Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite


Die wahrhaftige Geschichte von den drei Wünschen
Otto Ludwig*) von

es kams durchaus nicht ertragen, sagte er, und ließ die Rouleaux
herab. Gerade solch ein schöner Frühlingstag war es, gerade
so strömten die Geputzten aus der Stadt. Seh ich solch ein
schlankes Kind, wie es, das Herz voll vom Lerchengesang der
jungen Hoffnung, neben dem stampfenden Papa und der
schleichenden Mama daher trippelt, so fällt mir eine Geschichte ein, über die
ich wahnsinnig Hütte werden können, wenn ich nicht besser wüßte, wie es sich
damit verhält. Aber ich sehe es an dem einfältigen Gesichte, das du machst;
wenn du mich begreifen sollst, muß ich dir erst erzählen, was mir begegnet ist,
seit wir uns nicht sahen.

Er setzte sich auf den Stuhl am Flügel und begann:

Zu stille Liebe, eine Liebesgeschichte.

Weder die Tausend und eine Nacht, noch ihr in Berlin verstorbner Vetter, der
selige preußische Kammergerichtsrat Hoffmann, hat eine wundersamere Geschichte
erdacht, als die ist, die ich selbst erlebt habe, und die ich dir nun erzählen will.

Daß ich vor zwei Jahren mich hierher nach Leipzig wandte, den Koffer
voll von Manuskripten, das Hirn voll von Hoffnungen, das weißt du. Wie
ich -- nicht die Manuskripte, aber die Hoffnungen los wurde, brauche ich dir
nicht zu sagen, denn auch du hast am Teiche Bethesda gelegen, bis der
Engel die Wasser eines Buchhändlergemütes bewegte. Bei allen bis aus
einen war ich gewesen, von allen diesen war ich Unglücklicher, der keinen
Namen hatte, abgewiesen worden; wie schämte ich mich vor allen den Magistern,
Hausknechten, Kommis, der Jugend nicht zu gedenken, die mir begegnete!
Jeder, meinte ich, müßte mir ansehen, daß ich Unseliger keinen Namen Hütte.
Nun stand ich vor dein Hause des letzten. Es war palastähnlich, seine Größe



*) Aus Otto Ludwigs reichem handschriftlichen Nachlaß, der zum Teil in der neue"
großen Gesamtausgabc seiner Werke Aufnahme finden wird, die von Neujahr 1891 ab in dem
Verlage dieser Zeitschrift erscheint.
Grenzboten IV 1890 48


Die wahrhaftige Geschichte von den drei Wünschen
Otto Ludwig*) von

es kams durchaus nicht ertragen, sagte er, und ließ die Rouleaux
herab. Gerade solch ein schöner Frühlingstag war es, gerade
so strömten die Geputzten aus der Stadt. Seh ich solch ein
schlankes Kind, wie es, das Herz voll vom Lerchengesang der
jungen Hoffnung, neben dem stampfenden Papa und der
schleichenden Mama daher trippelt, so fällt mir eine Geschichte ein, über die
ich wahnsinnig Hütte werden können, wenn ich nicht besser wüßte, wie es sich
damit verhält. Aber ich sehe es an dem einfältigen Gesichte, das du machst;
wenn du mich begreifen sollst, muß ich dir erst erzählen, was mir begegnet ist,
seit wir uns nicht sahen.

Er setzte sich auf den Stuhl am Flügel und begann:

Zu stille Liebe, eine Liebesgeschichte.

Weder die Tausend und eine Nacht, noch ihr in Berlin verstorbner Vetter, der
selige preußische Kammergerichtsrat Hoffmann, hat eine wundersamere Geschichte
erdacht, als die ist, die ich selbst erlebt habe, und die ich dir nun erzählen will.

Daß ich vor zwei Jahren mich hierher nach Leipzig wandte, den Koffer
voll von Manuskripten, das Hirn voll von Hoffnungen, das weißt du. Wie
ich — nicht die Manuskripte, aber die Hoffnungen los wurde, brauche ich dir
nicht zu sagen, denn auch du hast am Teiche Bethesda gelegen, bis der
Engel die Wasser eines Buchhändlergemütes bewegte. Bei allen bis aus
einen war ich gewesen, von allen diesen war ich Unglücklicher, der keinen
Namen hatte, abgewiesen worden; wie schämte ich mich vor allen den Magistern,
Hausknechten, Kommis, der Jugend nicht zu gedenken, die mir begegnete!
Jeder, meinte ich, müßte mir ansehen, daß ich Unseliger keinen Namen Hütte.
Nun stand ich vor dein Hause des letzten. Es war palastähnlich, seine Größe



