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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Neue Briefe von Goethes Mutter
von Acirll Heinemann

a Sie alle Briefe dieser Art drucken lassen, so tönte mir diese
Ehre ebenfalls wiederfahren -- welches mir dann keinen kleinen
ärger verursachen würde." So schrieb einst Goethes Mutter
scherzend an den ihr befreundeten Schauspieler Grvßmann. Was
würde sie erst dazu sagen, daß nicht nur jene köstlichen Zeugen
ihrer liebenswürdigen Natürlichkeit und Naivität, die Briefe an Großmann
und.ferner die schriftlichen Huldigungen und Dankesbezeuguugeu um die Her¬
zogin Anna Amalia gedruckt worden sind, sondern daß nun auch ihre Herzens-
ergießungen an deu Sohn und die "liebe Tochter," die innigsten Gefühls¬
äußerungen einer liebevollen und stolzen Mutter, der gefühllosen Menge und
dem kalten Verstände der Kritiker preisgegeben werden!") Und doch sind
gerade diese Briefe die wahrsten und darum wertvollsten Äußerungen ihres
Charakters. Mochte mancher in den Briefen an Anna Aurum die überschweng¬
lichen Huldigungen der Fran Rat für geschmacklos oder gar für servil halten --
obwohl sie in Wirklichkeit nur der Ausdruck einer lebhaft gefühlten Verehrung
im Stile der Zeit sind --, vermißte vielleicht mancher in ihnen ein tieferes
Eingehen auf das Leben und Wirken des Sohnes oder hielt wohl gar die
bescheidene Zurückhaltung für kluge Vorsicht -- hier in den uns neu geschenkten
Briefen tritt Frau Rat' frei von allen Rücksichten und nur in der Eigenschaft
auf, in der allein wir sie hören wollen: als Mutter des geliebten und ver¬
götterten Wolfgang.

Neue, bisher noch unbekannte Charaktereigenschaften der Frau Rat wird
man in den Briefen freilich nicht finden und wohl auch nicht suchen -- Erich
Schmidts geistreiche Charakteristik schöpfte schon aus dieser Quelle, die andern
Erdenmenschen erst seit wenigen Tagen fließt aber sie geben eine solche
Fülle von prächtigen Belegen und Zeugnissen ihrer harmlosen, beglückenden
Heiterkeit, ihrer Natürlichkeit und geistigen Frische, ihrer rührenden Frömmig-



Schriften der Goethegesellschaft, 4. Band: Briefe von Goethes Mutter
an ihren Sohn, Christiane und August von Goethe, herausgegeben von B. Suphan.
Weimar, 1839. Die Briefe reichen vom 23. März 1780, in zusammenhängender Folge vom
4. Dezember 1792 bis zum 1. Juli 1808.


Neue Briefe von Goethes Mutter
von Acirll Heinemann

a Sie alle Briefe dieser Art drucken lassen, so tönte mir diese
Ehre ebenfalls wiederfahren — welches mir dann keinen kleinen
ärger verursachen würde." So schrieb einst Goethes Mutter
scherzend an den ihr befreundeten Schauspieler Grvßmann. Was
würde sie erst dazu sagen, daß nicht nur jene köstlichen Zeugen
ihrer liebenswürdigen Natürlichkeit und Naivität, die Briefe an Großmann
und.ferner die schriftlichen Huldigungen und Dankesbezeuguugeu um die Her¬
zogin Anna Amalia gedruckt worden sind, sondern daß nun auch ihre Herzens-
ergießungen an deu Sohn und die „liebe Tochter," die innigsten Gefühls¬
äußerungen einer liebevollen und stolzen Mutter, der gefühllosen Menge und
dem kalten Verstände der Kritiker preisgegeben werden!") Und doch sind
gerade diese Briefe die wahrsten und darum wertvollsten Äußerungen ihres
Charakters. Mochte mancher in den Briefen an Anna Aurum die überschweng¬
lichen Huldigungen der Fran Rat für geschmacklos oder gar für servil halten —
obwohl sie in Wirklichkeit nur der Ausdruck einer lebhaft gefühlten Verehrung
im Stile der Zeit sind —, vermißte vielleicht mancher in ihnen ein tieferes
Eingehen auf das Leben und Wirken des Sohnes oder hielt wohl gar die
bescheidene Zurückhaltung für kluge Vorsicht — hier in den uns neu geschenkten
Briefen tritt Frau Rat' frei von allen Rücksichten und nur in der Eigenschaft
auf, in der allein wir sie hören wollen: als Mutter des geliebten und ver¬
götterten Wolfgang.

