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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Litteratur

erfüllt, wird er durch seinen treulosen Diener irre geleitet, und gegen seine Nntur,
seine Gefühle, ja seinen Willen in die Arme der Revolutionäre getrieben, ver¬
nichtet er seinen Fürsten, den nahen Mutsverwandten in der Überzeugung von dessen
Schuld.

Weder in der Sprache uoch in den Situationen zeigen sich übrigens, was
man hatte erwarten können, Anklänge an Goethe; desto häufiger erinnert beides an
Schiller. Verwandtschaft mit deu Worten Berthas von Brnneck, in denen sie
Geßler mahnt, den Bogen nicht zu straff zu spannen, zeigt das Gespräch zwischen
dem Herzog und de Svze (IV, 2); uoch mehr springt die Ähnlichkeit in die Augen
zwischen dem Anfange des Monologs des Herzogs (III, 6) mit dem ersten Mono¬
loge Wallensteins in' Wallensteins Tod (I, 4), In der Eugenie heißt die ange¬
führte Stelle:


Ich könnte nicht? Ich hätte hinter mir
Die Brücke abgebrochen, die des Rückzugs
Köstliche Gunst dem Zweifelnden verbürgt?
Ich könnte nicht? Ich müßte auf dem Pfade
Des NachewerlÄ beharren, weil das Wagnis
Des ersten Schrittes keine Umkehr duldet?
O wehe mir, wohin bin ich geraten!

Wallenstein sagt:


Wars möglich? Konnt' ich nicht mehr, wie ich wollte?
Nicht mehr zurück, wie mirs beliebt? . . .
Wohin denn seh ich plötzlich mich geführt? u. f. w.

Ausrufe wie: Welch ungeheures sinnt ihr! Wie wird mir! die wiederholt gebrauchte
Wendung "Ich bin mit meinem Gott versöhnt" erkennt jeder sofort als Schillers
Eigentum, ebenso die Verse I, 6:


Nein, diese Ausflucht laß ich dir nicht gelten

(Vgl. Tel! III, 3, Geßler zu Tell:


Nein, Tell, die Antwort laß ich dir nicht gelten)

und III, 7:


Gern gab ich . . .
Die Hälfte meiner Schätze, gäb sie ganz

(Vgl. Tell III, 3, wo Walther Fürst dem Geßler zuruft:


Nehmt
Die Hälfte meiner Habe, nehmt sie ganz)

endlich V, 10:


Jedoch indem wir plaudern -- Gott im Himmel --
Verrann die Zeit --

(Vgl. Tell I, 1, wo Baumgnrten seinen Bericht unterbricht:


Indem wir sprechen -- Gott -- verrinnt die Zeit!)

Sind solche Entlehnungen -- gleichviel, ob unbewußt oder bewußt -- statthaft?


Gesammelte Werke von Ludwig Anzengruber. In zehn Bänden Stuttgart, I. G.
Cottasche Buchhandlung Nachfolger (Zio!), 1890. Band I bis 111

Der Herausgeber hat Recht, wenn er sagt, die Zeit der völligen Erkenntnis
von dem Werte der Dichtungen Anzengrubers werde erst kommen. Diese Gesamt¬
ausgabe bereitet sie vor. Wenn man das ganze Lebenswerk des Dichters wird
überschaue" köunen, dann erst werden sich die vielfach widerspruchsvollen Urteile


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erfüllt, wird er durch seinen treulosen Diener irre geleitet, und gegen seine Nntur,
seine Gefühle, ja seinen Willen in die Arme der Revolutionäre getrieben, ver¬
nichtet er seinen Fürsten, den nahen Mutsverwandten in der Überzeugung von dessen
Schuld.

Weder in der Sprache uoch in den Situationen zeigen sich übrigens, was
man hatte erwarten können, Anklänge an Goethe; desto häufiger erinnert beides an
Schiller. Verwandtschaft mit deu Worten Berthas von Brnneck, in denen sie
Geßler mahnt, den Bogen nicht zu straff zu spannen, zeigt das Gespräch zwischen
dem Herzog und de Svze (IV, 2); uoch mehr springt die Ähnlichkeit in die Augen
zwischen dem Anfange des Monologs des Herzogs (III, 6) mit dem ersten Mono¬
loge Wallensteins in' Wallensteins Tod (I, 4), In der Eugenie heißt die ange¬
führte Stelle:


Ich könnte nicht? Ich hätte hinter mir
Die Brücke abgebrochen, die des Rückzugs
Köstliche Gunst dem Zweifelnden verbürgt?
Ich könnte nicht? Ich müßte auf dem Pfade
Des NachewerlÄ beharren, weil das Wagnis
Des ersten Schrittes keine Umkehr duldet?
O wehe mir, wohin bin ich geraten!

Wallenstein sagt:


Wars möglich? Konnt' ich nicht mehr, wie ich wollte?
Nicht mehr zurück, wie mirs beliebt? . . .
Wohin denn seh ich plötzlich mich geführt? u. f. w.

