, das ginge gegen das Walten der türkischen
Vorsehung.




^. Um die Mauern und um das goldne Horn.

Wenn ich euch neulich schrieb, daß die Spuren der römisch-byzantinischen
Kaiser von dem Erdboden vertilgt seien, so hätte ich freilich die großen Mauern
ausnehmen müssen, die sich von den sieben Türmen des Marmarameeres an der
Landseite bis nach der am goldnen Horn gelegenen Vorstadt Ejub hinziehen
und diese Landseite der Stadt gegen feindliche Angriffe zu schützen bestimmt
waren. Ein Ritt um die ganzen Mauern nimmt mehrere Stunden in Anspruch,
und da es sich fügte, daß uns ein türkischer Freund aus der hohen Pforte
begleiten wollte, diesem aber nicht allzuviel Zeit zur Verfügung stand, so be¬
schlossen wir, die Partie zu teilen. Wir holten unsern Freund ab und ritten
dann quer durch Stambul, das, je öfter man es sieht, desto mehr Anziehungs¬
punkte bietet. Unser aus vier Mann bestehender Reiterzug, dem die unver¬
meidlichen Pferdetreiber folgten, fand kaum Platz, sich durch die belebten Straßen
durchzuwinden. Es herrscht ein Verkehr und ein Gewerbereichtum, als ob
von hier aus die Bedürfnisse der ganzen Welt befriedigt werden müßten, nament¬
lich scheint das Handwerk in Blute zu stehen, und so zogen wir durch Reihen
von Straßen, in denen Werkstatt an Werkstatt stößt. Eine solche ist ein großer,
nach der Straße geöffneter Raum, der auch nur von dieser aus das Licht
empfängt, sodaß die Arbeit vor den Augen aller vor sich geht und das Ge¬
klapper und Gehämmer mit dem Tosen der Meuge einen ewigen Kampf besteht.
Es wird einem dabei ganz wüst zu Mute, und man fühlt, daß die Nerven
ganz besonders gestählt sein müssen, um diesen Höllenlärm zu ertragen. Inso¬
fern ist aber das Bild auch wieder eintönig, als die gleichen Gewerken, wie bei
uns im Mittelalter und in denjenigen Städten, die noch die alte Sitte bewahrt


Eine Fahrt in den Orient.

Die Croupiers sollen die Geschicklichkeit besitzen, as oorri^ör ig. torwns, und
ein türkischer Offizier, der jüngst dies zu entdecken glaubte, machte kurzen
Prozeß, er raffte alles auf dem Tische befindliche Geld einschließlich der Vorräte
des Bankiers zusammen, warf die Tische zur Erde und zog seines Weges, indem
er jeden mit seinem Säbel bedrohte. Da die Bankhalter selbst in einem Glas¬
hause sitzen, mußten sie sich in Acht nehmen, auf andre Steine zu werfen, und
so ließen sie sich diese Plünderung ruhig gefallen. Darauf ist ein Verbot
ergangen, daß die Offiziere abends von Pera fern bleiben sollen. Das ist alles,
und es wird natürlich so lange dauern, bis es anders wird. Vorgestern nachts
wurde sogar ein Mann nicht weit von unserm Hause überfallen und beraubt;
selbstverständlich hat man von den Räubern keine Spur, man kann nicht gegen
das Kismeth kämpfen. Wahrscheinlich hatte während dieses Überfalls der treue
Wächter der Nacht einige hundert Schritte davon so laut mit seinem Stocke
gepocht, daß die Räuber eine Störung durch ihn nicht zu fürchten hatten. Wozu
sich auch in fremde Händel mischen, das ginge gegen das Walten der türkischen
Vorsehung.




^. Um die Mauern und um das goldne Horn.

