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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Die Rembrandt-Ausstellung im Berliner Kupferstichkabinet

vergröbert, wir empfinden bei dem Vergleich etwa dasselbe, als wenn wir
einen Ungebildeten in der Erzählung eüies Vorganges oder in einer Aus¬
einandersetzung die halb oder gar nicht verstandenen Worte eines geistig Höher¬
stehenden mißbrauchen hören.

Neben die Verstoßung der Hagar kann man die noch aus dem Jahre 163V
stammende Rückkehr des Verlornen Sohnes als Gegenstück stellen: anch hier
ist der seelische Inhalt gewissermaßen bis auf den letzten Tropfen von dem
künstlerischen Geiste aufgesogen worden, Wohl niemals ist das Gemisch von
Reue, Zerknirschung und leidenschaftlicher Wiedersehensfreude, wie es das
Gemüt eines äußerlich scheinbar völlig Verkommenen bei der Rückkehr in die
Arme des verzeihender Vaters erregt, so packend wiedergegeben worden, wie hier.
Diese Art "Seeleudramatik" -- der Ausdruck drängt sich uns angesichts der
Schöpfungen Rembrandts unwillkürlich auf -- ist die Hauptaufgabe, der er
sich in dieser Zeit mit dem ganzen Aufgebot seiner künstlerischen Kraft widmet.
Er sucht sich in derartige Probleme auch seelisch hineinzuarbeiten, bis ihn eine
ähnliche Stimmung wie die zu schildernde zur künstlerischen Wiedergabe
zwingt. Darin drückt sich noch immer ein gewisses Ringen aus, das auch in
der technischen Behandlung unverkennbar ist: im Gegensatze zu der sieghaften
Sicherheit, mit der er in späterer Zeit auch den schwierigsten Aufgabe" eine
überraschende Wirkung abzutrotzen weiß, sehen wir ihn jetzt den Einzelheiten
mit einer ängstlichen Sorgfalt nachspüren, mit der Radirnadel, der nicht selten
auch die Schreiberadel zu Hilfe kommen muß, eine Feinmalerei ausbilden, die
einer nachstrebenden Schule von Radirern das Hauptziel abgab, während er
schon lange darüber hinaus, in der breitesten Manier sich seine eigne neue
Kunstsprache gebildet hatte. Als besonders charakteristisches Beispiel sei hier nur
"och der "Joseph seine Träume erzählend" aus dem Jahre 1638 erwähnt.

Völlig aus dem Rahmen dieser seiner Art, die Radirnadel zu handhaben,
fallen zwei große Blätter heraus, die trotz der großen Wertschätzung, deren
sie sich in älterer Zeit erfreuten, und trotz der Bezeichnung: 1i"iQl>rMät ouirr
xrivil(öAio) aus der Reihe seiner eigenhändigen Arbeiten durchaus gestrichen
werden müssen: die Kreuzabnahme (datirt 1633) und das Looo Komo vom
Jahre 1636. Die erstgenannte Radirung ist mit Recht in die Berliner Aus¬
stellung gar nicht aufgenommen; aber das ^ovo nomo verdient durchaus die¬
selbe Zurückweisung. Wenn wir uns die beiden Blätter in Rembrandts Atelier
und unter seiner Leitung von der Hand seiner Schüler ausgeführt denken,
dürften wir wohl der Wahrheit am nächsten kommen. Die Geschichte der
Platten, die zu studiren das jüngst erschienene Werk des Senators Novinski^)
durch seine Lichtdrncknachbildnngen sämtlicher Plattenzustände der Radirungen



*) I/oouvrs ör"of as Romdravckt. 1000 ^Jodok^xios sans rstouvliss. Le. rvtors-
d"ni'"', 1890.
Die Rembrandt-Ausstellung im Berliner Kupferstichkabinet

vergröbert, wir empfinden bei dem Vergleich etwa dasselbe, als wenn wir
einen Ungebildeten in der Erzählung eüies Vorganges oder in einer Aus¬
einandersetzung die halb oder gar nicht verstandenen Worte eines geistig Höher¬
stehenden mißbrauchen hören.

Neben die Verstoßung der Hagar kann man die noch aus dem Jahre 163V
stammende Rückkehr des Verlornen Sohnes als Gegenstück stellen: anch hier
ist der seelische Inhalt gewissermaßen bis auf den letzten Tropfen von dem
künstlerischen Geiste aufgesogen worden, Wohl niemals ist das Gemisch von
Reue, Zerknirschung und leidenschaftlicher Wiedersehensfreude, wie es das
Gemüt eines äußerlich scheinbar völlig Verkommenen bei der Rückkehr in die
Arme des verzeihender Vaters erregt, so packend wiedergegeben worden, wie hier.
Diese Art „Seeleudramatik" — der Ausdruck drängt sich uns angesichts der
Schöpfungen Rembrandts unwillkürlich auf — ist die Hauptaufgabe, der er
sich in dieser Zeit mit dem ganzen Aufgebot seiner künstlerischen Kraft widmet.
Er sucht sich in derartige Probleme auch seelisch hineinzuarbeiten, bis ihn eine
ähnliche Stimmung wie die zu schildernde zur künstlerischen Wiedergabe
zwingt. Darin drückt sich noch immer ein gewisses Ringen aus, das auch in
der technischen Behandlung unverkennbar ist: im Gegensatze zu der sieghaften
Sicherheit, mit der er in späterer Zeit auch den schwierigsten Aufgabe» eine
überraschende Wirkung abzutrotzen weiß, sehen wir ihn jetzt den Einzelheiten
mit einer ängstlichen Sorgfalt nachspüren, mit der Radirnadel, der nicht selten
auch die Schreiberadel zu Hilfe kommen muß, eine Feinmalerei ausbilden, die
einer nachstrebenden Schule von Radirern das Hauptziel abgab, während er
schon lange darüber hinaus, in der breitesten Manier sich seine eigne neue
Kunstsprache gebildet hatte. Als besonders charakteristisches Beispiel sei hier nur
»och der „Joseph seine Träume erzählend" aus dem Jahre 1638 erwähnt.

