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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Die Rembrandt-Ausstellung im Berliner
Kupferstichkabinet
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le fortschreitende Entwicklung Rembrandts in dem folgenden Ab¬
schnitt seines Lebens, den die Jahre 1"!^7 und lK42 begrenzen,
letzteres das Todesjahr seiner Gattin SaSkia, zeigt sich vorzugs¬
weise in der Erweiterung des Stoffkreises, dein seine Radirungen
angehören. Wie jedes wirkliche Genie vielseitig ist, so sehen
wir auch Rembrandt aus den verschiedensten Gebieten des Darstellbaren seine
Anregungen holen, ohne sich doch jemals mit der bloß oberflächlichen Anregung
zu begnügen. In zahlreichen unermüdlichen Versuchen erschöpft er fast den
künstlerische" Gehalt der einzelnen Szenen der biblischen Geschichte mit dem
steten Bemühen, dem psychologischen .Kern aller dieser Vorgänge in seiner
Wiedergabe möglichst nahe zu kommen. Mehr noch als in seineu Bildern
tritt dieses protestantisch-germanische Bestreben in seinen Radirungen und
Handzeichnungen zu Tage. Wenn wir z. B. die Berstoßuug der Ha gar, ein
Blatt ans dem Jahre 1K,'!7, daraufhin ansehen: wie wunderbar ist der Wider¬
streit der Gefühle in der Gestalt des greisen Patriarchen geschildert! Durch
die schwerfällige holländisch - orientalische Kleidung hindurch glauben wir die
seelische Erregung, das Zittern bis in die Fingerspitzen hinein zu empfinden.
Halb zieht es ihn fort, seiner treue" Magd zu folgen, die thränenden Auges
davonzieht, von dem ahnungslosen Ismael begleitet. Segnend breitet er seine
Hände aus; halb wendet er sich zurück nach dem Hause, aus dessen Fenster
der hämisch grinsende Kopf der Sara herausblickt, während ein zweites Knüblein
neugierig durch die Thürspalte lugt. Der Haushund macht sich gewohnheits¬
mäßig mit auf deu Trab, seiner Pflegerin und ihrem Knaben folgsam. Welche
ungezwungene, zum Herzen sprechende Ausfassung des an sich künstlerisch
kaum besonders anregenden Borganges! Mail muß das Gemälde seines
Schülers P. de Kommet in der Pester Landesgalerie, das denselben Gegenstand
darstellt, mit dieser Meisterleistung vergleichen, um deu rechte" Maßstab sür
das hier zu Tage tretende künstlerische Feingefühl zu gewinnen. Offenbar hat
Kommet bei seiner Darstellung Rembrandts Radirnng vor Augen gehabt, die
Herübernahme einzelner Motive läßt darüber keinen Zweifel; aber alles ist


Grenzboten IV lW" M


Die Rembrandt-Ausstellung im Berliner
Kupferstichkabinet
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le fortschreitende Entwicklung Rembrandts in dem folgenden Ab¬
schnitt seines Lebens, den die Jahre 1«!^7 und lK42 begrenzen,
letzteres das Todesjahr seiner Gattin SaSkia, zeigt sich vorzugs¬
weise in der Erweiterung des Stoffkreises, dein seine Radirungen
angehören. Wie jedes wirkliche Genie vielseitig ist, so sehen
wir auch Rembrandt aus den verschiedensten Gebieten des Darstellbaren seine
Anregungen holen, ohne sich doch jemals mit der bloß oberflächlichen Anregung
zu begnügen. In zahlreichen unermüdlichen Versuchen erschöpft er fast den
künstlerische» Gehalt der einzelnen Szenen der biblischen Geschichte mit dem
steten Bemühen, dem psychologischen .Kern aller dieser Vorgänge in seiner
Wiedergabe möglichst nahe zu kommen. Mehr noch als in seineu Bildern
tritt dieses protestantisch-germanische Bestreben in seinen Radirungen und
Handzeichnungen zu Tage. Wenn wir z. B. die Berstoßuug der Ha gar, ein
Blatt ans dem Jahre 1K,'!7, daraufhin ansehen: wie wunderbar ist der Wider¬
streit der Gefühle in der Gestalt des greisen Patriarchen geschildert! Durch
die schwerfällige holländisch - orientalische Kleidung hindurch glauben wir die
seelische Erregung, das Zittern bis in die Fingerspitzen hinein zu empfinden.
Halb zieht es ihn fort, seiner treue» Magd zu folgen, die thränenden Auges
davonzieht, von dem ahnungslosen Ismael begleitet. Segnend breitet er seine
Hände aus; halb wendet er sich zurück nach dem Hause, aus dessen Fenster
der hämisch grinsende Kopf der Sara herausblickt, während ein zweites Knüblein
neugierig durch die Thürspalte lugt. Der Haushund macht sich gewohnheits¬
mäßig mit auf deu Trab, seiner Pflegerin und ihrem Knaben folgsam. Welche
ungezwungene, zum Herzen sprechende Ausfassung des an sich künstlerisch
kaum besonders anregenden Borganges! Mail muß das Gemälde seines
Schülers P. de Kommet in der Pester Landesgalerie, das denselben Gegenstand
darstellt, mit dieser Meisterleistung vergleichen, um deu rechte» Maßstab sür
das hier zu Tage tretende künstlerische Feingefühl zu gewinnen. Offenbar hat
Kommet bei seiner Darstellung Rembrandts Radirnng vor Augen gehabt, die
Herübernahme einzelner Motive läßt darüber keinen Zweifel; aber alles ist


