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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Das neue Gesetz über die Schutzgebiete.

s die verbündeten Regierungen im Jahre 1835 an die Regelung
der Rechtsverhältnisse der dutschen Schutzgebiete herantraten,
gingen sie von der Voraussetzung aus, daß im wesentlichen
alle Einrichtungen auf dem Verwaltungswege getroffen werden
müßten, da die niedere Kulturstufe der Gebiete und die Un-
fertigkeit aller Verhältnisse Entscheidungen bedingte, welche ausschließlich nach
Zweckmäßigkeitsbedürfnissen zu treffen und schnellem Wechsel unterworfen wären.
In dem damaligen Reichstage war keine regierungsfreundliche Mehrheit zu
finden; im Gegenteil, die Richtung Windthorst-Richter herrschte, welche, wie in
allen andern Beziehungen, auch auf dem Gebiete der kolonialen Unternehmungen der
Regierungen Widerstand entgegensetzte. Da die ultramontan-freisinnige Mehrheit
wiederholt erklärt hatte, daß sie von einer Kolonialpolitik nichts wissen wolle,
so hätte man eigentlich erwarten müssen, daß ihr die Regelung der Rechtsver¬
hältnisse in den deutschen Schutzgebieten ganz gleichgiltig sein würde. Mit
diesem Standpunkte aber wären ja die Ziele der Negierungspolitik gefördert
worden, und so begann das welfische Zentrum und der fortschrittliche Freisinn
an der Entwicklung der Kolonien ein solches Interesse zu nehmen, daß jede
Aussicht auf ein Zustandekommen des Gesetzes geschwunden erschien. Denn
man verlangte zuerst nichts mehr und nichts weniger als die Zustimmung des
Reichstages zu jeder Maßregel in den Schutzgebieten.

Die Regelung der Rechtsverhältnisse war notwendig, wenn an eine wirt¬
schaftliche Hebung gedacht werden sollte, denn jeder Unternehmer, sei er Land¬
wirt oder Kaufmann, verlangt, daß die Rechtsgrundlage zweifellos und sicher
sei, ehe er einem Werke seine Arbeit und sein Geld zuwendet. Die Regierung
stützte sich zwar auf den Grundsatz, daß die Schutzgebiete im Sinne der Reichs¬
verfassung Ausland seien, und da in den Beziehungen zu diesem der Kaiser allein
das Reich vertrete, der letztere in den Kolonien unbehindert und uneingeschränkt die
vollen Hoheitsrechte ausüben könne. Allein diese Auffassung war doch nach
verschiednen Richtungen anfechtbar, und daß sie es war, bewies schon der Um¬
stand, daß die kaiserliche Regierung selbst einen Gesetzentwurf zur Regelung ein¬
brachte und sich den Artikel 11 der Reichsverfassung gleichsam nur als letztes
Zufluchtsmittel vorbehielt, falls kein Gesetz zustande kommen sollte.




Das neue Gesetz über die Schutzgebiete.

s die verbündeten Regierungen im Jahre 1835 an die Regelung
der Rechtsverhältnisse der dutschen Schutzgebiete herantraten,
gingen sie von der Voraussetzung aus, daß im wesentlichen
alle Einrichtungen auf dem Verwaltungswege getroffen werden
müßten, da die niedere Kulturstufe der Gebiete und die Un-
fertigkeit aller Verhältnisse Entscheidungen bedingte, welche ausschließlich nach
Zweckmäßigkeitsbedürfnissen zu treffen und schnellem Wechsel unterworfen wären.
In dem damaligen Reichstage war keine regierungsfreundliche Mehrheit zu
finden; im Gegenteil, die Richtung Windthorst-Richter herrschte, welche, wie in
allen andern Beziehungen, auch auf dem Gebiete der kolonialen Unternehmungen der
Regierungen Widerstand entgegensetzte. Da die ultramontan-freisinnige Mehrheit
wiederholt erklärt hatte, daß sie von einer Kolonialpolitik nichts wissen wolle,
so hätte man eigentlich erwarten müssen, daß ihr die Regelung der Rechtsver¬
hältnisse in den deutschen Schutzgebieten ganz gleichgiltig sein würde. Mit
diesem Standpunkte aber wären ja die Ziele der Negierungspolitik gefördert
worden, und so begann das welfische Zentrum und der fortschrittliche Freisinn
an der Entwicklung der Kolonien ein solches Interesse zu nehmen, daß jede
Aussicht auf ein Zustandekommen des Gesetzes geschwunden erschien. Denn
man verlangte zuerst nichts mehr und nichts weniger als die Zustimmung des
Reichstages zu jeder Maßregel in den Schutzgebieten.