*) Aus Otto Ludwigs reichem handschriftlichen Nachlaß, der zum Teil in der neue»
großen Gesamtausgabc seiner Werke Aufnahme finden wird, die von Neujahr 1891 ab in dem
Verlage dieser Zeitschrift erscheint.
Grenzboten IV 1890 48
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0385" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/208964"/>
          <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341851_208578/figures/grenzboten_341851_208578_208964_000.jpg"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Die wahrhaftige Geschichte von den drei Wünschen<lb/><note type="byline"> Otto Ludwig*)</note> von </head><lb/>
          <p xml:id="ID_1091"> es kams durchaus nicht ertragen, sagte er, und ließ die Rouleaux<lb/>
herab. Gerade solch ein schöner Frühlingstag war es, gerade<lb/>
so strömten die Geputzten aus der Stadt. Seh ich solch ein<lb/>
schlankes Kind, wie es, das Herz voll vom Lerchengesang der<lb/>
jungen Hoffnung, neben dem stampfenden Papa und der<lb/>
schleichenden Mama daher trippelt, so fällt mir eine Geschichte ein, über die<lb/>
ich wahnsinnig Hütte werden können, wenn ich nicht besser wüßte, wie es sich<lb/>
damit verhält. Aber ich sehe es an dem einfältigen Gesichte, das du machst;<lb/>
wenn du mich begreifen sollst, muß ich dir erst erzählen, was mir begegnet ist,<lb/>
seit wir uns nicht sahen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1092"> Er setzte sich auf den Stuhl am Flügel und begann:</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1093"> Zu stille Liebe, eine Liebesgeschichte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1094"> Weder die Tausend und eine Nacht, noch ihr in Berlin verstorbner Vetter, der<lb/>
selige preußische Kammergerichtsrat Hoffmann, hat eine wundersamere Geschichte<lb/>
erdacht, als die ist, die ich selbst erlebt habe, und die ich dir nun erzählen will.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1095" next="#ID_1096"> Daß ich vor zwei Jahren mich hierher nach Leipzig wandte, den Koffer<lb/>
voll von Manuskripten, das Hirn voll von Hoffnungen, das weißt du. Wie<lb/>
ich &#x2014; nicht die Manuskripte, aber die Hoffnungen los wurde, brauche ich dir<lb/>
nicht zu sagen, denn auch du hast am Teiche Bethesda gelegen, bis der<lb/>
Engel die Wasser eines Buchhändlergemütes bewegte. Bei allen bis aus<lb/>
einen war ich gewesen, von allen diesen war ich Unglücklicher, der keinen<lb/>
Namen hatte, abgewiesen worden; wie schämte ich mich vor allen den Magistern,<lb/>
Hausknechten, Kommis, der Jugend nicht zu gedenken, die mir begegnete!<lb/>
Jeder, meinte ich, müßte mir ansehen, daß ich Unseliger keinen Namen Hütte.<lb/>
Nun stand ich vor dein Hause des letzten. Es war palastähnlich, seine Größe</p><lb/>
          <note xml:id="FID_20" place="foot"> *) Aus Otto Ludwigs reichem handschriftlichen Nachlaß, der zum Teil in der neue»<lb/>
großen Gesamtausgabc seiner Werke Aufnahme finden wird, die von Neujahr 1891 ab in dem<lb/>
Verlage dieser Zeitschrift erscheint.</note><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IV 1890 48</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0385] [Abbildung] Die wahrhaftige Geschichte von den drei Wünschen Otto Ludwig*) von es kams durchaus nicht ertragen, sagte er, und ließ die Rouleaux herab. Gerade solch ein schöner Frühlingstag war es, gerade so strömten die Geputzten aus der Stadt. Seh ich solch ein schlankes Kind, wie es, das Herz voll vom Lerchengesang der jungen Hoffnung, neben dem stampfenden Papa und der schleichenden Mama daher trippelt, so fällt mir eine Geschichte ein, über die ich wahnsinnig Hütte werden können, wenn ich nicht besser wüßte, wie es sich damit verhält. Aber ich sehe es an dem einfältigen Gesichte, das du machst; wenn du mich begreifen sollst, muß ich dir erst erzählen, was mir begegnet ist, seit wir uns nicht sahen. Er setzte sich auf den Stuhl am Flügel und begann: Zu stille Liebe, eine Liebesgeschichte. Weder die Tausend und eine Nacht, noch ihr in Berlin verstorbner Vetter, der selige preußische Kammergerichtsrat Hoffmann, hat eine wundersamere Geschichte erdacht, als die ist, die ich selbst erlebt habe, und die ich dir nun erzählen will. Daß ich vor zwei Jahren mich hierher nach Leipzig wandte, den Koffer voll von Manuskripten, das Hirn voll von Hoffnungen, das weißt du. Wie ich — nicht die Manuskripte, aber die Hoffnungen los wurde, brauche ich dir nicht zu sagen, denn auch du hast am Teiche Bethesda gelegen, bis der Engel die Wasser eines Buchhändlergemütes bewegte. Bei allen bis aus einen war ich gewesen, von allen diesen war ich Unglücklicher, der keinen Namen hatte, abgewiesen worden; wie schämte ich mich vor allen den Magistern, Hausknechten, Kommis, der Jugend nicht zu gedenken, die mir begegnete! Jeder, meinte ich, müßte mir ansehen, daß ich Unseliger keinen Namen Hütte. Nun stand ich vor dein Hause des letzten. Es war palastähnlich, seine Größe *) Aus Otto Ludwigs reichem handschriftlichen Nachlaß, der zum Teil in der neue» großen Gesamtausgabc seiner Werke Aufnahme finden wird, die von Neujahr 1891 ab in dem Verlage dieser Zeitschrift erscheint. Grenzboten IV 1890 48

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/385
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/385>, abgerufen am 28.04.2024.