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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Die Kunstausstellungen in München und Dresden
Adolf Rosenberg von 2

an Würde der Münchner Malerei Unrecht thun, wenn man sie
allein oder doch in der Hauptsache nach den Leistungen der
Naturalisten beurteilen wollte, wiewohl sich diese in der Aus¬
stellung so vorgedrängt haben, daß sie den Anschein erwecken,
als ob sie wirklich den Grundpfeiler und zugleich den Gipfelpunkt
des Münchner Kunstlebens bildeten. Eine Ausstellung, von der sich Männer
wie die Maler Defregger, Lenbach, F. A. Kaulbach, W, Lindenschmit, Löfftz,
Grützuer und die Bildhauer Nümann und Eberle fern gehalten haben, ist über¬
haupt nicht in der Lage, ein annähernd richtiges Bild von der gegenwärtigen
Leistungsfähigkeit der Münchner Kunst zu geben. Wir wissen nicht, ob Zufall
oder Absicht der Grund dieser Zurückhaltung ist; aber die Thatsache bleibt
bestehen, daß eine Münchner Ausstellung unvollständig ist, in der Männer
fehlen, die man in erster Reihe nennt, wenn man auswärts von Münchner
Kunst spricht. Sieht man von diesen Lücken ab, so macht mau im übrigen
fast durchweg erfreuliche Beobachtungen, deren wertvollste zunächst die ist, daß
die Künstler, die am meisten zu einer gedeihlichen Entwicklung der neueren
Malerei in München beigetragen und ihren Ruf außerhalb der bairischen
Hauptstadt begründet haben und aufrecht halten, sich durch die "neue Kunst"
an ihren Grundanschauungen und an ihrem Stil nicht nur nicht irre machen
lassen, sondern zum Teil sogar ihre Kräfte zu höherem Fluge angespannt haben.
Wilhelm Diez, der Reformator des Kolorits in der Münchner Schule, hat in
einem dramatisch höchst bewegten Genrebilde aus der Zeit des dreißigjährigen
Krieges: morodirende Reiter, die vor einem Haufen verfolgender Bauern
glücklich über einen Fluß entkommen sind, mit sorgsamer Zeichnung und Mo-
dellirung einen Reichtum der Farbe verbunden, der in vollem Gegensatz zu der
Manier seiner grauen Periode steht, und dabei einen Humor entfaltet, der um
so erfrischender wirkt, je seltener er in der einst humorvollsten aller Maler-
schulen wird. Joseph Brandt, auch das Haupt einer blühenden Schule, deren
Zöglinge meist aus slawischen Ländern kommen, hat eine ähnliche vorteilhafte