Neue, bisher noch unbekannte Charaktereigenschaften der Frau Rat wird
man in den Briefen freilich nicht finden und wohl auch nicht suchen — Erich
Schmidts geistreiche Charakteristik schöpfte schon aus dieser Quelle, die andern
Erdenmenschen erst seit wenigen Tagen fließt aber sie geben eine solche
Fülle von prächtigen Belegen und Zeugnissen ihrer harmlosen, beglückenden
Heiterkeit, ihrer Natürlichkeit und geistigen Frische, ihrer rührenden Frömmig-



Schriften der Goethegesellschaft, 4. Band: Briefe von Goethes Mutter
an ihren Sohn, Christiane und August von Goethe, herausgegeben von B. Suphan.
Weimar, 1839. Die Briefe reichen vom 23. März 1780, in zusammenhängender Folge vom
4. Dezember 1792 bis zum 1. Juli 1808.
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[0036] [Abbildung] Neue Briefe von Goethes Mutter von Acirll Heinemann a Sie alle Briefe dieser Art drucken lassen, so tönte mir diese Ehre ebenfalls wiederfahren — welches mir dann keinen kleinen ärger verursachen würde." So schrieb einst Goethes Mutter scherzend an den ihr befreundeten Schauspieler Grvßmann. Was würde sie erst dazu sagen, daß nicht nur jene köstlichen Zeugen ihrer liebenswürdigen Natürlichkeit und Naivität, die Briefe an Großmann und.ferner die schriftlichen Huldigungen und Dankesbezeuguugeu um die Her¬ zogin Anna Amalia gedruckt worden sind, sondern daß nun auch ihre Herzens- ergießungen an deu Sohn und die „liebe Tochter," die innigsten Gefühls¬ äußerungen einer liebevollen und stolzen Mutter, der gefühllosen Menge und dem kalten Verstände der Kritiker preisgegeben werden!") Und doch sind gerade diese Briefe die wahrsten und darum wertvollsten Äußerungen ihres Charakters. Mochte mancher in den Briefen an Anna Aurum die überschweng¬ lichen Huldigungen der Fran Rat für geschmacklos oder gar für servil halten — obwohl sie in Wirklichkeit nur der Ausdruck einer lebhaft gefühlten Verehrung im Stile der Zeit sind —, vermißte vielleicht mancher in ihnen ein tieferes Eingehen auf das Leben und Wirken des Sohnes oder hielt wohl gar die bescheidene Zurückhaltung für kluge Vorsicht — hier in den uns neu geschenkten Briefen tritt Frau Rat' frei von allen Rücksichten und nur in der Eigenschaft auf, in der allein wir sie hören wollen: als Mutter des geliebten und ver¬ götterten Wolfgang. Neue, bisher noch unbekannte Charaktereigenschaften der Frau Rat wird man in den Briefen freilich nicht finden und wohl auch nicht suchen — Erich Schmidts geistreiche Charakteristik schöpfte schon aus dieser Quelle, die andern Erdenmenschen erst seit wenigen Tagen fließt aber sie geben eine solche Fülle von prächtigen Belegen und Zeugnissen ihrer harmlosen, beglückenden Heiterkeit, ihrer Natürlichkeit und geistigen Frische, ihrer rührenden Frömmig- Schriften der Goethegesellschaft, 4. Band: Briefe von Goethes Mutter an ihren Sohn, Christiane und August von Goethe, herausgegeben von B. Suphan. Weimar, 1839. Die Briefe reichen vom 23. März 1780, in zusammenhängender Folge vom 4. Dezember 1792 bis zum 1. Juli 1808.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/36>, abgerufen am 06.05.2024.