Völlig aus dem Rahmen dieser seiner Art, die Radirnadel zu handhaben,
fallen zwei große Blätter heraus, die trotz der großen Wertschätzung, deren
sie sich in älterer Zeit erfreuten, und trotz der Bezeichnung: 1i«iQl>rMät ouirr
xrivil(öAio) aus der Reihe seiner eigenhändigen Arbeiten durchaus gestrichen
werden müssen: die Kreuzabnahme (datirt 1633) und das Looo Komo vom
Jahre 1636. Die erstgenannte Radirung ist mit Recht in die Berliner Aus¬
stellung gar nicht aufgenommen; aber das ^ovo nomo verdient durchaus die¬
selbe Zurückweisung. Wenn wir uns die beiden Blätter in Rembrandts Atelier
und unter seiner Leitung von der Hand seiner Schüler ausgeführt denken,
dürften wir wohl der Wahrheit am nächsten kommen. Die Geschichte der
Platten, die zu studiren das jüngst erschienene Werk des Senators Novinski^)
durch seine Lichtdrncknachbildnngen sämtlicher Plattenzustände der Radirungen



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[0418] Die Rembrandt-Ausstellung im Berliner Kupferstichkabinet vergröbert, wir empfinden bei dem Vergleich etwa dasselbe, als wenn wir einen Ungebildeten in der Erzählung eüies Vorganges oder in einer Aus¬ einandersetzung die halb oder gar nicht verstandenen Worte eines geistig Höher¬ stehenden mißbrauchen hören. Neben die Verstoßung der Hagar kann man die noch aus dem Jahre 163V stammende Rückkehr des Verlornen Sohnes als Gegenstück stellen: anch hier ist der seelische Inhalt gewissermaßen bis auf den letzten Tropfen von dem künstlerischen Geiste aufgesogen worden, Wohl niemals ist das Gemisch von Reue, Zerknirschung und leidenschaftlicher Wiedersehensfreude, wie es das Gemüt eines äußerlich scheinbar völlig Verkommenen bei der Rückkehr in die Arme des verzeihender Vaters erregt, so packend wiedergegeben worden, wie hier. Diese Art „Seeleudramatik" — der Ausdruck drängt sich uns angesichts der Schöpfungen Rembrandts unwillkürlich auf — ist die Hauptaufgabe, der er sich in dieser Zeit mit dem ganzen Aufgebot seiner künstlerischen Kraft widmet. Er sucht sich in derartige Probleme auch seelisch hineinzuarbeiten, bis ihn eine ähnliche Stimmung wie die zu schildernde zur künstlerischen Wiedergabe zwingt. Darin drückt sich noch immer ein gewisses Ringen aus, das auch in der technischen Behandlung unverkennbar ist: im Gegensatze zu der sieghaften Sicherheit, mit der er in späterer Zeit auch den schwierigsten Aufgabe» eine überraschende Wirkung abzutrotzen weiß, sehen wir ihn jetzt den Einzelheiten mit einer ängstlichen Sorgfalt nachspüren, mit der Radirnadel, der nicht selten auch die Schreiberadel zu Hilfe kommen muß, eine Feinmalerei ausbilden, die einer nachstrebenden Schule von Radirern das Hauptziel abgab, während er schon lange darüber hinaus, in der breitesten Manier sich seine eigne neue Kunstsprache gebildet hatte. Als besonders charakteristisches Beispiel sei hier nur »och der „Joseph seine Träume erzählend" aus dem Jahre 1638 erwähnt. Völlig aus dem Rahmen dieser seiner Art, die Radirnadel zu handhaben, fallen zwei große Blätter heraus, die trotz der großen Wertschätzung, deren sie sich in älterer Zeit erfreuten, und trotz der Bezeichnung: 1i«iQl>rMät ouirr xrivil(öAio) aus der Reihe seiner eigenhändigen Arbeiten durchaus gestrichen werden müssen: die Kreuzabnahme (datirt 1633) und das Looo Komo vom Jahre 1636. Die erstgenannte Radirung ist mit Recht in die Berliner Aus¬ stellung gar nicht aufgenommen; aber das ^ovo nomo verdient durchaus die¬ selbe Zurückweisung. Wenn wir uns die beiden Blätter in Rembrandts Atelier und unter seiner Leitung von der Hand seiner Schüler ausgeführt denken, dürften wir wohl der Wahrheit am nächsten kommen. Die Geschichte der Platten, die zu studiren das jüngst erschienene Werk des Senators Novinski^) durch seine Lichtdrncknachbildnngen sämtlicher Plattenzustände der Radirungen *) I/oouvrs ör»of as Romdravckt. 1000 ^Jodok^xios sans rstouvliss. Le. rvtors- d»ni'»', 1890.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/418>, abgerufen am 13.05.2024.