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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Zwei Wiegen,

rüchtigte Schacher mit Napoleon III. im Jahre 1867, der Luxemburg mit seiner
starken Festung den Franzosen in die Hände spielen und ihnen somit, neben
Straßburg und Metz, ein drittes Ausfallsthvr gegen Deutschland liefern sollte.

Diese fünf (später vier) Staaten waren, neben ihrer Eigenschaft als Mit¬
glieder des Bundes, zugleich auch "europäische Mächte," und ihre "europäischen,"
namentlich aber auch ihre nationalen Interessen überwogen, abgesehen von
Preußen, ihre deutschen Interessen bei weitem oder liefen ihnen gar schnurstracks
zuwider. Die übrigen Bundesstaaten, von denen allerdings die etwas größern
auch mit mehr oder weniger Erfolg selbständige Großmächte zu spielen suchten,
genossen zwar nicht des Vorzuges, als "europäische" Mächte angesehen zu werden;
wenn man aber glauben wollte, daß sie an einem Strange gezogen, daß sie als
ihre wahren Interessen nur die allgemein-deutschen anerkannt und nur diese ver¬
folgt hätten, so würde man sehr irren. Der Sondervorteil der Fürstenhäuser
und des damit zusammenhängenden Adels- und Beamtenstandes, der engherzige
und kurzsichtige Partikularismus der Bevölkerungen, den man als berechtigte
Eigentümlichkeit der von jeher getrennten deutschen Stämme zu bezeichnen liebte,
verhinderten stets jegliche Einigkeit, jegliches gemeinsame Zusammengehen. Zwar
fiel der wahre Vorteil der Dynastien und der der Bevölkerung fast niemals
zusammen, (man denke nur an den Zollverein, an Münz-, Maß- und Gewichts¬
einheit, Freizügigkeit, gemeinsames Jndigenat u. s. w.); zwar war jeder der
größern Staaten aus verschiednen deutschen Stämmen willkürlich zusammen¬
gesetzt, z. V. enthielt das "bairische Reich," wie man damals gern sagte, Baiern,
Schwaben, Alemannen, Ostfranken, Rheinfranken, Obersachsen und sogar einige
tausend Wallonen in der Pfalz; aber das schadete nichts, solche Thatsachen durften
dem Volke ja nicht zum Bewußtsein kommen; so etwas lernte man damals weder
auf deutschen Gymnasien, noch auf deutschen Universitäten. (Fortsetzung folgt.)




Zwei Wiegen.

n seinem neuen Roman Zwei Wiegen*) macht Wilhelm Jordan
einmal die Bemerkung: "Wie man denn auch den echten Poeten
besonders daran erkennt, daß er oft überwiesen wird, mehr gesagt
zu haben, als er wollte und wissen konnte" (I, 342). Eine sehr
feine Beobachtung, die wieder zeigt, daß Jordan als Theoretiker
tief in das Wesen der Dichtkunst eingedrungen ist. Der echte Dichter stellt mit



Zwei Wiegen. Roman in zwei Minden von Wilhelm Jordan. Berlin,
G. Grotesche Verlagsbuchhandlung, 1837.
Grenzvoten I. 1883. ^
Zwei Wiegen,

rüchtigte Schacher mit Napoleon III. im Jahre 1867, der Luxemburg mit seiner
starken Festung den Franzosen in die Hände spielen und ihnen somit, neben
Straßburg und Metz, ein drittes Ausfallsthvr gegen Deutschland liefern sollte.

Diese fünf (später vier) Staaten waren, neben ihrer Eigenschaft als Mit¬
glieder des Bundes, zugleich auch „europäische Mächte," und ihre „europäischen,"
namentlich aber auch ihre nationalen Interessen überwogen, abgesehen von
Preußen, ihre deutschen Interessen bei weitem oder liefen ihnen gar schnurstracks
zuwider. Die übrigen Bundesstaaten, von denen allerdings die etwas größern
auch mit mehr oder weniger Erfolg selbständige Großmächte zu spielen suchten,
genossen zwar nicht des Vorzuges, als „europäische" Mächte angesehen zu werden;
wenn man aber glauben wollte, daß sie an einem Strange gezogen, daß sie als
ihre wahren Interessen nur die allgemein-deutschen anerkannt und nur diese ver¬
folgt hätten, so würde man sehr irren. Der Sondervorteil der Fürstenhäuser
und des damit zusammenhängenden Adels- und Beamtenstandes, der engherzige
und kurzsichtige Partikularismus der Bevölkerungen, den man als berechtigte
Eigentümlichkeit der von jeher getrennten deutschen Stämme zu bezeichnen liebte,
verhinderten stets jegliche Einigkeit, jegliches gemeinsame Zusammengehen. Zwar
fiel der wahre Vorteil der Dynastien und der der Bevölkerung fast niemals
zusammen, (man denke nur an den Zollverein, an Münz-, Maß- und Gewichts¬
einheit, Freizügigkeit, gemeinsames Jndigenat u. s. w.); zwar war jeder der
größern Staaten aus verschiednen deutschen Stämmen willkürlich zusammen¬
gesetzt, z. V. enthielt das „bairische Reich," wie man damals gern sagte, Baiern,
Schwaben, Alemannen, Ostfranken, Rheinfranken, Obersachsen und sogar einige
tausend Wallonen in der Pfalz; aber das schadete nichts, solche Thatsachen durften
dem Volke ja nicht zum Bewußtsein kommen; so etwas lernte man damals weder
auf deutschen Gymnasien, noch auf deutschen Universitäten. (Fortsetzung folgt.)




