Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

malen nebenbei für die Lehrerinnenprüfnng vorzubereiten, wodurch infolge des
zu vielen Sitzens häufig Krankheiten der Atmungsorgane, Verschlechterung des
Blutes infolge unzureichender Atmung, Verbildungen des Rückgrates und der
Beckenknochen, Verdauungsstörungen, Beeinträchtigung der Gehirnthätigkeit in¬
folge von Überbürdung herbeigeführt werden. Freilich finden die Abwege in der
Frauenerziehuug, wie schon angedeutet, ihre Erklärung zum Teil durch unsre
sozialen Verhältnisse, die viele Frauen gar nicht auf den Schauplatz ihrer
eigentlichen Thätigkeit gelangen lassen und sie nötigen, sich in dem Kampf
ums Dasein auf Laufbahnen zu begeben, die ihrer ursprünglichen Bestimmung
schnurstracks entgegengesetzt sind.

Im allgemeinen zeigt sich in Frankreich, wie wir nachgewiesen zu haben
glauben, auf dem Gebiete der Mädchenerziehung ein reges, von nationalem
Geiste durchdrungenes Streben, das auch für uns Deutsche manches An¬
regende bietet.




Die natürliche Hprachentrvicklung und unsre heutige
Gemeinsprache
Aarl Uvah von

n den Tagen des Zweifels, in den Tagen quälenden Sinnens
über das Schicksal meiner Heimat bist du allein meine Stütze
und mein Stab, v große, mächtige, wahrhaftige und freie russische
Sprache! So dachte der Russe Turgenjew über seine Sprache,
und wir denken wohl nicht geringer von der unsern. Jedem
Volke ist seine Sprache ein kostbares Besitztum; darum ist es gewiß recht und
billig, daß auch der Einzelne ihr nicht gleichgiltig gegenüberstehe. Wir haben
das Recht und die Pflicht, uns um sie zu kümmern; wenn nur die Meinungen
darüber nicht gar so verschieden wären, wie das geschehen soll! Da hören
wir von aufrichtigen Freunden unsrer Muttersprache ernste Klagen über das
Schwinden lebendigen Sprachgefühls, über Verwilderung und Verlotterung des
Satzbaues, über geschmacklose Sprachmengerei, man verlangt mehr Zucht und
Schulung. Man gründet Vereine, nur alle Freunde der guten Sache zum
Schutze der gefährdeten Sprache zu sammeln. Aber tarin ist das geschehen,
da treten andre Sprachfreuude auf, und sie verfolgen das entgegengesetzte Ziel:
warnend erheben sie ihre Stimme gegen jene Bestrebungen, die nach ihrer


malen nebenbei für die Lehrerinnenprüfnng vorzubereiten, wodurch infolge des
zu vielen Sitzens häufig Krankheiten der Atmungsorgane, Verschlechterung des
Blutes infolge unzureichender Atmung, Verbildungen des Rückgrates und der
Beckenknochen, Verdauungsstörungen, Beeinträchtigung der Gehirnthätigkeit in¬
folge von Überbürdung herbeigeführt werden. Freilich finden die Abwege in der
Frauenerziehuug, wie schon angedeutet, ihre Erklärung zum Teil durch unsre
sozialen Verhältnisse, die viele Frauen gar nicht auf den Schauplatz ihrer
eigentlichen Thätigkeit gelangen lassen und sie nötigen, sich in dem Kampf
ums Dasein auf Laufbahnen zu begeben, die ihrer ursprünglichen Bestimmung
schnurstracks entgegengesetzt sind.

Im allgemeinen zeigt sich in Frankreich, wie wir nachgewiesen zu haben
glauben, auf dem Gebiete der Mädchenerziehung ein reges, von nationalem
Geiste durchdrungenes Streben, das auch für uns Deutsche manches An¬
regende bietet.




Die natürliche Hprachentrvicklung und unsre heutige
Gemeinsprache
Aarl Uvah von

n den Tagen des Zweifels, in den Tagen quälenden Sinnens
über das Schicksal meiner Heimat bist du allein meine Stütze
und mein Stab, v große, mächtige, wahrhaftige und freie russische
Sprache! So dachte der Russe Turgenjew über seine Sprache,
und wir denken wohl nicht geringer von der unsern. Jedem
Volke ist seine Sprache ein kostbares Besitztum; darum ist es gewiß recht und
billig, daß auch der Einzelne ihr nicht gleichgiltig gegenüberstehe. Wir haben
das Recht und die Pflicht, uns um sie zu kümmern; wenn nur die Meinungen
darüber nicht gar so verschieden wären, wie das geschehen soll! Da hören
wir von aufrichtigen Freunden unsrer Muttersprache ernste Klagen über das
Schwinden lebendigen Sprachgefühls, über Verwilderung und Verlotterung des
Satzbaues, über geschmacklose Sprachmengerei, man verlangt mehr Zucht und
Schulung. Man gründet Vereine, nur alle Freunde der guten Sache zum
Schutze der gefährdeten Sprache zu sammeln. Aber tarin ist das geschehen,
da treten andre Sprachfreuude auf, und sie verfolgen das entgegengesetzte Ziel:
warnend erheben sie ihre Stimme gegen jene Bestrebungen, die nach ihrer


