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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Alumneumserinnerungen
Kortschmig)

er ganze Singechor der Kreuzschule bestand aus vierundfünfzig
Jungen. Außer den zweiunddreißig Alumnen waren noch zweiund¬
zwanzig da, die uicht auf dein Alumneum wohnten, sondern ans
Kosten ihrer Eltern in Familien untergebracht waren oder auch
- die Eltern selbst in der Stadt hatten, aber am Chordienst teil¬
nahmen, um freien Schulunterricht zu haben. Sie hießen "Kurrendnuer."

Diese vierundfünfzig zusammen hatten Sonn- und Wochentags den Chor¬
dienst in drei Kirchen zu versorgen: in der Kreuzkirche, in der Frauenkirche
und in der evangelischen Hofkirche oder Sophienkirche. In der Kreuzkirche
gab es Sonntags Frühgottesdienst, im Sommer um fünf, im Winter um
sechs Uhr, Vormittagsgvttesdienst um halb neun Uhr und Nachmittagsgottes¬
dienst um halb drei Uhr, jeden Wochentag dreiviertel zwei Uhr Betstunde,
außerdem Donnerstags früh um sieben Uhr Wochenkommunivn, Freitags früh
Betstunde und Sonnabends halb zwei Uhr Vesper. In der Frauenkirche war
Sonntags Vormittags- und Mittagsgottesdienst, in der Woche nichts. In der
Sophienkirche bestand eine eigentümliche Teilung. Sonntags Vormittags galt
sie als Hofkirche, da war Hofgottesdienst, eine Einrichtung, die noch aus der
Zeit stammte, wo der Hof evangelisch gewesen war; für diesen Gottesdienst
war ein besondrer Organist da, und ein besondrer kleiner Singechvr, die Kapell¬
knaben. Sie sangen aber nur Sopran und Alt, daher blickten wir mit einer
gewissen Geringschätzung auf sie hinab und nannten sie "Kapellschuster."
Mittags und nachmittags dagegen galt die Kirche als Stadtkirche, und da
hatten wir Kreuzschüler den Gottesdienst zu besorgen. Zu alledem kam dann
noch die Kurrende, Brautmessen, Leichensingen vor den Häusern und Leichen-
siugen auf den Kirchhöfen.

Um diesen vielfachen Aufgaben genügen zu können, war der Chor in ver-
schiedner Weise gegliedert. Die Alumnen allein waren in drei "Amtsparten,"
die Alumnen und die Kurrendaner zusammen in zwei "Chöre" und außerdem
in vier "Wochenparten" geteilt. Eine "Amtspart" bestand also aus zehn,
ein "Chor" aus siebenundzwanzig, eine "Wocheupart" aus dreizehn Jungen.
Jede Part war, ebenso wie die beiden Chöre, vollständig vierstimmig; sie




Alumneumserinnerungen
Kortschmig)

er ganze Singechor der Kreuzschule bestand aus vierundfünfzig
Jungen. Außer den zweiunddreißig Alumnen waren noch zweiund¬
zwanzig da, die uicht auf dein Alumneum wohnten, sondern ans
Kosten ihrer Eltern in Familien untergebracht waren oder auch
- die Eltern selbst in der Stadt hatten, aber am Chordienst teil¬
nahmen, um freien Schulunterricht zu haben. Sie hießen „Kurrendnuer."

Diese vierundfünfzig zusammen hatten Sonn- und Wochentags den Chor¬
dienst in drei Kirchen zu versorgen: in der Kreuzkirche, in der Frauenkirche
und in der evangelischen Hofkirche oder Sophienkirche. In der Kreuzkirche
gab es Sonntags Frühgottesdienst, im Sommer um fünf, im Winter um
sechs Uhr, Vormittagsgvttesdienst um halb neun Uhr und Nachmittagsgottes¬
dienst um halb drei Uhr, jeden Wochentag dreiviertel zwei Uhr Betstunde,
außerdem Donnerstags früh um sieben Uhr Wochenkommunivn, Freitags früh
Betstunde und Sonnabends halb zwei Uhr Vesper. In der Frauenkirche war
Sonntags Vormittags- und Mittagsgottesdienst, in der Woche nichts. In der
Sophienkirche bestand eine eigentümliche Teilung. Sonntags Vormittags galt
sie als Hofkirche, da war Hofgottesdienst, eine Einrichtung, die noch aus der
Zeit stammte, wo der Hof evangelisch gewesen war; für diesen Gottesdienst
war ein besondrer Organist da, und ein besondrer kleiner Singechvr, die Kapell¬
knaben. Sie sangen aber nur Sopran und Alt, daher blickten wir mit einer
gewissen Geringschätzung auf sie hinab und nannten sie „Kapellschuster."
Mittags und nachmittags dagegen galt die Kirche als Stadtkirche, und da
hatten wir Kreuzschüler den Gottesdienst zu besorgen. Zu alledem kam dann
noch die Kurrende, Brautmessen, Leichensingen vor den Häusern und Leichen-
siugen auf den Kirchhöfen.