Wenn ich euch neulich schrieb, daß die Spuren der römisch-byzantinischen
Kaiser von dem Erdboden vertilgt seien, so hätte ich freilich die großen Mauern
ausnehmen müssen, die sich von den sieben Türmen des Marmarameeres an der
Landseite bis nach der am goldnen Horn gelegenen Vorstadt Ejub hinziehen
und diese Landseite der Stadt gegen feindliche Angriffe zu schützen bestimmt
waren. Ein Ritt um die ganzen Mauern nimmt mehrere Stunden in Anspruch,
und da es sich fügte, daß uns ein türkischer Freund aus der hohen Pforte
begleiten wollte, diesem aber nicht allzuviel Zeit zur Verfügung stand, so be¬
schlossen wir, die Partie zu teilen. Wir holten unsern Freund ab und ritten
dann quer durch Stambul, das, je öfter man es sieht, desto mehr Anziehungs¬
punkte bietet. Unser aus vier Mann bestehender Reiterzug, dem die unver¬
meidlichen Pferdetreiber folgten, fand kaum Platz, sich durch die belebten Straßen
durchzuwinden. Es herrscht ein Verkehr und ein Gewerbereichtum, als ob
von hier aus die Bedürfnisse der ganzen Welt befriedigt werden müßten, nament¬
lich scheint das Handwerk in Blute zu stehen, und so zogen wir durch Reihen
von Straßen, in denen Werkstatt an Werkstatt stößt. Eine solche ist ein großer,
nach der Straße geöffneter Raum, der auch nur von dieser aus das Licht
empfängt, sodaß die Arbeit vor den Augen aller vor sich geht und das Ge¬
klapper und Gehämmer mit dem Tosen der Meuge einen ewigen Kampf besteht.
Es wird einem dabei ganz wüst zu Mute, und man fühlt, daß die Nerven
ganz besonders gestählt sein müssen, um diesen Höllenlärm zu ertragen. Inso¬
fern ist aber das Bild auch wieder eintönig, als die gleichen Gewerken, wie bei
uns im Mittelalter und in denjenigen Städten, die noch die alte Sitte bewahrt


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[0446] Eine Fahrt in den Orient. Die Croupiers sollen die Geschicklichkeit besitzen, as oorri^ör ig. torwns, und ein türkischer Offizier, der jüngst dies zu entdecken glaubte, machte kurzen Prozeß, er raffte alles auf dem Tische befindliche Geld einschließlich der Vorräte des Bankiers zusammen, warf die Tische zur Erde und zog seines Weges, indem er jeden mit seinem Säbel bedrohte. Da die Bankhalter selbst in einem Glas¬ hause sitzen, mußten sie sich in Acht nehmen, auf andre Steine zu werfen, und so ließen sie sich diese Plünderung ruhig gefallen. Darauf ist ein Verbot ergangen, daß die Offiziere abends von Pera fern bleiben sollen. Das ist alles, und es wird natürlich so lange dauern, bis es anders wird. Vorgestern nachts wurde sogar ein Mann nicht weit von unserm Hause überfallen und beraubt; selbstverständlich hat man von den Räubern keine Spur, man kann nicht gegen das Kismeth kämpfen. Wahrscheinlich hatte während dieses Überfalls der treue Wächter der Nacht einige hundert Schritte davon so laut mit seinem Stocke gepocht, daß die Räuber eine Störung durch ihn nicht zu fürchten hatten. Wozu sich auch in fremde Händel mischen, das ginge gegen das Walten der türkischen Vorsehung. ^. Um die Mauern und um das goldne Horn. Wenn ich euch neulich schrieb, daß die Spuren der römisch-byzantinischen Kaiser von dem Erdboden vertilgt seien, so hätte ich freilich die großen Mauern ausnehmen müssen, die sich von den sieben Türmen des Marmarameeres an der Landseite bis nach der am goldnen Horn gelegenen Vorstadt Ejub hinziehen und diese Landseite der Stadt gegen feindliche Angriffe zu schützen bestimmt waren. Ein Ritt um die ganzen Mauern nimmt mehrere Stunden in Anspruch, und da es sich fügte, daß uns ein türkischer Freund aus der hohen Pforte begleiten wollte, diesem aber nicht allzuviel Zeit zur Verfügung stand, so be¬ schlossen wir, die Partie zu teilen. Wir holten unsern Freund ab und ritten dann quer durch Stambul, das, je öfter man es sieht, desto mehr Anziehungs¬ punkte bietet. Unser aus vier Mann bestehender Reiterzug, dem die unver¬ meidlichen Pferdetreiber folgten, fand kaum Platz, sich durch die belebten Straßen durchzuwinden. Es herrscht ein Verkehr und ein Gewerbereichtum, als ob von hier aus die Bedürfnisse der ganzen Welt befriedigt werden müßten, nament¬ lich scheint das Handwerk in Blute zu stehen, und so zogen wir durch Reihen von Straßen, in denen Werkstatt an Werkstatt stößt. Eine solche ist ein großer, nach der Straße geöffneter Raum, der auch nur von dieser aus das Licht empfängt, sodaß die Arbeit vor den Augen aller vor sich geht und das Ge¬ klapper und Gehämmer mit dem Tosen der Meuge einen ewigen Kampf besteht. Es wird einem dabei ganz wüst zu Mute, und man fühlt, daß die Nerven ganz besonders gestählt sein müssen, um diesen Höllenlärm zu ertragen. Inso¬ fern ist aber das Bild auch wieder eintönig, als die gleichen Gewerken, wie bei uns im Mittelalter und in denjenigen Städten, die noch die alte Sitte bewahrt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/446>, abgerufen am 01.05.2024.