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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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und Eleganz nahm mir das letzte Nestchen Mut; die Goldbuchstaben "Jammer-
degensche Verlagsbuchhandlung" schauten wie höhnend auf den Autoreuembryo
herab, dem vor diesem Glänze der letzte Hoffnungsstern, je von der Presse ge¬
boren zu werden, erblich.

Während meine Seele in Apathie darniederlag, waren meine Füße desto
thätiger. Was nun geschah, muß ich für eine Fügung des Schicksals halten.
Ich sah endlich wieder auf, und sonderbarerweise kam nur der Gedanke, daß
ich ein Paar Stiefel brauchte, in demselben Moment, als meine Augen der
Firma Christlob Fintlein begegneten, unter welcher ein Herrenstiefel gemalt
stand. Es geschah aber in der Flcischcrgasse, daß dies Zusammentreffen statt¬
fand und mich bestimmte, zu Herrn Fintlein hinaufzusteigen.

Ans einem finstern Hausplatze gelangte ich auf eine noch finstrere Treppe.
-- Hier nicht; vier Treppen hoch. -- Ich ergab mich darein und stieg weiter.
Das war die vierte Treppe -- doch ich irrte wohl -- diese führte unmittelbar
unter das Dach. Eine Luke warf gerade so viel Licht ans die gegenüber¬
stehende Wand, daß ich in dieser eine Thüre gewahr wurde. Noch stieg ich,
als die Thüre sich öffnete, und der Lichtschein wie verklärend auf ein Gesichtchen
von solcher Anmut fiel, daß man glauben konnte, nur diesem zu Gefallen habe
er es über sich gewonnen, in diese unwirtlichen Räume zu dringen.

Dies Gesichtchen - - alle seine Formen waren schön und edel - - es
war eins von jenen durchsichtigen, die uur wie ein Flvrschleier um eine höhere
geistige Schönheit sich schmiegen, eins von jenen, die uns zugleich reizen und
rühren, die uns so fremd und doch so lieb und bekannt erscheinen; es war
eins von denen, deren Anblick Frieden und Freude giebt. Aus den ruhigen
Augen, über denen die seidnen Wimpern fast ohne Bewegung schwebten, schallte
eine Seele, die so über das Stürmen der Leidenschaft, wie über den Wechsel
kleiner Launen erhaben schien. Dabei war das ganze Gebilde so mädchenhaft
in sich selbst geschmiegt!

Regungslos, wie verzaubert stand ich, als das schöne Mädchen an mir
vvrbeischritt. Lange war sie im Dunkel der Treppe uuter mir verschwunden,
als die Stimme des Herrn Fintlein mich aus den seltsamsten Träumen weckte.
Er vernahm mein Begehren und bat mich, bei ihm einzutreten. Das enge
Stübchen erzählte von bitterer Armut, dennoch hingen über dem schmutzigen
Bette einige Christusbilder lind flammende Herzen, von schonen Reimen um¬
geben. Madame Fintlein hockte vor dem Ofenloch, und zwei kleine halbnackte
Mädchen wollten sich vor dem Eintretenden in die Rockfalten der Mutter ver¬
stecken, ein so mühsames wie vergebliches Streben. Ein drittes, etwa zwölf
Jahre alt, hatte über seinen ärmlichen Anzug ein neues Jückcheu gezogen, und
ein Lächeln über dem hnngerblassen Gesichtchen zeigte, daß sie sich für sehr
schön geputzt hielt. Damit ich mich setzen könnte, wurde der einzige Stuhl,
den ich sah, von seiner Bürde befreit. Währenddes begann Herr Fintlein:


und Eleganz nahm mir das letzte Nestchen Mut; die Goldbuchstaben „Jammer-
degensche Verlagsbuchhandlung" schauten wie höhnend auf den Autoreuembryo
herab, dem vor diesem Glänze der letzte Hoffnungsstern, je von der Presse ge¬
boren zu werden, erblich.

Während meine Seele in Apathie darniederlag, waren meine Füße desto
thätiger. Was nun geschah, muß ich für eine Fügung des Schicksals halten.
Ich sah endlich wieder auf, und sonderbarerweise kam nur der Gedanke, daß
ich ein Paar Stiefel brauchte, in demselben Moment, als meine Augen der
Firma Christlob Fintlein begegneten, unter welcher ein Herrenstiefel gemalt
stand. Es geschah aber in der Flcischcrgasse, daß dies Zusammentreffen statt¬
fand und mich bestimmte, zu Herrn Fintlein hinaufzusteigen.

Ans einem finstern Hausplatze gelangte ich auf eine noch finstrere Treppe.
— Hier nicht; vier Treppen hoch. — Ich ergab mich darein und stieg weiter.
Das war die vierte Treppe — doch ich irrte wohl — diese führte unmittelbar
unter das Dach. Eine Luke warf gerade so viel Licht ans die gegenüber¬
stehende Wand, daß ich in dieser eine Thüre gewahr wurde. Noch stieg ich,
als die Thüre sich öffnete, und der Lichtschein wie verklärend auf ein Gesichtchen
von solcher Anmut fiel, daß man glauben konnte, nur diesem zu Gefallen habe
er es über sich gewonnen, in diese unwirtlichen Räume zu dringen.

