Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite


David Beronski.
von H. von Schreibershofen.! (Fortschung.)
3.

lexei hat Recht, es wäre eine große Schwäche, das Buch zu
scheuen, nicht wissen und erkennen zu wollen, was man bekämpft,
sagte David zu sich, als er zurückging und das kleine, schwarze
Buch in der verborgensten Tasche seines Kastens trug.

Zu Hause schloß er es weg, damit kein unberufenes Auge sein
Dasein entdecke. Er hätte sich gern bei irgend jemand Rat geholt, aber er wußte zu
gut, daß schon der Besitz des Buches ihn in den Augen seiner Glaubensgenossen
verdächtig machen würde. Er mußte es für sich behalten und empfand plötzlich
den vollen, peinlichen Druck eines Geheimnisses, dessen Entdeckung für ihn nicht
nur unangenehme, sondern sehr bedenkliche Folgen haben konnte. Am liebsten
hätte er doch die ganze Sache wieder rückgängig gemacht, aber da tauchte
Alcxeis spöttisches Lächeln, worin so viel verächtliches Mitleid gelegen hatte,
in seiner Erinnerung ans; er hätte wieder gesagt, es sei Furcht, und an
Alexeis guter Meinung war ihm mehr gelegen, als er den Seinigen oder irgend
jemand hier hätte eingestehen mögen. Er that ja auch nichts unrechtes, sein Ge¬
wissen sprach ihn frei, aber davon reden durfte er nicht, und den ganzen nächsten
Tag ging er unruhig umher, alles in seinem Geiste wieder und wieder erwägend.

Er wollte einem armen Menschen eine Wohlthat erweisen, aber einem
Andersgläubigen, und seine heiligen Bücher verlangten, daß er sich ganz fern
von ihnen halte, ihnen sogar Abbruch thue, wo er könne. So war es ihm
gelehrt worden, und gedankenlos hatte er es angehört und nachgeplappert.
Sollte er jetzt darnach handeln? Sein Gefühl sträubte sich plötzlich gegen
diese Lehre, denn er hätte ja auch Alexei schädigen müssen, wo immer es möglich


Grenzboten I. 1883. Is


David Beronski.
von H. von Schreibershofen.! (Fortschung.)
3.

lexei hat Recht, es wäre eine große Schwäche, das Buch zu
scheuen, nicht wissen und erkennen zu wollen, was man bekämpft,
sagte David zu sich, als er zurückging und das kleine, schwarze
Buch in der verborgensten Tasche seines Kastens trug.

Zu Hause schloß er es weg, damit kein unberufenes Auge sein
Dasein entdecke. Er hätte sich gern bei irgend jemand Rat geholt, aber er wußte zu
gut, daß schon der Besitz des Buches ihn in den Augen seiner Glaubensgenossen
verdächtig machen würde. Er mußte es für sich behalten und empfand plötzlich
den vollen, peinlichen Druck eines Geheimnisses, dessen Entdeckung für ihn nicht
nur unangenehme, sondern sehr bedenkliche Folgen haben konnte. Am liebsten
hätte er doch die ganze Sache wieder rückgängig gemacht, aber da tauchte
Alcxeis spöttisches Lächeln, worin so viel verächtliches Mitleid gelegen hatte,
in seiner Erinnerung ans; er hätte wieder gesagt, es sei Furcht, und an
Alexeis guter Meinung war ihm mehr gelegen, als er den Seinigen oder irgend
jemand hier hätte eingestehen mögen. Er that ja auch nichts unrechtes, sein Ge¬
wissen sprach ihn frei, aber davon reden durfte er nicht, und den ganzen nächsten
Tag ging er unruhig umher, alles in seinem Geiste wieder und wieder erwägend.

Er wollte einem armen Menschen eine Wohlthat erweisen, aber einem
Andersgläubigen, und seine heiligen Bücher verlangten, daß er sich ganz fern
von ihnen halte, ihnen sogar Abbruch thue, wo er könne. So war es ihm
gelehrt worden, und gedankenlos hatte er es angehört und nachgeplappert.
Sollte er jetzt darnach handeln? Sein Gefühl sträubte sich plötzlich gegen
diese Lehre, denn er hätte ja auch Alexei schädigen müssen, wo immer es möglich


