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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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anders aussieht als diese, ist wohl kein Vorwurf. Oder macht man jenen
Alten etwa Vorwürfe, weil ihre Kunstwerke anders aussehen, als die der von
ihnen so hoch gepriesenen Antike?

Auch was uns sonst von Photogravüreu in dein Casperschen Kunstsalon
begegnet ist, verdient Lob, teils wegen des erlesenen Geschmacks, mit dem die
meisten Sachen ausgesucht sind, teils wegen der durchweg vortrefflichen Aus¬
führung. Einiges könnte man freilich trotz des letztern Vorzuges leicht missen.
Das kleine, "Haideröschen" benannte Gänsemädchen mit den schwarzen Haaren
und dem koketten Blick (von G. Wertheimer), das sich "gelangweilt" fühlende
Fräulein, das ihr Blumenbegießen unterbricht, um sich in ihrer Langenweile
zu einer wenig schönen Stellung auszurecken (von N. Romagnoli), und noch
einiges andre erscheint doch allzu unbedeutend und der sonstigen vornehmen
Vildergesellschaft nicht recht angemessen.

Da nimmt man das "Vorpostengeplänkel" von A. Saul schon lieber hin.
Dieser Krieger des siebzehnten Jahrhunderts, der mit der hübschen Inhaberin
einer Schenke schäkert und ganz darnach aussieht, als ob er aus dem Geplänkel
bald einen regelrechten Sturmangriff machen wollte, erinnert lebhaft an die
Gestalten Vineas, was keine schlechte Empfehlung für das Bild ist. Überaus
anmutig ist die "Interessante Lektüre," ein Werk des Jtalieners Tito Conti,
darstellend eine lesende junge Dame im Kostüm des vorigen Jahrhunderts,
das freilich nach der von Conti beliebten Art von Anachronismen nicht völlig
frei ist. Die deutsche Kunst ist durch mehrere ausgezeichnete Werke vertreten.
Ich erwähne namentlich ein vorzügliches Tierstück von C. Rud. Huber, betitelt
"An der Tränke," ferner ein reizendes Grütznersches Bild, selbstverständlich
einen Mönch darstellend, der voll Andacht im Klosterkeller das neueste Gewächs
probirt, endlich ein Bild von Hcirburgcr: "Das Bittgesuch": in seiner Studir-
stube sitzt im bequemen Lehnsessel am Tische der gestrenge Herr Rat, satt und
wohlbeleibt, die verquollenen kleinen Angen gleichgiltig blinzelnd auf den vor
ihn: sitzenden Bittsteller gerichtet. Die halbverhungerte Gestalt des letztern
hat der Künstler etwas gar zu absichtlich gebildet; dennoch ist es ein wirkungs¬
volles Genrebild, lebendig und spannend, wie der vorletzte Akt eines Dramas.

Leistungen wie die eben besprochenen kann man, mit den gemachten Ein-
schrünknngen, als Meisterwerke bezeichnen. Sollte jemand einwenden, daß
mechanische Reproduktion auf jeden Fall nur einen relativen Wert behalte, so
bin ich ganz derselben Ansicht. Wenn der Kupferstich, insbesondre die Nadirung,
die Photogravüre einmal wieder beiseite schieben sollte, so würde eben ein
schwächerer von einem Tüchtigern besiegt werden. Bis dahin bleibt mir eine
vorzügliche mechanische Reproduktion lieber, als eine mittelmäßige nicht¬
mechanische. Sollte ich damit nicht Recht haben?


G. Doering


Grenzboten III 18S"10
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anders aussieht als diese, ist wohl kein Vorwurf. Oder macht man jenen
Alten etwa Vorwürfe, weil ihre Kunstwerke anders aussehen, als die der von
ihnen so hoch gepriesenen Antike?

Auch was uns sonst von Photogravüreu in dein Casperschen Kunstsalon
begegnet ist, verdient Lob, teils wegen des erlesenen Geschmacks, mit dem die
meisten Sachen ausgesucht sind, teils wegen der durchweg vortrefflichen Aus¬
führung. Einiges könnte man freilich trotz des letztern Vorzuges leicht missen.
Das kleine, „Haideröschen" benannte Gänsemädchen mit den schwarzen Haaren
und dem koketten Blick (von G. Wertheimer), das sich „gelangweilt" fühlende
Fräulein, das ihr Blumenbegießen unterbricht, um sich in ihrer Langenweile
zu einer wenig schönen Stellung auszurecken (von N. Romagnoli), und noch
einiges andre erscheint doch allzu unbedeutend und der sonstigen vornehmen
Vildergesellschaft nicht recht angemessen.

