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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Römische jrühlingsbilder
Adolf Stern por
Zwischen ^Nauern und Wandbildern

<?-H^s
-n einer schönen, sternklaren Aprilnacht über den Prachtplatz des
Circo Agonnle (die alte Piazza Navona) nach Hause gehend,
hörte ich aus dem Munde eines Reisenden, diesmal keines Lands-
mannes, sondern eines Mailänders, den gewichtigen Ausspruch:
wer sich nicht zwischen alten Mauern und Fresken herumdrücken
wolle, der habe eigentlich nichts von Rom. Ob der Norditaliener damit die
reichen und schönen Gärten, die in Rom noch übrig sind, verleugnen und der
umgebenden Landschaft ihren eigensten, namentlich im Frühling hervortretenden
Reiz absprechen wollte, weiß ich nicht; gewiß ist, daß ein guter Teil der
größten und stolzesten Eindrücke Roms bemalten und unbemnlten Wänden ent¬
stammt. Wein die Natur den Sinn für die Schöpfungen der bildenden Künste
versagt hat, oder wer zur Freude an diesen Schöpfungen den Schimmer der
Neuheit und Eleganz bedarf, der wird in der ewigen Stadt niemals recht
heimisch werden. Die Thatsache, daß trotz des unermeßlichen Reichtums der
vatikanischen Sammlungen dennoch der größere Teil der in Rom vorhandnen
Kunstschätze nicht in eine Galerie zusammengehäuft, sondern an den Stellen
ihrer ursprünglichen Bestimmung erhalten und an diese gebunden sind, macht
es allein schon unmöglich, sich Rom gleichsam im Fluge anzueignen, und
schließt eine Fülle fortlaufender Genüsse, immer neuer, glücklicher -- gelegentlich
wohl auch unerfreulicher -- Überraschungen ein. Aber natürlich gefällt sie
Leuten nicht, die die Forderung erheben, alle Wunder der Welt bequem aus
einer Theaterlogc betrachten zu können. Die Wenigen, die wirklich in Rom
nach jahrelangem Aufenthalt oder häufiger Wiederkehr alles gesehen und ge¬
nossen haben, was sehens- und genießenswert ist, wissen genug von steilen und
laugen Wegen, von staubigen Landstraßen und Hecken, von blendenden Wein-
bergsmauern und schmutzigen Winkeln zu erzählen, die zwischen ihnen und ihren
Eindrücken gelegen haben. Wir konnten von vornherein nicht daran denken, alles
sehen zu wollen, und zogen es vor, zu den bewährten Herrlichkeiten öfter und
immer wieder zurückzukehren. Doch selbst bei solcher Bescheidung erfuhren wir


