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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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David Beronski.

Schreibers an, das ihn in die Laubwälder Kissingens gesandt, wo ihm Er¬
innerungen an den Aufstand der Edelleute gegen die treulose Fürstenmacht er¬
wacht sein möchten, oder sich seinen Herzog als Anführer eines großen Volks¬
heeres gedreht habe, "der die Krone Karls des Großen wieder zu Ehren bringen
sollte." Aber ob der Verfasser unsrer Selbstbiographie damals, als er das
Aktenstück empfing und "zahlreiche" ähnliche ihm vorausgegangen waren oder
folgten, über die Sache ebenso urteilte, wie jetzt als Schriftsteller, ob sie ihm
nicht wohlthat, ihn nicht hob und mit Hoffnungen schwellte, ist mindestens
zweifelhaft. Warum wird der Brief hier in seiner ganzen Länge abgedruckt?
Blos um zu zeigen, wie wunderlich damals ein Anonymus und "zahlreiche"
andre Phantasten dachten? Es scheint wohl richtiger, zu vermuten, diese Zu¬
schriften seien liebe Erinnerungen und in ihrer Gesamtheit gleichsam ein kleiner
Lorbeerkranz, den man sich aus vergangnen Tagen nimmt, um sich damit für
die Geschichte zu schmücken.




David Beronski.
von H. von Schreibershofen. (Fortsetzung.)

r sagt es selber, schrie Rüben und sprang aufgeregt umher.
Er rühmt sich noch, daß er den Glauben seiner Väter verlassen
hat und zu den Gojim gehört! Warum gehst du nicht gleich
zu ihnen, werden sie dich doch mit offnen Armen aufnehmen!
Laß dir von ihnen helfen! Ich mag nichts von dir wissen.
Das Gesetz sagt, wir sollen keine Gemeinschaft haben mit den Ungläubigen,
nimm dein Kind und gehe fort! Niemand soll von dir wissen --

Damals botest du mir dein Leben, sagte David, ich will dein Leben nicht,
ich will nichts, gar nichts von dir. Aber Rüben! Ist es möglich, daß du gewußt
hast, was du lasest, und die Worte nicht deine Seele trafen, dein Herz nicht
entzündeten? Fiel der Schleier nicht von deinen Augen, und blendete dich das
Licht nicht, welches jene Worte enthüllten? O lies sie noch einmal mit mir,
laß dir von mir deuten und auslegen, was mir in der Einsamkeit klar ge¬
worden ist, was mich den langen, schrecklichen Winter hindurch erhalten und
vorwärts getrieben hat, von Jesus, dem Christ, auf den ihr noch hoffet --

Wirst du schweigen mit deinen Lästerworten! unterbrach ihn Rüben voll
Entsetzen. Ich will nichts von dir hören, nichts ausgelegt und gedeutet haben.


David Beronski.

Schreibers an, das ihn in die Laubwälder Kissingens gesandt, wo ihm Er¬
innerungen an den Aufstand der Edelleute gegen die treulose Fürstenmacht er¬
wacht sein möchten, oder sich seinen Herzog als Anführer eines großen Volks¬
heeres gedreht habe, „der die Krone Karls des Großen wieder zu Ehren bringen
sollte." Aber ob der Verfasser unsrer Selbstbiographie damals, als er das
Aktenstück empfing und „zahlreiche" ähnliche ihm vorausgegangen waren oder
folgten, über die Sache ebenso urteilte, wie jetzt als Schriftsteller, ob sie ihm
nicht wohlthat, ihn nicht hob und mit Hoffnungen schwellte, ist mindestens
zweifelhaft. Warum wird der Brief hier in seiner ganzen Länge abgedruckt?
Blos um zu zeigen, wie wunderlich damals ein Anonymus und „zahlreiche"
andre Phantasten dachten? Es scheint wohl richtiger, zu vermuten, diese Zu¬
schriften seien liebe Erinnerungen und in ihrer Gesamtheit gleichsam ein kleiner
Lorbeerkranz, den man sich aus vergangnen Tagen nimmt, um sich damit für
die Geschichte zu schmücken.




