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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Inr Erinnerung an Gelo Ludwig

Es wäre nicht uninteressant, einen Roman wie "Zwischen Himmel und
Erde," der in den fünfziger Jahren vielfach zu realistisch, zu hart in der
Wiedergabe des Lebens gefunden wurde, genau nach einem Menschenalter mit
irgend einer gepriesenen Wirklichkeitsdarstellung des Augenblicks zu vergleiche".
Doch ist es wohl eine beßre Erinnerung an den geschiedneu Dichter, wenn
wir ihn in seinem strengen, schlichten Künstlerernst, in seiner Gemütswärme
lind hohen menschlichen Liebenswürdigkeit unmittelbar vorführen. Aus der reichen
Zahl seiner Briefe, die in einer Lebensgeschichte des Dichters, an der Adolf
Stern in Dresden gegenwärtig arbeitet, litterarisch verwertet werden sollen,
mögen einige besonders interessante heute hier mitgeteilt werden. Sie bedürfen
kaum der Erläuterung, sie sprechen für sich selbst, sie spiegeln das Wesen des
Dichters treu, scharf und zugleich herzgewinnend wieder, und sie mahnen
an die Kämpfe, die Otto Ludwig im Leben und mehr noch in sich selbst zu
bestehen hatte und siegreich bestand.

1
Otto Ludwig an Eduard Devrient

Dresden, am 4. Februar 1W3

Nun aber, lieber Freund, müssen Sie sich schon eine Störung gefallen lassen !
Ich habe Sie lange genug geschont.

Der Gedanke, einen Brief vor Ihnen herzusagen, den Sie bei Ihrer Ankunft
in Karlsruhe bereits vorfinden sollten, und so einer der ersten zu sein, der Sie an
dem Orte Ihres künftigen Wirkens mit Gruß und Willkommen empfinge, kam mir
leider zu spät, um noch ausgeführt werden zu können. Dann sah ich aus den
Zeitungen, daß Sie sich bereits das Joch aufgebürdet, das nicht so leicht ist als
das des Evangeliums, und der Enthusiasmus, von dem ich Ihre Bemühungen
begleitet las, beantwortete die Frage nach Ihrem Befinden am neuen. Orte ohne
briefliche Vermittlung. Weiß ich doch, daß Sie sich wohl befinden, wo Sie für
ihre Kunst wirken und die Ihrigen, wo Ihnen wohl ist! Raubte es meinem jungen
Namensbruder") nicht zu viel Zeit, wünschte ich freilich mehr zu Nüssen als eben nur,
daß Sie in Karlsruhe sind; wünschte ich wenigstens das Angesicht und etwanigen
Bart und Kragen Ihrer Wohnung, wiirs nur mit wenigen Bleistiftstrichen, vor
Augen zu haben.

Ich habe nicht einmal gefragt, ob Sie glücklich angekommen? Was Reise und
bisheriger Aufenthalt auf die Gesundheitszustande Ihrer Lieben und Ihrer selbst
gewirkt? Wie sie sich alle eingewohnt? Die Umgebung wird bei zarten tieffühlenden
Wesen ein Teil des Daseins, und die Veränderung derselben ist eine Amputation,
in der viel Nervenfäden zerrissen werden, die schwer heilen. Von mir nur so viel,
daß ich bei ziemlicher Gesundheit, das heißt, was bei mir so heißt, unter muster¬
hafter Pflege ein inneres Glück fühle, das ich vor meiner Verheiratung nicht ge¬
kannt und vor der ersten Bekanntschaft mit meiner Frau kaum geahnt habe.
"

Das Schicksal der "Makkabäer in Wien und Dresden werden Sie bereits



*) Otto Devrient, Eduards Sohn, gegenwärtig als Ur. Otto Devrient, Direktor des könig<
"chen Schauspieles in Berlin.
Grenzboten I 1"9et 54
Inr Erinnerung an Gelo Ludwig

Es wäre nicht uninteressant, einen Roman wie „Zwischen Himmel und
Erde," der in den fünfziger Jahren vielfach zu realistisch, zu hart in der
Wiedergabe des Lebens gefunden wurde, genau nach einem Menschenalter mit
irgend einer gepriesenen Wirklichkeitsdarstellung des Augenblicks zu vergleiche».
Doch ist es wohl eine beßre Erinnerung an den geschiedneu Dichter, wenn
wir ihn in seinem strengen, schlichten Künstlerernst, in seiner Gemütswärme
lind hohen menschlichen Liebenswürdigkeit unmittelbar vorführen. Aus der reichen
Zahl seiner Briefe, die in einer Lebensgeschichte des Dichters, an der Adolf
Stern in Dresden gegenwärtig arbeitet, litterarisch verwertet werden sollen,
mögen einige besonders interessante heute hier mitgeteilt werden. Sie bedürfen
kaum der Erläuterung, sie sprechen für sich selbst, sie spiegeln das Wesen des
Dichters treu, scharf und zugleich herzgewinnend wieder, und sie mahnen
an die Kämpfe, die Otto Ludwig im Leben und mehr noch in sich selbst zu
bestehen hatte und siegreich bestand.

1
Otto Ludwig an Eduard Devrient

Dresden, am 4. Februar 1W3

Nun aber, lieber Freund, müssen Sie sich schon eine Störung gefallen lassen !
Ich habe Sie lange genug geschont.

Der Gedanke, einen Brief vor Ihnen herzusagen, den Sie bei Ihrer Ankunft
in Karlsruhe bereits vorfinden sollten, und so einer der ersten zu sein, der Sie an
dem Orte Ihres künftigen Wirkens mit Gruß und Willkommen empfinge, kam mir
leider zu spät, um noch ausgeführt werden zu können. Dann sah ich aus den
Zeitungen, daß Sie sich bereits das Joch aufgebürdet, das nicht so leicht ist als
das des Evangeliums, und der Enthusiasmus, von dem ich Ihre Bemühungen
begleitet las, beantwortete die Frage nach Ihrem Befinden am neuen. Orte ohne
briefliche Vermittlung. Weiß ich doch, daß Sie sich wohl befinden, wo Sie für
ihre Kunst wirken und die Ihrigen, wo Ihnen wohl ist! Raubte es meinem jungen
Namensbruder") nicht zu viel Zeit, wünschte ich freilich mehr zu Nüssen als eben nur,
daß Sie in Karlsruhe sind; wünschte ich wenigstens das Angesicht und etwanigen
Bart und Kragen Ihrer Wohnung, wiirs nur mit wenigen Bleistiftstrichen, vor
Augen zu haben.

Ich habe nicht einmal gefragt, ob Sie glücklich angekommen? Was Reise und
bisheriger Aufenthalt auf die Gesundheitszustande Ihrer Lieben und Ihrer selbst
gewirkt? Wie sie sich alle eingewohnt? Die Umgebung wird bei zarten tieffühlenden
Wesen ein Teil des Daseins, und die Veränderung derselben ist eine Amputation,
in der viel Nervenfäden zerrissen werden, die schwer heilen. Von mir nur so viel,
daß ich bei ziemlicher Gesundheit, das heißt, was bei mir so heißt, unter muster¬
hafter Pflege ein inneres Glück fühle, das ich vor meiner Verheiratung nicht ge¬
kannt und vor der ersten Bekanntschaft mit meiner Frau kaum geahnt habe.
"

Das Schicksal der „Makkabäer in Wien und Dresden werden Sie bereits



*) Otto Devrient, Eduards Sohn, gegenwärtig als Ur. Otto Devrient, Direktor des könig<
"chen Schauspieles in Berlin.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/433>, abgerufen am 05.05.2024.