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[0417] [Abbildung] Die Rembrandt-Ausstellung im Berliner Kupferstichkabinet 2 le fortschreitende Entwicklung Rembrandts in dem folgenden Ab¬ schnitt seines Lebens, den die Jahre 1«!^7 und lK42 begrenzen, letzteres das Todesjahr seiner Gattin SaSkia, zeigt sich vorzugs¬ weise in der Erweiterung des Stoffkreises, dein seine Radirungen angehören. Wie jedes wirkliche Genie vielseitig ist, so sehen wir auch Rembrandt aus den verschiedensten Gebieten des Darstellbaren seine Anregungen holen, ohne sich doch jemals mit der bloß oberflächlichen Anregung zu begnügen. In zahlreichen unermüdlichen Versuchen erschöpft er fast den künstlerische» Gehalt der einzelnen Szenen der biblischen Geschichte mit dem steten Bemühen, dem psychologischen .Kern aller dieser Vorgänge in seiner Wiedergabe möglichst nahe zu kommen. Mehr noch als in seineu Bildern tritt dieses protestantisch-germanische Bestreben in seinen Radirungen und Handzeichnungen zu Tage. Wenn wir z. B. die Berstoßuug der Ha gar, ein Blatt ans dem Jahre 1K,'!7, daraufhin ansehen: wie wunderbar ist der Wider¬ streit der Gefühle in der Gestalt des greisen Patriarchen geschildert! Durch die schwerfällige holländisch - orientalische Kleidung hindurch glauben wir die seelische Erregung, das Zittern bis in die Fingerspitzen hinein zu empfinden. Halb zieht es ihn fort, seiner treue» Magd zu folgen, die thränenden Auges davonzieht, von dem ahnungslosen Ismael begleitet. Segnend breitet er seine Hände aus; halb wendet er sich zurück nach dem Hause, aus dessen Fenster der hämisch grinsende Kopf der Sara herausblickt, während ein zweites Knüblein neugierig durch die Thürspalte lugt. Der Haushund macht sich gewohnheits¬ mäßig mit auf deu Trab, seiner Pflegerin und ihrem Knaben folgsam. Welche ungezwungene, zum Herzen sprechende Ausfassung des an sich künstlerisch kaum besonders anregenden Borganges! Mail muß das Gemälde seines Schülers P. de Kommet in der Pester Landesgalerie, das denselben Gegenstand darstellt, mit dieser Meisterleistung vergleichen, um deu rechte» Maßstab sür das hier zu Tage tretende künstlerische Feingefühl zu gewinnen. Offenbar hat Kommet bei seiner Darstellung Rembrandts Radirnng vor Augen gehabt, die Herübernahme einzelner Motive läßt darüber keinen Zweifel; aber alles ist Grenzboten IV lW» M

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/417>, abgerufen am 28.04.2024.