Um diesen vielfachen Aufgaben genügen zu können, war der Chor in ver-
schiedner Weise gegliedert. Die Alumnen allein waren in drei „Amtsparten,"
die Alumnen und die Kurrendaner zusammen in zwei „Chöre" und außerdem
in vier „Wochenparten" geteilt. Eine „Amtspart" bestand also aus zehn,
ein „Chor" aus siebenundzwanzig, eine „Wocheupart" aus dreizehn Jungen.
Jede Part war, ebenso wie die beiden Chöre, vollständig vierstimmig; sie


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[0130] [Abbildung] Alumneumserinnerungen Kortschmig) er ganze Singechor der Kreuzschule bestand aus vierundfünfzig Jungen. Außer den zweiunddreißig Alumnen waren noch zweiund¬ zwanzig da, die uicht auf dein Alumneum wohnten, sondern ans Kosten ihrer Eltern in Familien untergebracht waren oder auch - die Eltern selbst in der Stadt hatten, aber am Chordienst teil¬ nahmen, um freien Schulunterricht zu haben. Sie hießen „Kurrendnuer." Diese vierundfünfzig zusammen hatten Sonn- und Wochentags den Chor¬ dienst in drei Kirchen zu versorgen: in der Kreuzkirche, in der Frauenkirche und in der evangelischen Hofkirche oder Sophienkirche. In der Kreuzkirche gab es Sonntags Frühgottesdienst, im Sommer um fünf, im Winter um sechs Uhr, Vormittagsgvttesdienst um halb neun Uhr und Nachmittagsgottes¬ dienst um halb drei Uhr, jeden Wochentag dreiviertel zwei Uhr Betstunde, außerdem Donnerstags früh um sieben Uhr Wochenkommunivn, Freitags früh Betstunde und Sonnabends halb zwei Uhr Vesper. In der Frauenkirche war Sonntags Vormittags- und Mittagsgottesdienst, in der Woche nichts. In der Sophienkirche bestand eine eigentümliche Teilung. Sonntags Vormittags galt sie als Hofkirche, da war Hofgottesdienst, eine Einrichtung, die noch aus der Zeit stammte, wo der Hof evangelisch gewesen war; für diesen Gottesdienst war ein besondrer Organist da, und ein besondrer kleiner Singechvr, die Kapell¬ knaben. Sie sangen aber nur Sopran und Alt, daher blickten wir mit einer gewissen Geringschätzung auf sie hinab und nannten sie „Kapellschuster." Mittags und nachmittags dagegen galt die Kirche als Stadtkirche, und da hatten wir Kreuzschüler den Gottesdienst zu besorgen. Zu alledem kam dann noch die Kurrende, Brautmessen, Leichensingen vor den Häusern und Leichen- siugen auf den Kirchhöfen. Um diesen vielfachen Aufgaben genügen zu können, war der Chor in ver- schiedner Weise gegliedert. Die Alumnen allein waren in drei „Amtsparten," die Alumnen und die Kurrendaner zusammen in zwei „Chöre" und außerdem in vier „Wochenparten" geteilt. Eine „Amtspart" bestand also aus zehn, ein „Chor" aus siebenundzwanzig, eine „Wocheupart" aus dreizehn Jungen. Jede Part war, ebenso wie die beiden Chöre, vollständig vierstimmig; sie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/130>, abgerufen am 28.04.2024.