Ausrufe wie: Welch ungeheures sinnt ihr! Wie wird mir! die wiederholt gebrauchte
Wendung „Ich bin mit meinem Gott versöhnt" erkennt jeder sofort als Schillers
Eigentum, ebenso die Verse I, 6:


Nein, diese Ausflucht laß ich dir nicht gelten

(Vgl. Tel! III, 3, Geßler zu Tell:


Nein, Tell, die Antwort laß ich dir nicht gelten)

und III, 7:


Gern gab ich . . .
Die Hälfte meiner Schätze, gäb sie ganz

(Vgl. Tell III, 3, wo Walther Fürst dem Geßler zuruft:


Nehmt
Die Hälfte meiner Habe, nehmt sie ganz)

endlich V, 10:


Jedoch indem wir plaudern — Gott im Himmel —
Verrann die Zeit —

(Vgl. Tell I, 1, wo Baumgnrten seinen Bericht unterbricht:


Indem wir sprechen — Gott — verrinnt die Zeit!)

Sind solche Entlehnungen — gleichviel, ob unbewußt oder bewußt — statthaft?


Gesammelte Werke von Ludwig Anzengruber. In zehn Bänden Stuttgart, I. G.
Cottasche Buchhandlung Nachfolger (Zio!), 1890. Band I bis 111

Der Herausgeber hat Recht, wenn er sagt, die Zeit der völligen Erkenntnis
von dem Werte der Dichtungen Anzengrubers werde erst kommen. Diese Gesamt¬
ausgabe bereitet sie vor. Wenn man das ganze Lebenswerk des Dichters wird
überschaue» köunen, dann erst werden sich die vielfach widerspruchsvollen Urteile


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[0103] Litteratur erfüllt, wird er durch seinen treulosen Diener irre geleitet, und gegen seine Nntur, seine Gefühle, ja seinen Willen in die Arme der Revolutionäre getrieben, ver¬ nichtet er seinen Fürsten, den nahen Mutsverwandten in der Überzeugung von dessen Schuld. Weder in der Sprache uoch in den Situationen zeigen sich übrigens, was man hatte erwarten können, Anklänge an Goethe; desto häufiger erinnert beides an Schiller. Verwandtschaft mit deu Worten Berthas von Brnneck, in denen sie Geßler mahnt, den Bogen nicht zu straff zu spannen, zeigt das Gespräch zwischen dem Herzog und de Svze (IV, 2); uoch mehr springt die Ähnlichkeit in die Augen zwischen dem Anfange des Monologs des Herzogs (III, 6) mit dem ersten Mono¬ loge Wallensteins in' Wallensteins Tod (I, 4), In der Eugenie heißt die ange¬ führte Stelle: Ich könnte nicht? Ich hätte hinter mir Die Brücke abgebrochen, die des Rückzugs Köstliche Gunst dem Zweifelnden verbürgt? Ich könnte nicht? Ich müßte auf dem Pfade Des NachewerlÄ beharren, weil das Wagnis Des ersten Schrittes keine Umkehr duldet? O wehe mir, wohin bin ich geraten! Wallenstein sagt: Wars möglich? Konnt' ich nicht mehr, wie ich wollte? Nicht mehr zurück, wie mirs beliebt? . . . Wohin denn seh ich plötzlich mich geführt? u. f. w. Ausrufe wie: Welch ungeheures sinnt ihr! Wie wird mir! die wiederholt gebrauchte Wendung „Ich bin mit meinem Gott versöhnt" erkennt jeder sofort als Schillers Eigentum, ebenso die Verse I, 6: Nein, diese Ausflucht laß ich dir nicht gelten (Vgl. Tel! III, 3, Geßler zu Tell: Nein, Tell, die Antwort laß ich dir nicht gelten) und III, 7: Gern gab ich . . . Die Hälfte meiner Schätze, gäb sie ganz (Vgl. Tell III, 3, wo Walther Fürst dem Geßler zuruft: Nehmt Die Hälfte meiner Habe, nehmt sie ganz) endlich V, 10: Jedoch indem wir plaudern — Gott im Himmel — Verrann die Zeit — (Vgl. Tell I, 1, wo Baumgnrten seinen Bericht unterbricht: Indem wir sprechen — Gott — verrinnt die Zeit!) Sind solche Entlehnungen — gleichviel, ob unbewußt oder bewußt — statthaft? Gesammelte Werke von Ludwig Anzengruber. In zehn Bänden Stuttgart, I. G. Cottasche Buchhandlung Nachfolger (Zio!), 1890. Band I bis 111 Der Herausgeber hat Recht, wenn er sagt, die Zeit der völligen Erkenntnis von dem Werte der Dichtungen Anzengrubers werde erst kommen. Diese Gesamt¬ ausgabe bereitet sie vor. Wenn man das ganze Lebenswerk des Dichters wird überschaue» köunen, dann erst werden sich die vielfach widerspruchsvollen Urteile

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/103>, abgerufen am 28.04.2024.