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0363" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/208942"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_1017" prev="#ID_1016"> malen nebenbei für die Lehrerinnenprüfnng vorzubereiten, wodurch infolge des<lb/>
zu vielen Sitzens häufig Krankheiten der Atmungsorgane, Verschlechterung des<lb/>
Blutes infolge unzureichender Atmung, Verbildungen des Rückgrates und der<lb/>
Beckenknochen, Verdauungsstörungen, Beeinträchtigung der Gehirnthätigkeit in¬<lb/>
folge von Überbürdung herbeigeführt werden. Freilich finden die Abwege in der<lb/>
Frauenerziehuug, wie schon angedeutet, ihre Erklärung zum Teil durch unsre<lb/>
sozialen Verhältnisse, die viele Frauen gar nicht auf den Schauplatz ihrer<lb/>
eigentlichen Thätigkeit gelangen lassen und sie nötigen, sich in dem Kampf<lb/>
ums Dasein auf Laufbahnen zu begeben, die ihrer ursprünglichen Bestimmung<lb/>
schnurstracks entgegengesetzt sind.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1018"> Im allgemeinen zeigt sich in Frankreich, wie wir nachgewiesen zu haben<lb/>
glauben, auf dem Gebiete der Mädchenerziehung ein reges, von nationalem<lb/>
Geiste durchdrungenes Streben, das auch für uns Deutsche manches An¬<lb/>
regende bietet.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Die natürliche Hprachentrvicklung und unsre heutige<lb/>
Gemeinsprache<lb/><note type="byline"> Aarl Uvah</note> von</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1019" next="#ID_1020"> n den Tagen des Zweifels, in den Tagen quälenden Sinnens<lb/>
über das Schicksal meiner Heimat bist du allein meine Stütze<lb/>
und mein Stab, v große, mächtige, wahrhaftige und freie russische<lb/>
Sprache! So dachte der Russe Turgenjew über seine Sprache,<lb/>
und wir denken wohl nicht geringer von der unsern. Jedem<lb/>
Volke ist seine Sprache ein kostbares Besitztum; darum ist es gewiß recht und<lb/>
billig, daß auch der Einzelne ihr nicht gleichgiltig gegenüberstehe. Wir haben<lb/>
das Recht und die Pflicht, uns um sie zu kümmern; wenn nur die Meinungen<lb/>
darüber nicht gar so verschieden wären, wie das geschehen soll! Da hören<lb/>
wir von aufrichtigen Freunden unsrer Muttersprache ernste Klagen über das<lb/>
Schwinden lebendigen Sprachgefühls, über Verwilderung und Verlotterung des<lb/>
Satzbaues, über geschmacklose Sprachmengerei, man verlangt mehr Zucht und<lb/>
Schulung. Man gründet Vereine, nur alle Freunde der guten Sache zum<lb/>
Schutze der gefährdeten Sprache zu sammeln. Aber tarin ist das geschehen,<lb/>
da treten andre Sprachfreuude auf, und sie verfolgen das entgegengesetzte Ziel:<lb/>
warnend erheben sie ihre Stimme gegen jene Bestrebungen, die nach ihrer</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0363] malen nebenbei für die Lehrerinnenprüfnng vorzubereiten, wodurch infolge des zu vielen Sitzens häufig Krankheiten der Atmungsorgane, Verschlechterung des Blutes infolge unzureichender Atmung, Verbildungen des Rückgrates und der Beckenknochen, Verdauungsstörungen, Beeinträchtigung der Gehirnthätigkeit in¬ folge von Überbürdung herbeigeführt werden. Freilich finden die Abwege in der Frauenerziehuug, wie schon angedeutet, ihre Erklärung zum Teil durch unsre sozialen Verhältnisse, die viele Frauen gar nicht auf den Schauplatz ihrer eigentlichen Thätigkeit gelangen lassen und sie nötigen, sich in dem Kampf ums Dasein auf Laufbahnen zu begeben, die ihrer ursprünglichen Bestimmung schnurstracks entgegengesetzt sind. Im allgemeinen zeigt sich in Frankreich, wie wir nachgewiesen zu haben glauben, auf dem Gebiete der Mädchenerziehung ein reges, von nationalem Geiste durchdrungenes Streben, das auch für uns Deutsche manches An¬ regende bietet. Die natürliche Hprachentrvicklung und unsre heutige Gemeinsprache Aarl Uvah von n den Tagen des Zweifels, in den Tagen quälenden Sinnens über das Schicksal meiner Heimat bist du allein meine Stütze und mein Stab, v große, mächtige, wahrhaftige und freie russische Sprache! So dachte der Russe Turgenjew über seine Sprache, und wir denken wohl nicht geringer von der unsern. Jedem Volke ist seine Sprache ein kostbares Besitztum; darum ist es gewiß recht und billig, daß auch der Einzelne ihr nicht gleichgiltig gegenüberstehe. Wir haben das Recht und die Pflicht, uns um sie zu kümmern; wenn nur die Meinungen darüber nicht gar so verschieden wären, wie das geschehen soll! Da hören wir von aufrichtigen Freunden unsrer Muttersprache ernste Klagen über das Schwinden lebendigen Sprachgefühls, über Verwilderung und Verlotterung des Satzbaues, über geschmacklose Sprachmengerei, man verlangt mehr Zucht und Schulung. Man gründet Vereine, nur alle Freunde der guten Sache zum Schutze der gefährdeten Sprache zu sammeln. Aber tarin ist das geschehen, da treten andre Sprachfreuude auf, und sie verfolgen das entgegengesetzte Ziel: warnend erheben sie ihre Stimme gegen jene Bestrebungen, die nach ihrer

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/363
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/363>, abgerufen am 27.04.2024.