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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Die Bmifiihrnng des INitlelalters

die Abfolge der Bilder vorbereiten auf dasjenige Bild, um das es ihr an,
meisten zu thun ist, sie muß motiviren, und wenn sie das geschickt genug thut,
dann kann sie uns Holt und Teufel einreden, und wir glaube" ihr, weil wir
in ihrem Banne stehen, weil sie Schönheit schafft, und nur darum soll es ihr
ausschließlich zu thun sei. Kunst ist nie und "immer Natur. Die Prosaische
Wahrheit in der Dichtung, nämlich die historische Thatsächlichkeit, ist immer nur
Nebensache, was freilich zum Schaden der Kunst heute vielfach verkannt oder
geleugnet wird; ihrem Wesen nach kann es der Kunst nnr um ideale Wahr¬
heit zu thun sein.

Zum Glück ist Kruse ein besserer Erzähler als Kunstphilosoph, und so
mürrisch nur nach dieser Entgegnung ihm in aller unsrer Unbescheidenheit und
Beschränktheit erscheinen mögen, so haben nur uns dnrch sein Vorwort den
Spaß an seinen lustigen Geschichten und die Rührung bei den ernsten nicht
verderben lassen. Das bedeutendste Stück der Sammlung -- sie enthält deren
neunzehn -- ist ohne Zweifel "Adelnide": hier wird in ergreifender Weise
die Tragik der Wilden Australiens im Kampfe mit den eingedrungenen Eng¬
ländern dargestellt; man möchte es ein Stück völkerpsycholvgischer Poesie
nennen. Die längste Erzählung: "Der Kalifvrnier" bringt das ganze Lebens¬
bild eines Abenteurers, der dreimal feinen Goldschatz verloren hat und sich
schließlich damit begnügt, ein Wrack am Nordseestrande auszubeuten. Die
ganze Erzählung ist von großer Schönheit bis ans ihren Nahmen, denn es ist
doch gar zu unwahrscheinlich, daß der Kalifvrnier den ersten besten Badegästen
seine lange Geschichte so bereitwillig erzählt; hier dürfte Krnse die Natur nicht
mehr abgeschrieben haben. Andre Stücke, wie "Korrektor im Sacke," zeichnen
sich durch possenhafte" Humor oder, wie "Der Geizhals," durch hübsche Klein¬
malerei ans. Zwei Stücke sind in Gesprächsform, und zwar so kunstvoll, daß
sich die beiden Gestalten selbst echt dramatisch charakterisiren.


Moritz Wecker


Die Vauführung des Mittelcilters

le Viktorskirche in lauten gehörte bis zur Säkularisirung einem
Stift regulirter (halb mönchisch lebender) Kanoniker, die zwar dem
Erzbischof von Köln untergeben waren, aber sich ihren Propst
und ihren Dechanten selbst wählten. "Es giebt künstlerisch be¬
deutendere und giebt uoch besser erhaltene Kirchen als die Xan¬
tener -- sagt Riehl in seinem Wanderbuch --, allein ich kenne keine, welche
so schön und so vollständig erhalten zugleich wäre." Aber es sind nicht


Die Bmifiihrnng des INitlelalters

die Abfolge der Bilder vorbereiten auf dasjenige Bild, um das es ihr an,
meisten zu thun ist, sie muß motiviren, und wenn sie das geschickt genug thut,
dann kann sie uns Holt und Teufel einreden, und wir glaube» ihr, weil wir
in ihrem Banne stehen, weil sie Schönheit schafft, und nur darum soll es ihr
ausschließlich zu thun sei. Kunst ist nie und »immer Natur. Die Prosaische
Wahrheit in der Dichtung, nämlich die historische Thatsächlichkeit, ist immer nur
Nebensache, was freilich zum Schaden der Kunst heute vielfach verkannt oder
geleugnet wird; ihrem Wesen nach kann es der Kunst nnr um ideale Wahr¬
heit zu thun sein.

