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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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des "Trompeters von Säkkmgen" über seinen innern Beruf. Aber dann er¬
griff ihn wieder die Leidenschaft für die Germanistik. Storm hatte sich früh
den bürgerlichen Beruf des Vaters gewählt, er wurde Jurist, Advokat, Gerichts¬
beamter; seine äußere Stellung war damit geordnet und hinderte ihn nicht,
die auch ihm teuer gewordene Sagenforschuug zu betreiben. Scheffel suchte
auch nach einer solchen Stellung, er wollte sich als Germanist an einer Hochschule
habilitiren, aber mitten im wissenschaftlichen Studium besuchte ihn die Muse,
und das Unglück wollte es, daß ihre erste große Gabe, der "Ekkehard", zunächst
keine Anerkennung fand. So ward er zuvörderst weder ein anerkannter Dichter
noch ein Professor. Das verwirrte ihn und verdarb ihn auch. Ebenbürtiges
schuf er seitdem nicht mehr. Er war Dichter, solange er unbefangen seinen
Genius walten ließ; er war Lyriker am meisten dort, wo er es selbst kaum
beachtete, in jenen frischen "Gaudeamus"-Gesängen, deren Erfolg ihn selbst
überraschte. Dann suchte er in emsigen Studien nach der Poesie, aber je mehr
er ihr nachging, um so mehr floh sie ihn, denn so klar wie Storm war er sich
nicht über das Wesen dieser Kunst. Beide sprechen auch ganz verschieden; die
Verse des "Trompeters" mit Ausnahme der eingeflochtenen Lieder, können un¬
möglich nach Storms Geschmack gewesen sein; Scheffels Parodie knüpft in
demselben Maße an Heine, wie Storms Phantasie an Eichendorff und Callvt-
Hoffmann an, und ist auch die mächtige Leidenschaft des "Ekkehard" niemals
von Storm, auch in ^.auis sudmorsus uicht, erreicht worden, so steht doch
seine gegenständliche, klassische Prosa höher als irgend etwas von Scheffel.
So sind es zwei weltverschicdene Menschen. Im Sturme gleichsam hat Scheffel
und seinem "Gaudeamus" die deutsche akademische Jugend gewonnen, die
Popularität seines "Trompeters" steht ohnegleichen in der deutschen Litteratur
unsers Jahrhunderts da; sein Mönch Ekkehard ist in zahllosen Nachahmungen
durch unsre Romane und Novellen gegangen. Damit kann sich wieder
Storm nicht vergleichen, der zu derselben Zeit wie Geibel in die Litteratur
eintrat und noch weit mehr Jahre auf Anerkennung zu warten hatte, als es
Scheffel jemals nötig hatte. Wie verschieden sind beide auch in ihrem Ver¬
halten zur Heimat! Zwar ist ihnen gemeinsam der offene Sinn für die heimische
Vorzeit; Scheffel hat seiue Schwarzwälder uicht minder genau studirt, als Storm
feine Holsten und Friesen. Aber Storm hing so zäh um der heimatlichen
Scholle, daß er selbst den durch die politischen Zustünde ihm aufgenötigten
Aufenthalt in Preußen und Thüringen schon als Verbannung empfand; Scheffel
war stets auf der Wanderung, in Rom und Venedig, in Heidelberg und München,
Ul Säkkmgen und Radolfzell, man wußte in seinen Jugendjahren oft uicht, wo
Man ihn zu suchen hatte. Und doch, wie ungleich reicher ist die Welt des zäh an¬
sässigen Storm gegenüber der Welt des fahrenden Schülers Scheffel. Auch dies ist
^ne Folge der höhern Kunstnnsicht Storms; denn nicht die Mannigfaltigkeit
der Landschaften und Kulturen, sondern der innern Gemütswelt des Menschen


Grenzboten I 1889 11
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des „Trompeters von Säkkmgen" über seinen innern Beruf. Aber dann er¬
griff ihn wieder die Leidenschaft für die Germanistik. Storm hatte sich früh
den bürgerlichen Beruf des Vaters gewählt, er wurde Jurist, Advokat, Gerichts¬
beamter; seine äußere Stellung war damit geordnet und hinderte ihn nicht,
die auch ihm teuer gewordene Sagenforschuug zu betreiben. Scheffel suchte
auch nach einer solchen Stellung, er wollte sich als Germanist an einer Hochschule
habilitiren, aber mitten im wissenschaftlichen Studium besuchte ihn die Muse,
und das Unglück wollte es, daß ihre erste große Gabe, der „Ekkehard", zunächst
keine Anerkennung fand. So ward er zuvörderst weder ein anerkannter Dichter
noch ein Professor. Das verwirrte ihn und verdarb ihn auch. Ebenbürtiges
schuf er seitdem nicht mehr. Er war Dichter, solange er unbefangen seinen
Genius walten ließ; er war Lyriker am meisten dort, wo er es selbst kaum
beachtete, in jenen frischen „Gaudeamus"-Gesängen, deren Erfolg ihn selbst
überraschte. Dann suchte er in emsigen Studien nach der Poesie, aber je mehr
er ihr nachging, um so mehr floh sie ihn, denn so klar wie Storm war er sich
nicht über das Wesen dieser Kunst. Beide sprechen auch ganz verschieden; die
Verse des „Trompeters" mit Ausnahme der eingeflochtenen Lieder, können un¬
möglich nach Storms Geschmack gewesen sein; Scheffels Parodie knüpft in
demselben Maße an Heine, wie Storms Phantasie an Eichendorff und Callvt-
Hoffmann an, und ist auch die mächtige Leidenschaft des „Ekkehard" niemals
von Storm, auch in ^.auis sudmorsus uicht, erreicht worden, so steht doch
seine gegenständliche, klassische Prosa höher als irgend etwas von Scheffel.
So sind es zwei weltverschicdene Menschen. Im Sturme gleichsam hat Scheffel
und seinem „Gaudeamus" die deutsche akademische Jugend gewonnen, die
Popularität seines „Trompeters" steht ohnegleichen in der deutschen Litteratur
unsers Jahrhunderts da; sein Mönch Ekkehard ist in zahllosen Nachahmungen
durch unsre Romane und Novellen gegangen. Damit kann sich wieder
Storm nicht vergleichen, der zu derselben Zeit wie Geibel in die Litteratur
eintrat und noch weit mehr Jahre auf Anerkennung zu warten hatte, als es
Scheffel jemals nötig hatte. Wie verschieden sind beide auch in ihrem Ver¬
halten zur Heimat! Zwar ist ihnen gemeinsam der offene Sinn für die heimische
Vorzeit; Scheffel hat seiue Schwarzwälder uicht minder genau studirt, als Storm
feine Holsten und Friesen. Aber Storm hing so zäh um der heimatlichen
Scholle, daß er selbst den durch die politischen Zustünde ihm aufgenötigten
Aufenthalt in Preußen und Thüringen schon als Verbannung empfand; Scheffel
war stets auf der Wanderung, in Rom und Venedig, in Heidelberg und München,
Ul Säkkmgen und Radolfzell, man wußte in seinen Jugendjahren oft uicht, wo
Man ihn zu suchen hatte. Und doch, wie ungleich reicher ist die Welt des zäh an¬
sässigen Storm gegenüber der Welt des fahrenden Schülers Scheffel. Auch dies ist
^ne Folge der höhern Kunstnnsicht Storms; denn nicht die Mannigfaltigkeit
der Landschaften und Kulturen, sondern der innern Gemütswelt des Menschen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/89>, abgerufen am 25.05.2024.