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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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David Beronski.

Gerechter Gott! Kommt der Mensch hierher und spricht von Dingen, die niemand
zu wissen braucht, die niemand etwas angehen, die ich eben anfange zu vergessen!
Wer fragt darnach? Wen geht es etwas an, was du ausgefunden hast? Wird es
mir etwas einbringen, wenn ich mich damit plage? Ich hoffe auf niemand,
bin ganz zufrieden. Was solls, daß du herkommst und mich bekehren willst?
Will ich doch nicht bekehrt werden! Geh fort, daß dich niemand bei mir sieht!

Schämst du dich meiner? fragte David leise.

Wenn du so fragst, David Beronski, so kann ich nicht anders als sagen,
ja, ich schäme mich deiner, versetzte Rüben, unruhig auf- und abgehend. Soll
ich dich als einen guten Freund in der Stadt zeigen, dich, den Abgefallenen?
Soll ich allen Leuten sagen: Hier, seht! Das ist der gelehrte David Beronski,
der da war eine Leuchte in Israel und ist geworden ein Goi, hat seine alte
Mutter einsam und kinderlos gemacht, hat seine Frau mit einem unmündigen
Kinde heimlich verlassen, und hat seinen neuen Glauben damit angefangen, daß
er die heiligsten Gebote verachtet und übertreten hat!

Ich konnte nicht anders! rief David, von Rubens Vorwürfen und den
durch sie geweckten Gedanken betroffen. Man hätte mich eingesperrt, vielleicht
getötet, wäre dann nicht meiner Mutter das Herz gebrochen? Oder wenn man
den Bannfluch über mich ausgesprochen hätte?

Der gelehrte David Beronski weiß alles besser als ich, er muß auch wissen,
warum er so gehandelt hat, versetzte Rüben, der mit scharfem Ohre den Unter¬
schied in Davids Ton heraushörte, kalt und hochmütig. Wäre er zu mir ge¬
kommen, noch ärmer als jetzt, mit zerrissenem Kaftan, barfuß und barhaupt, ich
hätte es nicht vergessen, daß er mein Lehrer gewesen ist, aber der David Beronski,
der sich als ein Birkenreis gezeigt hat, das von jedem Winde gedreht wird, als
ein Blatt, welches heute hierhin, morgen dahin sieht, als eine Welle, die keinen
Bestand hat, dessen schäme ich mich. Möge er einen andern Ort aussuchen,
um sich niederzulassen!

Mit gekreuzten Armen an die Wand gelehnt, sah Rüben kalt und höhnisch
auf David herab, dessen Hoffnung auf Hilfe und Unterstützung so gänzlich ge¬
scheitert war.

Sage mir, wo Alexei weilt, begann David.

Wie soll ich wissen, wo dein vornehmer Freund sich aufhält? Ist es wahr¬
scheinlich, daß er einen armen Juden besuchen würde?

Gieb mir etwas Milch für das Kind, ich werde weiter gehen -- aber das
Kind --

Davids Stimme brach, er barg das Antlitz in seinen Händen, dieser letzte
Schlag traf ihn zu tief.

Da öffnete sie rasch und geräuschlos die Thür, und ehe Rüben es gehört
hatte, kniete Jeschka neben dem Sessel, auf dem das leise wimmernde Kind lag,
und flößte ihm Nahrung ein.


David Beronski.

Gerechter Gott! Kommt der Mensch hierher und spricht von Dingen, die niemand
zu wissen braucht, die niemand etwas angehen, die ich eben anfange zu vergessen!
Wer fragt darnach? Wen geht es etwas an, was du ausgefunden hast? Wird es
mir etwas einbringen, wenn ich mich damit plage? Ich hoffe auf niemand,
bin ganz zufrieden. Was solls, daß du herkommst und mich bekehren willst?
Will ich doch nicht bekehrt werden! Geh fort, daß dich niemand bei mir sieht!

Schämst du dich meiner? fragte David leise.

Wenn du so fragst, David Beronski, so kann ich nicht anders als sagen,
ja, ich schäme mich deiner, versetzte Rüben, unruhig auf- und abgehend. Soll
ich dich als einen guten Freund in der Stadt zeigen, dich, den Abgefallenen?
Soll ich allen Leuten sagen: Hier, seht! Das ist der gelehrte David Beronski,
der da war eine Leuchte in Israel und ist geworden ein Goi, hat seine alte
Mutter einsam und kinderlos gemacht, hat seine Frau mit einem unmündigen
Kinde heimlich verlassen, und hat seinen neuen Glauben damit angefangen, daß
er die heiligsten Gebote verachtet und übertreten hat!

Ich konnte nicht anders! rief David, von Rubens Vorwürfen und den
durch sie geweckten Gedanken betroffen. Man hätte mich eingesperrt, vielleicht
getötet, wäre dann nicht meiner Mutter das Herz gebrochen? Oder wenn man
den Bannfluch über mich ausgesprochen hätte?