Da nimmt man das „Vorpostengeplänkel" von A. Saul schon lieber hin.
Dieser Krieger des siebzehnten Jahrhunderts, der mit der hübschen Inhaberin
einer Schenke schäkert und ganz darnach aussieht, als ob er aus dem Geplänkel
bald einen regelrechten Sturmangriff machen wollte, erinnert lebhaft an die
Gestalten Vineas, was keine schlechte Empfehlung für das Bild ist. Überaus
anmutig ist die „Interessante Lektüre," ein Werk des Jtalieners Tito Conti,
darstellend eine lesende junge Dame im Kostüm des vorigen Jahrhunderts,
das freilich nach der von Conti beliebten Art von Anachronismen nicht völlig
frei ist. Die deutsche Kunst ist durch mehrere ausgezeichnete Werke vertreten.
Ich erwähne namentlich ein vorzügliches Tierstück von C. Rud. Huber, betitelt
„An der Tränke," ferner ein reizendes Grütznersches Bild, selbstverständlich
einen Mönch darstellend, der voll Andacht im Klosterkeller das neueste Gewächs
probirt, endlich ein Bild von Hcirburgcr: „Das Bittgesuch": in seiner Studir-
stube sitzt im bequemen Lehnsessel am Tische der gestrenge Herr Rat, satt und
wohlbeleibt, die verquollenen kleinen Angen gleichgiltig blinzelnd auf den vor
ihn: sitzenden Bittsteller gerichtet. Die halbverhungerte Gestalt des letztern
hat der Künstler etwas gar zu absichtlich gebildet; dennoch ist es ein wirkungs¬
volles Genrebild, lebendig und spannend, wie der vorletzte Akt eines Dramas.

Leistungen wie die eben besprochenen kann man, mit den gemachten Ein-
schrünknngen, als Meisterwerke bezeichnen. Sollte jemand einwenden, daß
mechanische Reproduktion auf jeden Fall nur einen relativen Wert behalte, so
bin ich ganz derselben Ansicht. Wenn der Kupferstich, insbesondre die Nadirung,
die Photogravüre einmal wieder beiseite schieben sollte, so würde eben ein
schwächerer von einem Tüchtigern besiegt werden. Bis dahin bleibt mir eine
vorzügliche mechanische Reproduktion lieber, als eine mittelmäßige nicht¬
mechanische. Sollte ich damit nicht Recht haben?


G. Doering


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[0129] Neue Photogrcwiiren anders aussieht als diese, ist wohl kein Vorwurf. Oder macht man jenen Alten etwa Vorwürfe, weil ihre Kunstwerke anders aussehen, als die der von ihnen so hoch gepriesenen Antike? Auch was uns sonst von Photogravüreu in dein Casperschen Kunstsalon begegnet ist, verdient Lob, teils wegen des erlesenen Geschmacks, mit dem die meisten Sachen ausgesucht sind, teils wegen der durchweg vortrefflichen Aus¬ führung. Einiges könnte man freilich trotz des letztern Vorzuges leicht missen. Das kleine, „Haideröschen" benannte Gänsemädchen mit den schwarzen Haaren und dem koketten Blick (von G. Wertheimer), das sich „gelangweilt" fühlende Fräulein, das ihr Blumenbegießen unterbricht, um sich in ihrer Langenweile zu einer wenig schönen Stellung auszurecken (von N. Romagnoli), und noch einiges andre erscheint doch allzu unbedeutend und der sonstigen vornehmen Vildergesellschaft nicht recht angemessen. Da nimmt man das „Vorpostengeplänkel" von A. Saul schon lieber hin. Dieser Krieger des siebzehnten Jahrhunderts, der mit der hübschen Inhaberin einer Schenke schäkert und ganz darnach aussieht, als ob er aus dem Geplänkel bald einen regelrechten Sturmangriff machen wollte, erinnert lebhaft an die Gestalten Vineas, was keine schlechte Empfehlung für das Bild ist. Überaus anmutig ist die „Interessante Lektüre," ein Werk des Jtalieners Tito Conti, darstellend eine lesende junge Dame im Kostüm des vorigen Jahrhunderts, das freilich nach der von Conti beliebten Art von Anachronismen nicht völlig frei ist. Die deutsche Kunst ist durch mehrere ausgezeichnete Werke vertreten. Ich erwähne namentlich ein vorzügliches Tierstück von C. Rud. Huber, betitelt „An der Tränke," ferner ein reizendes Grütznersches Bild, selbstverständlich einen Mönch darstellend, der voll Andacht im Klosterkeller das neueste Gewächs probirt, endlich ein Bild von Hcirburgcr: „Das Bittgesuch": in seiner Studir- stube sitzt im bequemen Lehnsessel am Tische der gestrenge Herr Rat, satt und wohlbeleibt, die verquollenen kleinen Angen gleichgiltig blinzelnd auf den vor ihn: sitzenden Bittsteller gerichtet. Die halbverhungerte Gestalt des letztern hat der Künstler etwas gar zu absichtlich gebildet; dennoch ist es ein wirkungs¬ volles Genrebild, lebendig und spannend, wie der vorletzte Akt eines Dramas. Leistungen wie die eben besprochenen kann man, mit den gemachten Ein- schrünknngen, als Meisterwerke bezeichnen. Sollte jemand einwenden, daß mechanische Reproduktion auf jeden Fall nur einen relativen Wert behalte, so bin ich ganz derselben Ansicht. Wenn der Kupferstich, insbesondre die Nadirung, die Photogravüre einmal wieder beiseite schieben sollte, so würde eben ein schwächerer von einem Tüchtigern besiegt werden. Bis dahin bleibt mir eine vorzügliche mechanische Reproduktion lieber, als eine mittelmäßige nicht¬ mechanische. Sollte ich damit nicht Recht haben? G. Doering Grenzboten III 18S»10

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/129>, abgerufen am 12.05.2024.