Grenzboten I. 1883. Is
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0153" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/202252"/>
          <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341847_202098/figures/grenzboten_341847_202098_202252_000.jpg"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> David Beronski.<lb/><note type="byline"> von H. von Schreibershofen.!</note> (Fortschung.)</head><lb/>
          <div n="2">
            <head> 3.</head><lb/>
            <p xml:id="ID_521"> lexei hat Recht, es wäre eine große Schwäche, das Buch zu<lb/>
scheuen, nicht wissen und erkennen zu wollen, was man bekämpft,<lb/>
sagte David zu sich, als er zurückging und das kleine, schwarze<lb/>
Buch in der verborgensten Tasche seines Kastens trug.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_522"> Zu Hause schloß er es weg, damit kein unberufenes Auge sein<lb/>
Dasein entdecke. Er hätte sich gern bei irgend jemand Rat geholt, aber er wußte zu<lb/>
gut, daß schon der Besitz des Buches ihn in den Augen seiner Glaubensgenossen<lb/>
verdächtig machen würde. Er mußte es für sich behalten und empfand plötzlich<lb/>
den vollen, peinlichen Druck eines Geheimnisses, dessen Entdeckung für ihn nicht<lb/>
nur unangenehme, sondern sehr bedenkliche Folgen haben konnte. Am liebsten<lb/>
hätte er doch die ganze Sache wieder rückgängig gemacht, aber da tauchte<lb/>
Alcxeis spöttisches Lächeln, worin so viel verächtliches Mitleid gelegen hatte,<lb/>
in seiner Erinnerung ans; er hätte wieder gesagt, es sei Furcht, und an<lb/>
Alexeis guter Meinung war ihm mehr gelegen, als er den Seinigen oder irgend<lb/>
jemand hier hätte eingestehen mögen. Er that ja auch nichts unrechtes, sein Ge¬<lb/>
wissen sprach ihn frei, aber davon reden durfte er nicht, und den ganzen nächsten<lb/>
Tag ging er unruhig umher, alles in seinem Geiste wieder und wieder erwägend.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_523" next="#ID_524"> Er wollte einem armen Menschen eine Wohlthat erweisen, aber einem<lb/>
Andersgläubigen, und seine heiligen Bücher verlangten, daß er sich ganz fern<lb/>
von ihnen halte, ihnen sogar Abbruch thue, wo er könne. So war es ihm<lb/>
gelehrt worden, und gedankenlos hatte er es angehört und nachgeplappert.<lb/>
Sollte er jetzt darnach handeln? Sein Gefühl sträubte sich plötzlich gegen<lb/>
diese Lehre, denn er hätte ja auch Alexei schädigen müssen, wo immer es möglich</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten I. 1883. Is</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0153] [Abbildung] David Beronski. von H. von Schreibershofen.! (Fortschung.) 3. lexei hat Recht, es wäre eine große Schwäche, das Buch zu scheuen, nicht wissen und erkennen zu wollen, was man bekämpft, sagte David zu sich, als er zurückging und das kleine, schwarze Buch in der verborgensten Tasche seines Kastens trug. Zu Hause schloß er es weg, damit kein unberufenes Auge sein Dasein entdecke. Er hätte sich gern bei irgend jemand Rat geholt, aber er wußte zu gut, daß schon der Besitz des Buches ihn in den Augen seiner Glaubensgenossen verdächtig machen würde. Er mußte es für sich behalten und empfand plötzlich den vollen, peinlichen Druck eines Geheimnisses, dessen Entdeckung für ihn nicht nur unangenehme, sondern sehr bedenkliche Folgen haben konnte. Am liebsten hätte er doch die ganze Sache wieder rückgängig gemacht, aber da tauchte Alcxeis spöttisches Lächeln, worin so viel verächtliches Mitleid gelegen hatte, in seiner Erinnerung ans; er hätte wieder gesagt, es sei Furcht, und an Alexeis guter Meinung war ihm mehr gelegen, als er den Seinigen oder irgend jemand hier hätte eingestehen mögen. Er that ja auch nichts unrechtes, sein Ge¬ wissen sprach ihn frei, aber davon reden durfte er nicht, und den ganzen nächsten Tag ging er unruhig umher, alles in seinem Geiste wieder und wieder erwägend. Er wollte einem armen Menschen eine Wohlthat erweisen, aber einem Andersgläubigen, und seine heiligen Bücher verlangten, daß er sich ganz fern von ihnen halte, ihnen sogar Abbruch thue, wo er könne. So war es ihm gelehrt worden, und gedankenlos hatte er es angehört und nachgeplappert. Sollte er jetzt darnach handeln? Sein Gefühl sträubte sich plötzlich gegen diese Lehre, denn er hätte ja auch Alexei schädigen müssen, wo immer es möglich Grenzboten I. 1883. Is

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/153
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/153>, abgerufen am 01.05.2024.