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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Die Dubar-Sage und der keilschriftliche Sintsiutbericht.

des Helden eignem Leichenbegängnis, das mit großartigen Feierlichkeiten ver¬
bunden ist.




2.

Welchem aus der klassischen Mythologie bekannten Sagengcbiete die alt¬
babylonische Dubcirsage angehört, ist nach der bloßen Mitteilung ihres Inhalts
wohl jedermann klar. Dubar ist der orientalische Herkules, dem griechischen
Herakles als dessen Urtypus nahe verwandt, aber frei von hellenischer Färbung.
Wir wußten längst, daß der durch hellenische Phantasie und durch die Ver¬
quickung mit andern Sagenstosfcn so weit und reichhaltig ausgesponnene griechische
Heraklesmythus seinen Ursprung auf asiatischem Boden hat; umso merkwürdiger
war es, in der Dubarsage, wenn nicht die ursprünglichste, so doch ganz
gewiß eine der Urform außerordentlich nahe stehende Gestalt der Sage zu
finden. Ob auf jenen zwölf Tafeln, deren Inhalt mit Recht als das bisher
einzige Beispiel eines semitischen Epos bezeichnet wird, der ganze Mythus vom
babylonischen Herkulus erschöpft gewesen sei, ist fraglich; jedenfalls ist uns mit
den vielen fehlenden oder gar zu sehr zerbröckelten Scherben ein gutes Teil der
Einzelheiten und überall angedeuteten Abenteuer verloren gegangen. Gleichwohl
ergiebt eine Vergleichung erstens, daß der Grundcharakter beider Mythen der¬
selbe ist. Ein mächtiger, streitbarer Held, den Göttern verwandt oder ihnen
nahe stehend, tritt auf als des Landes Wohlthäter, wird als Nationalheros
vom Volke verehrt, fällt aber dem Haß einer weiblichen Gottheit zum Opfer,
um schließlich dennoch verherrlicht und zu den Göttern erhoben zu werden.
Auf einem Nationalverdienst beruhende wachsende Macht -- tragische Ver-
nichtung -- endliche Glvrifizirung des Helden -- das ist der dramatische Ver¬
lauf der Dubar-Heraklessage.

Zum andern aber lehrt diese Vergleichung, daß auch die charakteristischen
Einzelheiten der Dubarsage, in den Heraklesmhthus übergegangen, wenn auch
zum Teil durch Anpassung an hellenische Anschauung verändert, dennoch sich
aus der gewaltigen Menge griechischer Zuthaten herausschälen lassen.

Herakles, der Sohn des Zeus, ist unmittelbar göttlichen Ursprungs; Dubar
ist der Nachkomme Hasisathras, des in der Flut geretteten, unsterblichen; er
stammt demnach jedenfalls aus einem von den Göttern bevorzugten Geschlechte
und genießt, wie aus der Erzählung hervorgeht, den göttlichen Schutz des Samas
Wider eine feindselige, weibliche Göttermacht. Diese wird im babylonischen
Mythus durch Istar vertreten. Der Beweggrund ihres Hasses ist verschmähte
Liebe. Bei den Griechen ist es Hera, die Göttermutter selbst, die den Helden
verfolgt. Der psychologische Grund des Hasses ist hier von vornherein ein
ähnlicher wie im Dubarmythus, eine Kränkung der weiblichen Ehre und Liebe;
doch wird Herakles nicht gehaßt als der Beleidigende selbst, sondern als Frucht


Die Dubar-Sage und der keilschriftliche Sintsiutbericht.

des Helden eignem Leichenbegängnis, das mit großartigen Feierlichkeiten ver¬
bunden ist.




2.

Welchem aus der klassischen Mythologie bekannten Sagengcbiete die alt¬
babylonische Dubcirsage angehört, ist nach der bloßen Mitteilung ihres Inhalts
wohl jedermann klar. Dubar ist der orientalische Herkules, dem griechischen
Herakles als dessen Urtypus nahe verwandt, aber frei von hellenischer Färbung.
Wir wußten längst, daß der durch hellenische Phantasie und durch die Ver¬
quickung mit andern Sagenstosfcn so weit und reichhaltig ausgesponnene griechische
Heraklesmythus seinen Ursprung auf asiatischem Boden hat; umso merkwürdiger
war es, in der Dubarsage, wenn nicht die ursprünglichste, so doch ganz
gewiß eine der Urform außerordentlich nahe stehende Gestalt der Sage zu
finden. Ob auf jenen zwölf Tafeln, deren Inhalt mit Recht als das bisher
einzige Beispiel eines semitischen Epos bezeichnet wird, der ganze Mythus vom
babylonischen Herkulus erschöpft gewesen sei, ist fraglich; jedenfalls ist uns mit
den vielen fehlenden oder gar zu sehr zerbröckelten Scherben ein gutes Teil der
Einzelheiten und überall angedeuteten Abenteuer verloren gegangen. Gleichwohl
ergiebt eine Vergleichung erstens, daß der Grundcharakter beider Mythen der¬
selbe ist. Ein mächtiger, streitbarer Held, den Göttern verwandt oder ihnen
nahe stehend, tritt auf als des Landes Wohlthäter, wird als Nationalheros
vom Volke verehrt, fällt aber dem Haß einer weiblichen Gottheit zum Opfer,
um schließlich dennoch verherrlicht und zu den Göttern erhoben zu werden.
Auf einem Nationalverdienst beruhende wachsende Macht — tragische Ver-
nichtung — endliche Glvrifizirung des Helden — das ist der dramatische Ver¬
lauf der Dubar-Heraklessage.