Zwei Wiegen.

n seinem neuen Roman Zwei Wiegen*) macht Wilhelm Jordan
einmal die Bemerkung: „Wie man denn auch den echten Poeten
besonders daran erkennt, daß er oft überwiesen wird, mehr gesagt
zu haben, als er wollte und wissen konnte" (I, 342). Eine sehr
feine Beobachtung, die wieder zeigt, daß Jordan als Theoretiker
tief in das Wesen der Dichtkunst eingedrungen ist. Der echte Dichter stellt mit



Zwei Wiegen. Roman in zwei Minden von Wilhelm Jordan. Berlin,
G. Grotesche Verlagsbuchhandlung, 1837.
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[0201] Zwei Wiegen, rüchtigte Schacher mit Napoleon III. im Jahre 1867, der Luxemburg mit seiner starken Festung den Franzosen in die Hände spielen und ihnen somit, neben Straßburg und Metz, ein drittes Ausfallsthvr gegen Deutschland liefern sollte. Diese fünf (später vier) Staaten waren, neben ihrer Eigenschaft als Mit¬ glieder des Bundes, zugleich auch „europäische Mächte," und ihre „europäischen," namentlich aber auch ihre nationalen Interessen überwogen, abgesehen von Preußen, ihre deutschen Interessen bei weitem oder liefen ihnen gar schnurstracks zuwider. Die übrigen Bundesstaaten, von denen allerdings die etwas größern auch mit mehr oder weniger Erfolg selbständige Großmächte zu spielen suchten, genossen zwar nicht des Vorzuges, als „europäische" Mächte angesehen zu werden; wenn man aber glauben wollte, daß sie an einem Strange gezogen, daß sie als ihre wahren Interessen nur die allgemein-deutschen anerkannt und nur diese ver¬ folgt hätten, so würde man sehr irren. Der Sondervorteil der Fürstenhäuser und des damit zusammenhängenden Adels- und Beamtenstandes, der engherzige und kurzsichtige Partikularismus der Bevölkerungen, den man als berechtigte Eigentümlichkeit der von jeher getrennten deutschen Stämme zu bezeichnen liebte, verhinderten stets jegliche Einigkeit, jegliches gemeinsame Zusammengehen. Zwar fiel der wahre Vorteil der Dynastien und der der Bevölkerung fast niemals zusammen, (man denke nur an den Zollverein, an Münz-, Maß- und Gewichts¬ einheit, Freizügigkeit, gemeinsames Jndigenat u. s. w.); zwar war jeder der größern Staaten aus verschiednen deutschen Stämmen willkürlich zusammen¬ gesetzt, z. V. enthielt das „bairische Reich," wie man damals gern sagte, Baiern, Schwaben, Alemannen, Ostfranken, Rheinfranken, Obersachsen und sogar einige tausend Wallonen in der Pfalz; aber das schadete nichts, solche Thatsachen durften dem Volke ja nicht zum Bewußtsein kommen; so etwas lernte man damals weder auf deutschen Gymnasien, noch auf deutschen Universitäten. (Fortsetzung folgt.) Zwei Wiegen. n seinem neuen Roman Zwei Wiegen*) macht Wilhelm Jordan einmal die Bemerkung: „Wie man denn auch den echten Poeten besonders daran erkennt, daß er oft überwiesen wird, mehr gesagt zu haben, als er wollte und wissen konnte" (I, 342). Eine sehr feine Beobachtung, die wieder zeigt, daß Jordan als Theoretiker tief in das Wesen der Dichtkunst eingedrungen ist. Der echte Dichter stellt mit Zwei Wiegen. Roman in zwei Minden von Wilhelm Jordan. Berlin, G. Grotesche Verlagsbuchhandlung, 1837. Grenzvoten I. 1883. ^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/201>, abgerufen am 01.05.2024.