Der gelehrte David Beronski weiß alles besser als ich, er muß auch wissen,
warum er so gehandelt hat, versetzte Rüben, der mit scharfem Ohre den Unter¬
schied in Davids Ton heraushörte, kalt und hochmütig. Wäre er zu mir ge¬
kommen, noch ärmer als jetzt, mit zerrissenem Kaftan, barfuß und barhaupt, ich
hätte es nicht vergessen, daß er mein Lehrer gewesen ist, aber der David Beronski,
der sich als ein Birkenreis gezeigt hat, das von jedem Winde gedreht wird, als
ein Blatt, welches heute hierhin, morgen dahin sieht, als eine Welle, die keinen
Bestand hat, dessen schäme ich mich. Möge er einen andern Ort aussuchen,
um sich niederzulassen!

Mit gekreuzten Armen an die Wand gelehnt, sah Rüben kalt und höhnisch
auf David herab, dessen Hoffnung auf Hilfe und Unterstützung so gänzlich ge¬
scheitert war.

Sage mir, wo Alexei weilt, begann David.

Wie soll ich wissen, wo dein vornehmer Freund sich aufhält? Ist es wahr¬
scheinlich, daß er einen armen Juden besuchen würde?

Gieb mir etwas Milch für das Kind, ich werde weiter gehen — aber das
Kind —

Davids Stimme brach, er barg das Antlitz in seinen Händen, dieser letzte
Schlag traf ihn zu tief.

Da öffnete sie rasch und geräuschlos die Thür, und ehe Rüben es gehört
hatte, kniete Jeschka neben dem Sessel, auf dem das leise wimmernde Kind lag,
und flößte ihm Nahrung ein.


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[0372] David Beronski. Gerechter Gott! Kommt der Mensch hierher und spricht von Dingen, die niemand zu wissen braucht, die niemand etwas angehen, die ich eben anfange zu vergessen! Wer fragt darnach? Wen geht es etwas an, was du ausgefunden hast? Wird es mir etwas einbringen, wenn ich mich damit plage? Ich hoffe auf niemand, bin ganz zufrieden. Was solls, daß du herkommst und mich bekehren willst? Will ich doch nicht bekehrt werden! Geh fort, daß dich niemand bei mir sieht! Schämst du dich meiner? fragte David leise. Wenn du so fragst, David Beronski, so kann ich nicht anders als sagen, ja, ich schäme mich deiner, versetzte Rüben, unruhig auf- und abgehend. Soll ich dich als einen guten Freund in der Stadt zeigen, dich, den Abgefallenen? Soll ich allen Leuten sagen: Hier, seht! Das ist der gelehrte David Beronski, der da war eine Leuchte in Israel und ist geworden ein Goi, hat seine alte Mutter einsam und kinderlos gemacht, hat seine Frau mit einem unmündigen Kinde heimlich verlassen, und hat seinen neuen Glauben damit angefangen, daß er die heiligsten Gebote verachtet und übertreten hat! Ich konnte nicht anders! rief David, von Rubens Vorwürfen und den durch sie geweckten Gedanken betroffen. Man hätte mich eingesperrt, vielleicht getötet, wäre dann nicht meiner Mutter das Herz gebrochen? Oder wenn man den Bannfluch über mich ausgesprochen hätte? Der gelehrte David Beronski weiß alles besser als ich, er muß auch wissen, warum er so gehandelt hat, versetzte Rüben, der mit scharfem Ohre den Unter¬ schied in Davids Ton heraushörte, kalt und hochmütig. Wäre er zu mir ge¬ kommen, noch ärmer als jetzt, mit zerrissenem Kaftan, barfuß und barhaupt, ich hätte es nicht vergessen, daß er mein Lehrer gewesen ist, aber der David Beronski, der sich als ein Birkenreis gezeigt hat, das von jedem Winde gedreht wird, als ein Blatt, welches heute hierhin, morgen dahin sieht, als eine Welle, die keinen Bestand hat, dessen schäme ich mich. Möge er einen andern Ort aussuchen, um sich niederzulassen! Mit gekreuzten Armen an die Wand gelehnt, sah Rüben kalt und höhnisch auf David herab, dessen Hoffnung auf Hilfe und Unterstützung so gänzlich ge¬ scheitert war. Sage mir, wo Alexei weilt, begann David. Wie soll ich wissen, wo dein vornehmer Freund sich aufhält? Ist es wahr¬ scheinlich, daß er einen armen Juden besuchen würde? Gieb mir etwas Milch für das Kind, ich werde weiter gehen — aber das Kind — Davids Stimme brach, er barg das Antlitz in seinen Händen, dieser letzte Schlag traf ihn zu tief. Da öffnete sie rasch und geräuschlos die Thür, und ehe Rüben es gehört hatte, kniete Jeschka neben dem Sessel, auf dem das leise wimmernde Kind lag, und flößte ihm Nahrung ein.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/372>, abgerufen am 22.05.2024.