Die Regelung der Rechtsverhältnisse war notwendig, wenn an eine wirt¬
schaftliche Hebung gedacht werden sollte, denn jeder Unternehmer, sei er Land¬
wirt oder Kaufmann, verlangt, daß die Rechtsgrundlage zweifellos und sicher
sei, ehe er einem Werke seine Arbeit und sein Geld zuwendet. Die Regierung
stützte sich zwar auf den Grundsatz, daß die Schutzgebiete im Sinne der Reichs¬
verfassung Ausland seien, und da in den Beziehungen zu diesem der Kaiser allein
das Reich vertrete, der letztere in den Kolonien unbehindert und uneingeschränkt die
vollen Hoheitsrechte ausüben könne. Allein diese Auffassung war doch nach
verschiednen Richtungen anfechtbar, und daß sie es war, bewies schon der Um¬
stand, daß die kaiserliche Regierung selbst einen Gesetzentwurf zur Regelung ein¬
brachte und sich den Artikel 11 der Reichsverfassung gleichsam nur als letztes
Zufluchtsmittel vorbehielt, falls kein Gesetz zustande kommen sollte.


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[0581] [Abbildung] Das neue Gesetz über die Schutzgebiete. s die verbündeten Regierungen im Jahre 1835 an die Regelung der Rechtsverhältnisse der dutschen Schutzgebiete herantraten, gingen sie von der Voraussetzung aus, daß im wesentlichen alle Einrichtungen auf dem Verwaltungswege getroffen werden müßten, da die niedere Kulturstufe der Gebiete und die Un- fertigkeit aller Verhältnisse Entscheidungen bedingte, welche ausschließlich nach Zweckmäßigkeitsbedürfnissen zu treffen und schnellem Wechsel unterworfen wären. In dem damaligen Reichstage war keine regierungsfreundliche Mehrheit zu finden; im Gegenteil, die Richtung Windthorst-Richter herrschte, welche, wie in allen andern Beziehungen, auch auf dem Gebiete der kolonialen Unternehmungen der Regierungen Widerstand entgegensetzte. Da die ultramontan-freisinnige Mehrheit wiederholt erklärt hatte, daß sie von einer Kolonialpolitik nichts wissen wolle, so hätte man eigentlich erwarten müssen, daß ihr die Regelung der Rechtsver¬ hältnisse in den deutschen Schutzgebieten ganz gleichgiltig sein würde. Mit diesem Standpunkte aber wären ja die Ziele der Negierungspolitik gefördert worden, und so begann das welfische Zentrum und der fortschrittliche Freisinn an der Entwicklung der Kolonien ein solches Interesse zu nehmen, daß jede Aussicht auf ein Zustandekommen des Gesetzes geschwunden erschien. Denn man verlangte zuerst nichts mehr und nichts weniger als die Zustimmung des Reichstages zu jeder Maßregel in den Schutzgebieten. Die Regelung der Rechtsverhältnisse war notwendig, wenn an eine wirt¬ schaftliche Hebung gedacht werden sollte, denn jeder Unternehmer, sei er Land¬ wirt oder Kaufmann, verlangt, daß die Rechtsgrundlage zweifellos und sicher sei, ehe er einem Werke seine Arbeit und sein Geld zuwendet. Die Regierung stützte sich zwar auf den Grundsatz, daß die Schutzgebiete im Sinne der Reichs¬ verfassung Ausland seien, und da in den Beziehungen zu diesem der Kaiser allein das Reich vertrete, der letztere in den Kolonien unbehindert und uneingeschränkt die vollen Hoheitsrechte ausüben könne. Allein diese Auffassung war doch nach verschiednen Richtungen anfechtbar, und daß sie es war, bewies schon der Um¬ stand, daß die kaiserliche Regierung selbst einen Gesetzentwurf zur Regelung ein¬ brachte und sich den Artikel 11 der Reichsverfassung gleichsam nur als letztes Zufluchtsmittel vorbehielt, falls kein Gesetz zustande kommen sollte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/581>, abgerufen am 01.05.2024.