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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Der wahre deutsche Kaiser
I^osturna.

on zwei der berühmtesten Dichter der Gegenwart, die, wenn auch
schon tot, noch immer lebendig unter uns weilen, von Theodor
Storm und Joseph Victor von Scheffel liegen nachgelassene
Bücher vor, von Storm eine Novelle, von Scheffel Gedichte, die
seine Freunde gesammelt haben. Indem wir beide Bändchen mit
demselben Blick umfassen, drängen sich unwillkürlich die Verschiedenheiten dieser
zwei Dichter, ebenso der Charaktere wie der Künstler, auf, die doch gleichzeitig
von ihrem Volke geliebt worden sind. Der Unterschied ist eigentlich gar nicht
auszumessen: er sängt bei den äußerlichsten Dingen an, wie etwa dem persön¬
lichen Auftreten, und er hört bei den tiefsten Empfindungen auf. Die har¬
monischere und im ganzen bedeutendere Erscheinung ist Storm; er war ein
Mensch mit klarem Wollen, ein stetiger Charakter, ein Künstler, der immer
klar über seine Aufgabe, seine Fähigkeiten und das Wesen seiner Kunst gedacht
hat. Die Geschichte seiner Kunst ist allein ein merkwürdig erhebendes Schau¬
spiel, denn sie zeigt uus, daß Storm nur nach und nach von kleinen Aufgaben
zu höheren emporschreiten konnte, vom lyrisch empfundenen Stimmungsbilde, das
für sich allein dasteht, zu szenenreicheu Handlungen, von einem einzigen Typus,
dem resignirenden Reinhardt, zur Gestaltung der verschiedensten Menschenarten,
bis er endlich sein Meisterwerk, die eben vorliegende Novelle Der Schimmel¬
reiter (Berlin, Puckel, 1888) schaffen konnte, in der sich alle Motive seiner
Poesie beisammen finden, und die als Ganzes doch wieder überraschend neu
wirkt. Wie ganz anders war Scheffel beschaffen! Wie zerklüftet, wie unklar
und wie unglücklich erscheint er als Künstler neben Storni, den er an Mannig¬
faltigkeit und Beweglichkeit des Talentes von Haus aus vielleicht übertraf'
Die Blütezeit feiner Kunst war bald vorbei. Wie lange dauerte es, bis er
sich überhaupt seines dichterischen Berufes klar bewußt geworden war! Ihm
hatte, im Gegensatz zu Storm, die aufgezwungene Juristerei zunächst schon
die Jugend verdorben. Er hatte, ein echter Süddeutscher, seines Tempera¬
ments nicht Herr werden können. Die Philisterei der kleinen Stadt, die
Langeweile des Amtslebens ertrug er ungeduldig, er machte sich im Humor,
in der Parodie zwar Lust, schuf sich aber damit keine Freunde. Dann schwankte
er zwischen der Liebe zur Malerkunst und dein Drange zur Poesie, unklar
darüber, welcher Muse er sich zu widmen Hütte. Endlich entschied die Schöpfung




Der wahre deutsche Kaiser
I^osturna.