David Beronski.
von H. von Schreibershofen. (Fortsetzung.)

r sagt es selber, schrie Rüben und sprang aufgeregt umher.
Er rühmt sich noch, daß er den Glauben seiner Väter verlassen
hat und zu den Gojim gehört! Warum gehst du nicht gleich
zu ihnen, werden sie dich doch mit offnen Armen aufnehmen!
Laß dir von ihnen helfen! Ich mag nichts von dir wissen.
Das Gesetz sagt, wir sollen keine Gemeinschaft haben mit den Ungläubigen,
nimm dein Kind und gehe fort! Niemand soll von dir wissen —

Damals botest du mir dein Leben, sagte David, ich will dein Leben nicht,
ich will nichts, gar nichts von dir. Aber Rüben! Ist es möglich, daß du gewußt
hast, was du lasest, und die Worte nicht deine Seele trafen, dein Herz nicht
entzündeten? Fiel der Schleier nicht von deinen Augen, und blendete dich das
Licht nicht, welches jene Worte enthüllten? O lies sie noch einmal mit mir,
laß dir von mir deuten und auslegen, was mir in der Einsamkeit klar ge¬
worden ist, was mich den langen, schrecklichen Winter hindurch erhalten und
vorwärts getrieben hat, von Jesus, dem Christ, auf den ihr noch hoffet —

Wirst du schweigen mit deinen Lästerworten! unterbrach ihn Rüben voll
Entsetzen. Ich will nichts von dir hören, nichts ausgelegt und gedeutet haben.


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[0371] David Beronski. Schreibers an, das ihn in die Laubwälder Kissingens gesandt, wo ihm Er¬ innerungen an den Aufstand der Edelleute gegen die treulose Fürstenmacht er¬ wacht sein möchten, oder sich seinen Herzog als Anführer eines großen Volks¬ heeres gedreht habe, „der die Krone Karls des Großen wieder zu Ehren bringen sollte." Aber ob der Verfasser unsrer Selbstbiographie damals, als er das Aktenstück empfing und „zahlreiche" ähnliche ihm vorausgegangen waren oder folgten, über die Sache ebenso urteilte, wie jetzt als Schriftsteller, ob sie ihm nicht wohlthat, ihn nicht hob und mit Hoffnungen schwellte, ist mindestens zweifelhaft. Warum wird der Brief hier in seiner ganzen Länge abgedruckt? Blos um zu zeigen, wie wunderlich damals ein Anonymus und „zahlreiche" andre Phantasten dachten? Es scheint wohl richtiger, zu vermuten, diese Zu¬ schriften seien liebe Erinnerungen und in ihrer Gesamtheit gleichsam ein kleiner Lorbeerkranz, den man sich aus vergangnen Tagen nimmt, um sich damit für die Geschichte zu schmücken. David Beronski. von H. von Schreibershofen. (Fortsetzung.) r sagt es selber, schrie Rüben und sprang aufgeregt umher. Er rühmt sich noch, daß er den Glauben seiner Väter verlassen hat und zu den Gojim gehört! Warum gehst du nicht gleich zu ihnen, werden sie dich doch mit offnen Armen aufnehmen! Laß dir von ihnen helfen! Ich mag nichts von dir wissen. Das Gesetz sagt, wir sollen keine Gemeinschaft haben mit den Ungläubigen, nimm dein Kind und gehe fort! Niemand soll von dir wissen — Damals botest du mir dein Leben, sagte David, ich will dein Leben nicht, ich will nichts, gar nichts von dir. Aber Rüben! Ist es möglich, daß du gewußt hast, was du lasest, und die Worte nicht deine Seele trafen, dein Herz nicht entzündeten? Fiel der Schleier nicht von deinen Augen, und blendete dich das Licht nicht, welches jene Worte enthüllten? O lies sie noch einmal mit mir, laß dir von mir deuten und auslegen, was mir in der Einsamkeit klar ge¬ worden ist, was mich den langen, schrecklichen Winter hindurch erhalten und vorwärts getrieben hat, von Jesus, dem Christ, auf den ihr noch hoffet — Wirst du schweigen mit deinen Lästerworten! unterbrach ihn Rüben voll Entsetzen. Ich will nichts von dir hören, nichts ausgelegt und gedeutet haben.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/371>, abgerufen am 01.05.2024.