Dies Gesichtchen - - alle seine Formen waren schön und edel - - es
war eins von jenen durchsichtigen, die uur wie ein Flvrschleier um eine höhere
geistige Schönheit sich schmiegen, eins von jenen, die uns zugleich reizen und
rühren, die uns so fremd und doch so lieb und bekannt erscheinen; es war
eins von denen, deren Anblick Frieden und Freude giebt. Aus den ruhigen
Augen, über denen die seidnen Wimpern fast ohne Bewegung schwebten, schallte
eine Seele, die so über das Stürmen der Leidenschaft, wie über den Wechsel
kleiner Launen erhaben schien. Dabei war das ganze Gebilde so mädchenhaft
in sich selbst geschmiegt!

Regungslos, wie verzaubert stand ich, als das schöne Mädchen an mir
vvrbeischritt. Lange war sie im Dunkel der Treppe uuter mir verschwunden,
als die Stimme des Herrn Fintlein mich aus den seltsamsten Träumen weckte.
Er vernahm mein Begehren und bat mich, bei ihm einzutreten. Das enge
Stübchen erzählte von bitterer Armut, dennoch hingen über dem schmutzigen
Bette einige Christusbilder lind flammende Herzen, von schonen Reimen um¬
geben. Madame Fintlein hockte vor dem Ofenloch, und zwei kleine halbnackte
Mädchen wollten sich vor dem Eintretenden in die Rockfalten der Mutter ver¬
stecken, ein so mühsames wie vergebliches Streben. Ein drittes, etwa zwölf
Jahre alt, hatte über seinen ärmlichen Anzug ein neues Jückcheu gezogen, und
ein Lächeln über dem hnngerblassen Gesichtchen zeigte, daß sie sich für sehr
schön geputzt hielt. Damit ich mich setzen könnte, wurde der einzige Stuhl,
den ich sah, von seiner Bürde befreit. Währenddes begann Herr Fintlein:


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[0386] und Eleganz nahm mir das letzte Nestchen Mut; die Goldbuchstaben „Jammer- degensche Verlagsbuchhandlung" schauten wie höhnend auf den Autoreuembryo herab, dem vor diesem Glänze der letzte Hoffnungsstern, je von der Presse ge¬ boren zu werden, erblich. Während meine Seele in Apathie darniederlag, waren meine Füße desto thätiger. Was nun geschah, muß ich für eine Fügung des Schicksals halten. Ich sah endlich wieder auf, und sonderbarerweise kam nur der Gedanke, daß ich ein Paar Stiefel brauchte, in demselben Moment, als meine Augen der Firma Christlob Fintlein begegneten, unter welcher ein Herrenstiefel gemalt stand. Es geschah aber in der Flcischcrgasse, daß dies Zusammentreffen statt¬ fand und mich bestimmte, zu Herrn Fintlein hinaufzusteigen. Ans einem finstern Hausplatze gelangte ich auf eine noch finstrere Treppe. — Hier nicht; vier Treppen hoch. — Ich ergab mich darein und stieg weiter. Das war die vierte Treppe — doch ich irrte wohl — diese führte unmittelbar unter das Dach. Eine Luke warf gerade so viel Licht ans die gegenüber¬ stehende Wand, daß ich in dieser eine Thüre gewahr wurde. Noch stieg ich, als die Thüre sich öffnete, und der Lichtschein wie verklärend auf ein Gesichtchen von solcher Anmut fiel, daß man glauben konnte, nur diesem zu Gefallen habe er es über sich gewonnen, in diese unwirtlichen Räume zu dringen. Dies Gesichtchen - - alle seine Formen waren schön und edel - - es war eins von jenen durchsichtigen, die uur wie ein Flvrschleier um eine höhere geistige Schönheit sich schmiegen, eins von jenen, die uns zugleich reizen und rühren, die uns so fremd und doch so lieb und bekannt erscheinen; es war eins von denen, deren Anblick Frieden und Freude giebt. Aus den ruhigen Augen, über denen die seidnen Wimpern fast ohne Bewegung schwebten, schallte eine Seele, die so über das Stürmen der Leidenschaft, wie über den Wechsel kleiner Launen erhaben schien. Dabei war das ganze Gebilde so mädchenhaft in sich selbst geschmiegt! Regungslos, wie verzaubert stand ich, als das schöne Mädchen an mir vvrbeischritt. Lange war sie im Dunkel der Treppe uuter mir verschwunden, als die Stimme des Herrn Fintlein mich aus den seltsamsten Träumen weckte. Er vernahm mein Begehren und bat mich, bei ihm einzutreten. Das enge Stübchen erzählte von bitterer Armut, dennoch hingen über dem schmutzigen Bette einige Christusbilder lind flammende Herzen, von schonen Reimen um¬ geben. Madame Fintlein hockte vor dem Ofenloch, und zwei kleine halbnackte Mädchen wollten sich vor dem Eintretenden in die Rockfalten der Mutter ver¬ stecken, ein so mühsames wie vergebliches Streben. Ein drittes, etwa zwölf Jahre alt, hatte über seinen ärmlichen Anzug ein neues Jückcheu gezogen, und ein Lächeln über dem hnngerblassen Gesichtchen zeigte, daß sie sich für sehr schön geputzt hielt. Damit ich mich setzen könnte, wurde der einzige Stuhl, den ich sah, von seiner Bürde befreit. Währenddes begann Herr Fintlein:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/386>, abgerufen am 13.05.2024.