on zwei der berühmtesten Dichter der Gegenwart, die, wenn auch
schon tot, noch immer lebendig unter uns weilen, von Theodor
Storm und Joseph Victor von Scheffel liegen nachgelassene
Bücher vor, von Storm eine Novelle, von Scheffel Gedichte, die
seine Freunde gesammelt haben. Indem wir beide Bändchen mit
demselben Blick umfassen, drängen sich unwillkürlich die Verschiedenheiten dieser
zwei Dichter, ebenso der Charaktere wie der Künstler, auf, die doch gleichzeitig
von ihrem Volke geliebt worden sind. Der Unterschied ist eigentlich gar nicht
auszumessen: er sängt bei den äußerlichsten Dingen an, wie etwa dem persön¬
lichen Auftreten, und er hört bei den tiefsten Empfindungen auf. Die har¬
monischere und im ganzen bedeutendere Erscheinung ist Storm; er war ein
Mensch mit klarem Wollen, ein stetiger Charakter, ein Künstler, der immer
klar über seine Aufgabe, seine Fähigkeiten und das Wesen seiner Kunst gedacht
hat. Die Geschichte seiner Kunst ist allein ein merkwürdig erhebendes Schau¬
spiel, denn sie zeigt uus, daß Storm nur nach und nach von kleinen Aufgaben
zu höheren emporschreiten konnte, vom lyrisch empfundenen Stimmungsbilde, das
für sich allein dasteht, zu szenenreicheu Handlungen, von einem einzigen Typus,
dem resignirenden Reinhardt, zur Gestaltung der verschiedensten Menschenarten,
bis er endlich sein Meisterwerk, die eben vorliegende Novelle Der Schimmel¬
reiter (Berlin, Puckel, 1888) schaffen konnte, in der sich alle Motive seiner
Poesie beisammen finden, und die als Ganzes doch wieder überraschend neu
wirkt. Wie ganz anders war Scheffel beschaffen! Wie zerklüftet, wie unklar
und wie unglücklich erscheint er als Künstler neben Storni, den er an Mannig¬
faltigkeit und Beweglichkeit des Talentes von Haus aus vielleicht übertraf'
Die Blütezeit feiner Kunst war bald vorbei. Wie lange dauerte es, bis er
sich überhaupt seines dichterischen Berufes klar bewußt geworden war! Ihm
hatte, im Gegensatz zu Storm, die aufgezwungene Juristerei zunächst schon
die Jugend verdorben. Er hatte, ein echter Süddeutscher, seines Tempera¬
ments nicht Herr werden können. Die Philisterei der kleinen Stadt, die
Langeweile des Amtslebens ertrug er ungeduldig, er machte sich im Humor,
in der Parodie zwar Lust, schuf sich aber damit keine Freunde. Dann schwankte
er zwischen der Liebe zur Malerkunst und dein Drange zur Poesie, unklar
darüber, welcher Muse er sich zu widmen Hütte. Endlich entschied die Schöpfung


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[0088] [Abbildung] Der wahre deutsche Kaiser I^osturna. on zwei der berühmtesten Dichter der Gegenwart, die, wenn auch schon tot, noch immer lebendig unter uns weilen, von Theodor Storm und Joseph Victor von Scheffel liegen nachgelassene Bücher vor, von Storm eine Novelle, von Scheffel Gedichte, die seine Freunde gesammelt haben. Indem wir beide Bändchen mit demselben Blick umfassen, drängen sich unwillkürlich die Verschiedenheiten dieser zwei Dichter, ebenso der Charaktere wie der Künstler, auf, die doch gleichzeitig von ihrem Volke geliebt worden sind. Der Unterschied ist eigentlich gar nicht auszumessen: er sängt bei den äußerlichsten Dingen an, wie etwa dem persön¬ lichen Auftreten, und er hört bei den tiefsten Empfindungen auf. Die har¬ monischere und im ganzen bedeutendere Erscheinung ist Storm; er war ein Mensch mit klarem Wollen, ein stetiger Charakter, ein Künstler, der immer klar über seine Aufgabe, seine Fähigkeiten und das Wesen seiner Kunst gedacht hat. Die Geschichte seiner Kunst ist allein ein merkwürdig erhebendes Schau¬ spiel, denn sie zeigt uus, daß Storm nur nach und nach von kleinen Aufgaben zu höheren emporschreiten konnte, vom lyrisch empfundenen Stimmungsbilde, das für sich allein dasteht, zu szenenreicheu Handlungen, von einem einzigen Typus, dem resignirenden Reinhardt, zur Gestaltung der verschiedensten Menschenarten, bis er endlich sein Meisterwerk, die eben vorliegende Novelle Der Schimmel¬ reiter (Berlin, Puckel, 1888) schaffen konnte, in der sich alle Motive seiner Poesie beisammen finden, und die als Ganzes doch wieder überraschend neu wirkt. Wie ganz anders war Scheffel beschaffen! Wie zerklüftet, wie unklar und wie unglücklich erscheint er als Künstler neben Storni, den er an Mannig¬ faltigkeit und Beweglichkeit des Talentes von Haus aus vielleicht übertraf' Die Blütezeit feiner Kunst war bald vorbei. Wie lange dauerte es, bis er sich überhaupt seines dichterischen Berufes klar bewußt geworden war! Ihm hatte, im Gegensatz zu Storm, die aufgezwungene Juristerei zunächst schon die Jugend verdorben. Er hatte, ein echter Süddeutscher, seines Tempera¬ ments nicht Herr werden können. Die Philisterei der kleinen Stadt, die Langeweile des Amtslebens ertrug er ungeduldig, er machte sich im Humor, in der Parodie zwar Lust, schuf sich aber damit keine Freunde. Dann schwankte er zwischen der Liebe zur Malerkunst und dein Drange zur Poesie, unklar darüber, welcher Muse er sich zu widmen Hütte. Endlich entschied die Schöpfung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/88>, abgerufen am 05.05.2024.