Gicuzbolen III 1390 71


Römische jrühlingsbilder
Adolf Stern por
Zwischen ^Nauern und Wandbildern

<?-H^s
-n einer schönen, sternklaren Aprilnacht über den Prachtplatz des
Circo Agonnle (die alte Piazza Navona) nach Hause gehend,
hörte ich aus dem Munde eines Reisenden, diesmal keines Lands-
mannes, sondern eines Mailänders, den gewichtigen Ausspruch:
wer sich nicht zwischen alten Mauern und Fresken herumdrücken
wolle, der habe eigentlich nichts von Rom. Ob der Norditaliener damit die
reichen und schönen Gärten, die in Rom noch übrig sind, verleugnen und der
umgebenden Landschaft ihren eigensten, namentlich im Frühling hervortretenden
Reiz absprechen wollte, weiß ich nicht; gewiß ist, daß ein guter Teil der
größten und stolzesten Eindrücke Roms bemalten und unbemnlten Wänden ent¬
stammt. Wein die Natur den Sinn für die Schöpfungen der bildenden Künste
versagt hat, oder wer zur Freude an diesen Schöpfungen den Schimmer der
Neuheit und Eleganz bedarf, der wird in der ewigen Stadt niemals recht
heimisch werden. Die Thatsache, daß trotz des unermeßlichen Reichtums der
vatikanischen Sammlungen dennoch der größere Teil der in Rom vorhandnen
Kunstschätze nicht in eine Galerie zusammengehäuft, sondern an den Stellen
ihrer ursprünglichen Bestimmung erhalten und an diese gebunden sind, macht
es allein schon unmöglich, sich Rom gleichsam im Fluge anzueignen, und
schließt eine Fülle fortlaufender Genüsse, immer neuer, glücklicher — gelegentlich
wohl auch unerfreulicher — Überraschungen ein. Aber natürlich gefällt sie
Leuten nicht, die die Forderung erheben, alle Wunder der Welt bequem aus
einer Theaterlogc betrachten zu können. Die Wenigen, die wirklich in Rom
nach jahrelangem Aufenthalt oder häufiger Wiederkehr alles gesehen und ge¬
nossen haben, was sehens- und genießenswert ist, wissen genug von steilen und
laugen Wegen, von staubigen Landstraßen und Hecken, von blendenden Wein-
bergsmauern und schmutzigen Winkeln zu erzählen, die zwischen ihnen und ihren
Eindrücken gelegen haben. Wir konnten von vornherein nicht daran denken, alles
sehen zu wollen, und zogen es vor, zu den bewährten Herrlichkeiten öfter und
immer wieder zurückzukehren. Doch selbst bei solcher Bescheidung erfuhren wir


Gicuzbolen III 1390 71
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[0569] [Abbildung] Römische jrühlingsbilder Adolf Stern por Zwischen ^Nauern und Wandbildern <?-H^s -n einer schönen, sternklaren Aprilnacht über den Prachtplatz des Circo Agonnle (die alte Piazza Navona) nach Hause gehend, hörte ich aus dem Munde eines Reisenden, diesmal keines Lands- mannes, sondern eines Mailänders, den gewichtigen Ausspruch: wer sich nicht zwischen alten Mauern und Fresken herumdrücken wolle, der habe eigentlich nichts von Rom. Ob der Norditaliener damit die reichen und schönen Gärten, die in Rom noch übrig sind, verleugnen und der umgebenden Landschaft ihren eigensten, namentlich im Frühling hervortretenden Reiz absprechen wollte, weiß ich nicht; gewiß ist, daß ein guter Teil der größten und stolzesten Eindrücke Roms bemalten und unbemnlten Wänden ent¬ stammt. Wein die Natur den Sinn für die Schöpfungen der bildenden Künste versagt hat, oder wer zur Freude an diesen Schöpfungen den Schimmer der Neuheit und Eleganz bedarf, der wird in der ewigen Stadt niemals recht heimisch werden. Die Thatsache, daß trotz des unermeßlichen Reichtums der vatikanischen Sammlungen dennoch der größere Teil der in Rom vorhandnen Kunstschätze nicht in eine Galerie zusammengehäuft, sondern an den Stellen ihrer ursprünglichen Bestimmung erhalten und an diese gebunden sind, macht es allein schon unmöglich, sich Rom gleichsam im Fluge anzueignen, und schließt eine Fülle fortlaufender Genüsse, immer neuer, glücklicher — gelegentlich wohl auch unerfreulicher — Überraschungen ein. Aber natürlich gefällt sie Leuten nicht, die die Forderung erheben, alle Wunder der Welt bequem aus einer Theaterlogc betrachten zu können. Die Wenigen, die wirklich in Rom nach jahrelangem Aufenthalt oder häufiger Wiederkehr alles gesehen und ge¬ nossen haben, was sehens- und genießenswert ist, wissen genug von steilen und laugen Wegen, von staubigen Landstraßen und Hecken, von blendenden Wein- bergsmauern und schmutzigen Winkeln zu erzählen, die zwischen ihnen und ihren Eindrücken gelegen haben. Wir konnten von vornherein nicht daran denken, alles sehen zu wollen, und zogen es vor, zu den bewährten Herrlichkeiten öfter und immer wieder zurückzukehren. Doch selbst bei solcher Bescheidung erfuhren wir Gicuzbolen III 1390 71

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/569>, abgerufen am 28.04.2024.