Zum andern aber lehrt diese Vergleichung, daß auch die charakteristischen
Einzelheiten der Dubarsage, in den Heraklesmhthus übergegangen, wenn auch
zum Teil durch Anpassung an hellenische Anschauung verändert, dennoch sich
aus der gewaltigen Menge griechischer Zuthaten herausschälen lassen.

Herakles, der Sohn des Zeus, ist unmittelbar göttlichen Ursprungs; Dubar
ist der Nachkomme Hasisathras, des in der Flut geretteten, unsterblichen; er
stammt demnach jedenfalls aus einem von den Göttern bevorzugten Geschlechte
und genießt, wie aus der Erzählung hervorgeht, den göttlichen Schutz des Samas
Wider eine feindselige, weibliche Göttermacht. Diese wird im babylonischen
Mythus durch Istar vertreten. Der Beweggrund ihres Hasses ist verschmähte
Liebe. Bei den Griechen ist es Hera, die Göttermutter selbst, die den Helden
verfolgt. Der psychologische Grund des Hasses ist hier von vornherein ein
ähnlicher wie im Dubarmythus, eine Kränkung der weiblichen Ehre und Liebe;
doch wird Herakles nicht gehaßt als der Beleidigende selbst, sondern als Frucht


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[0344] Die Dubar-Sage und der keilschriftliche Sintsiutbericht. des Helden eignem Leichenbegängnis, das mit großartigen Feierlichkeiten ver¬ bunden ist. 2. Welchem aus der klassischen Mythologie bekannten Sagengcbiete die alt¬ babylonische Dubcirsage angehört, ist nach der bloßen Mitteilung ihres Inhalts wohl jedermann klar. Dubar ist der orientalische Herkules, dem griechischen Herakles als dessen Urtypus nahe verwandt, aber frei von hellenischer Färbung. Wir wußten längst, daß der durch hellenische Phantasie und durch die Ver¬ quickung mit andern Sagenstosfcn so weit und reichhaltig ausgesponnene griechische Heraklesmythus seinen Ursprung auf asiatischem Boden hat; umso merkwürdiger war es, in der Dubarsage, wenn nicht die ursprünglichste, so doch ganz gewiß eine der Urform außerordentlich nahe stehende Gestalt der Sage zu finden. Ob auf jenen zwölf Tafeln, deren Inhalt mit Recht als das bisher einzige Beispiel eines semitischen Epos bezeichnet wird, der ganze Mythus vom babylonischen Herkulus erschöpft gewesen sei, ist fraglich; jedenfalls ist uns mit den vielen fehlenden oder gar zu sehr zerbröckelten Scherben ein gutes Teil der Einzelheiten und überall angedeuteten Abenteuer verloren gegangen. Gleichwohl ergiebt eine Vergleichung erstens, daß der Grundcharakter beider Mythen der¬ selbe ist. Ein mächtiger, streitbarer Held, den Göttern verwandt oder ihnen nahe stehend, tritt auf als des Landes Wohlthäter, wird als Nationalheros vom Volke verehrt, fällt aber dem Haß einer weiblichen Gottheit zum Opfer, um schließlich dennoch verherrlicht und zu den Göttern erhoben zu werden. Auf einem Nationalverdienst beruhende wachsende Macht — tragische Ver- nichtung — endliche Glvrifizirung des Helden — das ist der dramatische Ver¬ lauf der Dubar-Heraklessage. Zum andern aber lehrt diese Vergleichung, daß auch die charakteristischen Einzelheiten der Dubarsage, in den Heraklesmhthus übergegangen, wenn auch zum Teil durch Anpassung an hellenische Anschauung verändert, dennoch sich aus der gewaltigen Menge griechischer Zuthaten herausschälen lassen. Herakles, der Sohn des Zeus, ist unmittelbar göttlichen Ursprungs; Dubar ist der Nachkomme Hasisathras, des in der Flut geretteten, unsterblichen; er stammt demnach jedenfalls aus einem von den Göttern bevorzugten Geschlechte und genießt, wie aus der Erzählung hervorgeht, den göttlichen Schutz des Samas Wider eine feindselige, weibliche Göttermacht. Diese wird im babylonischen Mythus durch Istar vertreten. Der Beweggrund ihres Hasses ist verschmähte Liebe. Bei den Griechen ist es Hera, die Göttermutter selbst, die den Helden verfolgt. Der psychologische Grund des Hasses ist hier von vornherein ein ähnlicher wie im Dubarmythus, eine Kränkung der weiblichen Ehre und Liebe; doch wird Herakles nicht gehaßt als der Beleidigende selbst, sondern als Frucht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/344>, abgerufen am 01.05.2024.