Grenzboten IV l"90 24


Die Kunstausstellungen in München und Dresden
Adolf Rosenberg von 2

an Würde der Münchner Malerei Unrecht thun, wenn man sie
allein oder doch in der Hauptsache nach den Leistungen der
Naturalisten beurteilen wollte, wiewohl sich diese in der Aus¬
stellung so vorgedrängt haben, daß sie den Anschein erwecken,
als ob sie wirklich den Grundpfeiler und zugleich den Gipfelpunkt
des Münchner Kunstlebens bildeten. Eine Ausstellung, von der sich Männer
wie die Maler Defregger, Lenbach, F. A. Kaulbach, W, Lindenschmit, Löfftz,
Grützuer und die Bildhauer Nümann und Eberle fern gehalten haben, ist über¬
haupt nicht in der Lage, ein annähernd richtiges Bild von der gegenwärtigen
Leistungsfähigkeit der Münchner Kunst zu geben. Wir wissen nicht, ob Zufall
oder Absicht der Grund dieser Zurückhaltung ist; aber die Thatsache bleibt
bestehen, daß eine Münchner Ausstellung unvollständig ist, in der Männer
fehlen, die man in erster Reihe nennt, wenn man auswärts von Münchner
Kunst spricht. Sieht man von diesen Lücken ab, so macht mau im übrigen
fast durchweg erfreuliche Beobachtungen, deren wertvollste zunächst die ist, daß
die Künstler, die am meisten zu einer gedeihlichen Entwicklung der neueren
Malerei in München beigetragen und ihren Ruf außerhalb der bairischen
Hauptstadt begründet haben und aufrecht halten, sich durch die „neue Kunst"
an ihren Grundanschauungen und an ihrem Stil nicht nur nicht irre machen
lassen, sondern zum Teil sogar ihre Kräfte zu höherem Fluge angespannt haben.
Wilhelm Diez, der Reformator des Kolorits in der Münchner Schule, hat in
einem dramatisch höchst bewegten Genrebilde aus der Zeit des dreißigjährigen
Krieges: morodirende Reiter, die vor einem Haufen verfolgender Bauern
glücklich über einen Fluß entkommen sind, mit sorgsamer Zeichnung und Mo-
dellirung einen Reichtum der Farbe verbunden, der in vollem Gegensatz zu der
Manier seiner grauen Periode steht, und dabei einen Humor entfaltet, der um
so erfrischender wirkt, je seltener er in der einst humorvollsten aller Maler-
schulen wird. Joseph Brandt, auch das Haupt einer blühenden Schule, deren
Zöglinge meist aus slawischen Ländern kommen, hat eine ähnliche vorteilhafte


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[0193] [Abbildung] Die Kunstausstellungen in München und Dresden Adolf Rosenberg von 2 an Würde der Münchner Malerei Unrecht thun, wenn man sie allein oder doch in der Hauptsache nach den Leistungen der Naturalisten beurteilen wollte, wiewohl sich diese in der Aus¬ stellung so vorgedrängt haben, daß sie den Anschein erwecken, als ob sie wirklich den Grundpfeiler und zugleich den Gipfelpunkt des Münchner Kunstlebens bildeten. Eine Ausstellung, von der sich Männer wie die Maler Defregger, Lenbach, F. A. Kaulbach, W, Lindenschmit, Löfftz, Grützuer und die Bildhauer Nümann und Eberle fern gehalten haben, ist über¬ haupt nicht in der Lage, ein annähernd richtiges Bild von der gegenwärtigen Leistungsfähigkeit der Münchner Kunst zu geben. Wir wissen nicht, ob Zufall oder Absicht der Grund dieser Zurückhaltung ist; aber die Thatsache bleibt bestehen, daß eine Münchner Ausstellung unvollständig ist, in der Männer fehlen, die man in erster Reihe nennt, wenn man auswärts von Münchner Kunst spricht. Sieht man von diesen Lücken ab, so macht mau im übrigen fast durchweg erfreuliche Beobachtungen, deren wertvollste zunächst die ist, daß die Künstler, die am meisten zu einer gedeihlichen Entwicklung der neueren Malerei in München beigetragen und ihren Ruf außerhalb der bairischen Hauptstadt begründet haben und aufrecht halten, sich durch die „neue Kunst" an ihren Grundanschauungen und an ihrem Stil nicht nur nicht irre machen lassen, sondern zum Teil sogar ihre Kräfte zu höherem Fluge angespannt haben. Wilhelm Diez, der Reformator des Kolorits in der Münchner Schule, hat in einem dramatisch höchst bewegten Genrebilde aus der Zeit des dreißigjährigen Krieges: morodirende Reiter, die vor einem Haufen verfolgender Bauern glücklich über einen Fluß entkommen sind, mit sorgsamer Zeichnung und Mo- dellirung einen Reichtum der Farbe verbunden, der in vollem Gegensatz zu der Manier seiner grauen Periode steht, und dabei einen Humor entfaltet, der um so erfrischender wirkt, je seltener er in der einst humorvollsten aller Maler- schulen wird. Joseph Brandt, auch das Haupt einer blühenden Schule, deren Zöglinge meist aus slawischen Ländern kommen, hat eine ähnliche vorteilhafte Grenzboten IV l»90 24

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/193>, abgerufen am 28.04.2024.