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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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David Beronski.
von H. von Schreibershofen. (Schluß.)
12.

in Zimmer des alten Geistlichen saß David Beronski, über ein
Buch gebückt, bemüht, dem Wunsche des Predigers nachzukommen
und sich zu Studien vorzubereiten, die sonst sein Glück, seine Be¬
friedigung ausgemacht hätten. Seine Gedanken lagen aber noch
zu sehr uuter dem Banne der Vergangenheit, als daß er die Gegen¬
wart hätte ausnützen können, und ein tiefer Seufzer hob jedesmal seine Brust,
wenn aus einem andern Teile des Hauses fröhliches Kinderlachen herübertönte.

Es war Schnee gefallen. Wie eine weiße Decke hatte er sich über das
Land gelegt, und nur die dunkeln, landlosen Bäume hohen sich daraus hervor.

Ein heftiges Pochen an der Thür ließ David zusammenschrecken; er sah
auf. Der Prediger trat ein.

Lieber Bruder! sagte er mit eigentümlich zitternder Stimme und oftmaligem
Räuspern. Willst du mir mit deiner Sprachkenntnis zu Hilfe kommen? Ich
möchte gern geistlichen Trost spenden, aber die Sprache dazu steht mir nicht
zu Gebote.

Meinem geistlichen Vater gehört mein Leben, wie viel mehr die geringen
Kenntnisse, die ich besitze, erwiederte David, indem er sofort aufstand und zu
ihm ging. Welche Gedanken soll ich in Worte kleiden?

Du sollst ein kummerbeladenes Herz erleichtern. Draußen steht eine Frau,
welche ein Unrecht auf ihrer Seele hat. In der Erregung hat sie Worte ge¬
sprochen, welche sie jetzt als unrecht erkennt; aber sie weiß nicht, wie sie sich
der Vergebung vergewissern soll. Doch sie mag dir selber ihr Leid klagen.
Wer, wie du, des Herrn Gnade so reichlich erfahren, so voll empfunden hat,




David Beronski.
von H. von Schreibershofen. (Schluß.)
12.

in Zimmer des alten Geistlichen saß David Beronski, über ein
Buch gebückt, bemüht, dem Wunsche des Predigers nachzukommen
und sich zu Studien vorzubereiten, die sonst sein Glück, seine Be¬
friedigung ausgemacht hätten. Seine Gedanken lagen aber noch
zu sehr uuter dem Banne der Vergangenheit, als daß er die Gegen¬
wart hätte ausnützen können, und ein tiefer Seufzer hob jedesmal seine Brust,
wenn aus einem andern Teile des Hauses fröhliches Kinderlachen herübertönte.

Es war Schnee gefallen. Wie eine weiße Decke hatte er sich über das
Land gelegt, und nur die dunkeln, landlosen Bäume hohen sich daraus hervor.

Ein heftiges Pochen an der Thür ließ David zusammenschrecken; er sah
auf. Der Prediger trat ein.

Lieber Bruder! sagte er mit eigentümlich zitternder Stimme und oftmaligem
Räuspern. Willst du mir mit deiner Sprachkenntnis zu Hilfe kommen? Ich
möchte gern geistlichen Trost spenden, aber die Sprache dazu steht mir nicht
zu Gebote.

Meinem geistlichen Vater gehört mein Leben, wie viel mehr die geringen
Kenntnisse, die ich besitze, erwiederte David, indem er sofort aufstand und zu
ihm ging. Welche Gedanken soll ich in Worte kleiden?

Du sollst ein kummerbeladenes Herz erleichtern. Draußen steht eine Frau,
welche ein Unrecht auf ihrer Seele hat. In der Erregung hat sie Worte ge¬
sprochen, welche sie jetzt als unrecht erkennt; aber sie weiß nicht, wie sie sich
der Vergebung vergewissern soll. Doch sie mag dir selber ihr Leid klagen.
Wer, wie du, des Herrn Gnade so reichlich erfahren, so voll empfunden hat,


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[0524] [Abbildung] David Beronski. von H. von Schreibershofen. (Schluß.) 12. in Zimmer des alten Geistlichen saß David Beronski, über ein Buch gebückt, bemüht, dem Wunsche des Predigers nachzukommen und sich zu Studien vorzubereiten, die sonst sein Glück, seine Be¬ friedigung ausgemacht hätten. Seine Gedanken lagen aber noch zu sehr uuter dem Banne der Vergangenheit, als daß er die Gegen¬ wart hätte ausnützen können, und ein tiefer Seufzer hob jedesmal seine Brust, wenn aus einem andern Teile des Hauses fröhliches Kinderlachen herübertönte. Es war Schnee gefallen. Wie eine weiße Decke hatte er sich über das Land gelegt, und nur die dunkeln, landlosen Bäume hohen sich daraus hervor. Ein heftiges Pochen an der Thür ließ David zusammenschrecken; er sah auf. Der Prediger trat ein. Lieber Bruder! sagte er mit eigentümlich zitternder Stimme und oftmaligem Räuspern. Willst du mir mit deiner Sprachkenntnis zu Hilfe kommen? Ich möchte gern geistlichen Trost spenden, aber die Sprache dazu steht mir nicht zu Gebote. Meinem geistlichen Vater gehört mein Leben, wie viel mehr die geringen Kenntnisse, die ich besitze, erwiederte David, indem er sofort aufstand und zu ihm ging. Welche Gedanken soll ich in Worte kleiden? Du sollst ein kummerbeladenes Herz erleichtern. Draußen steht eine Frau, welche ein Unrecht auf ihrer Seele hat. In der Erregung hat sie Worte ge¬ sprochen, welche sie jetzt als unrecht erkennt; aber sie weiß nicht, wie sie sich der Vergebung vergewissern soll. Doch sie mag dir selber ihr Leid klagen. Wer, wie du, des Herrn Gnade so reichlich erfahren, so voll empfunden hat,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/524>, abgerufen am 01.05.2024.