Zum Glück ist Kruse ein besserer Erzähler als Kunstphilosoph, und so
mürrisch nur nach dieser Entgegnung ihm in aller unsrer Unbescheidenheit und
Beschränktheit erscheinen mögen, so haben nur uns dnrch sein Vorwort den
Spaß an seinen lustigen Geschichten und die Rührung bei den ernsten nicht
verderben lassen. Das bedeutendste Stück der Sammlung — sie enthält deren
neunzehn — ist ohne Zweifel „Adelnide": hier wird in ergreifender Weise
die Tragik der Wilden Australiens im Kampfe mit den eingedrungenen Eng¬
ländern dargestellt; man möchte es ein Stück völkerpsycholvgischer Poesie
nennen. Die längste Erzählung: „Der Kalifvrnier" bringt das ganze Lebens¬
bild eines Abenteurers, der dreimal feinen Goldschatz verloren hat und sich
schließlich damit begnügt, ein Wrack am Nordseestrande auszubeuten. Die
ganze Erzählung ist von großer Schönheit bis ans ihren Nahmen, denn es ist
doch gar zu unwahrscheinlich, daß der Kalifvrnier den ersten besten Badegästen
seine lange Geschichte so bereitwillig erzählt; hier dürfte Krnse die Natur nicht
mehr abgeschrieben haben. Andre Stücke, wie „Korrektor im Sacke," zeichnen
sich durch possenhafte« Humor oder, wie „Der Geizhals," durch hübsche Klein¬
malerei ans. Zwei Stücke sind in Gesprächsform, und zwar so kunstvoll, daß
sich die beiden Gestalten selbst echt dramatisch charakterisiren.


Moritz Wecker


Die Vauführung des Mittelcilters

le Viktorskirche in lauten gehörte bis zur Säkularisirung einem
Stift regulirter (halb mönchisch lebender) Kanoniker, die zwar dem
Erzbischof von Köln untergeben waren, aber sich ihren Propst
und ihren Dechanten selbst wählten. „Es giebt künstlerisch be¬
deutendere und giebt uoch besser erhaltene Kirchen als die Xan¬
tener — sagt Riehl in seinem Wanderbuch —, allein ich kenne keine, welche
so schön und so vollständig erhalten zugleich wäre." Aber es sind nicht


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[0027] Die Bmifiihrnng des INitlelalters die Abfolge der Bilder vorbereiten auf dasjenige Bild, um das es ihr an, meisten zu thun ist, sie muß motiviren, und wenn sie das geschickt genug thut, dann kann sie uns Holt und Teufel einreden, und wir glaube» ihr, weil wir in ihrem Banne stehen, weil sie Schönheit schafft, und nur darum soll es ihr ausschließlich zu thun sei. Kunst ist nie und »immer Natur. Die Prosaische Wahrheit in der Dichtung, nämlich die historische Thatsächlichkeit, ist immer nur Nebensache, was freilich zum Schaden der Kunst heute vielfach verkannt oder geleugnet wird; ihrem Wesen nach kann es der Kunst nnr um ideale Wahr¬ heit zu thun sein. Zum Glück ist Kruse ein besserer Erzähler als Kunstphilosoph, und so mürrisch nur nach dieser Entgegnung ihm in aller unsrer Unbescheidenheit und Beschränktheit erscheinen mögen, so haben nur uns dnrch sein Vorwort den Spaß an seinen lustigen Geschichten und die Rührung bei den ernsten nicht verderben lassen. Das bedeutendste Stück der Sammlung — sie enthält deren neunzehn — ist ohne Zweifel „Adelnide": hier wird in ergreifender Weise die Tragik der Wilden Australiens im Kampfe mit den eingedrungenen Eng¬ ländern dargestellt; man möchte es ein Stück völkerpsycholvgischer Poesie nennen. Die längste Erzählung: „Der Kalifvrnier" bringt das ganze Lebens¬ bild eines Abenteurers, der dreimal feinen Goldschatz verloren hat und sich schließlich damit begnügt, ein Wrack am Nordseestrande auszubeuten. Die ganze Erzählung ist von großer Schönheit bis ans ihren Nahmen, denn es ist doch gar zu unwahrscheinlich, daß der Kalifvrnier den ersten besten Badegästen seine lange Geschichte so bereitwillig erzählt; hier dürfte Krnse die Natur nicht mehr abgeschrieben haben. Andre Stücke, wie „Korrektor im Sacke," zeichnen sich durch possenhafte« Humor oder, wie „Der Geizhals," durch hübsche Klein¬ malerei ans. Zwei Stücke sind in Gesprächsform, und zwar so kunstvoll, daß sich die beiden Gestalten selbst echt dramatisch charakterisiren. Moritz Wecker Die Vauführung des Mittelcilters le Viktorskirche in lauten gehörte bis zur Säkularisirung einem Stift regulirter (halb mönchisch lebender) Kanoniker, die zwar dem Erzbischof von Köln untergeben waren, aber sich ihren Propst und ihren Dechanten selbst wählten. „Es giebt künstlerisch be¬ deutendere und giebt uoch besser erhaltene Kirchen als die Xan¬ tener — sagt Riehl in seinem Wanderbuch —, allein ich kenne keine, welche so schön und so vollständig erhalten zugleich wäre." Aber es sind nicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/27>, abgerufen am 28.04.2024.