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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Zodoins Lüde

zaun, der Heuschober, der kaum bewegte Kanal, eine Baumgruppe mit uner¬
gründlich tiefschattenden Kronen vor einem bescheidenen Landhause, sie alle
haben in den Radirungen Rembrandts etwas Sehnsuchterweckendes und
Stimmungerregendes, wie kaum je in der Natur. Wie dazu die meist geringe
Staffage gewählt ist, wie sich erst beim nähern Zusehen aus den tiefern
Schatten ein kosendes Paar herauszulösen beginnt, dort ein Landmann sorgend
in die Weite blickt -- alles verrät uns, daß dem Künstler das Geschaute nicht
nur eine willkommene Anregung zur malerischen Wiedergabe gewesen ist, sondern
daß er sich tief innerlich mit dem Wesen der ihn umgebenden, an sich ziemlich
reizlosen Natur verwachsen fühlte. Dies nannten wir oben protestantische
Naturauffassung, es liegt weit ab von jeuer Vorstellung, daß ans der Natur
nur der gewaltige, allmächtige Gott zu uns rede, oder daß alle Kreatur in ihrem
Glänze lind ihrer Pracht nur einen volltönigen Hymnus auf die überirdische
Macht des Schöpfers anstimmen müsse. Es fehlt das dekorative, das feierliche
Element, wie es etwa die Landschaften eines Rubens mit ihrem Regenbogen-
licht und ihren wohlverteilten Farbenreizen in sich tragen. Freilich, daß sich
auch die sinnige, gemütvolle Auffassung eines Rembrmidt zum Erhabenen
steigern konnte, zeigt die von jeher als Perle nnter seinen Radirungen geschätzte
Landschaft mit den drei Bäumen. Hier ist auch die Wolkenbehandlung, die
für die holländischen Landschafter das Hauptproblem bildete, wirkungsvoll in die
Gesamtstimmung hineingezogen, und die rechts auf sonst baumloser Düne
aufragenden schlichten drei Bäume ergreifen den Beschauer mit derselben
llnwiderstehlichkeit, wie die gewaltigen, oft auch gewaltsamen Symphonien, die
Ruysdael mit Sturm- und Sturzbachgebraus aufzuführen liebt.




^odoms (Lüde

as Fell der Reklametrommel war diesmal in voreiligen Sieges¬
räusche zu stark angespannt, um ein paar Töne zu hoch gestimmt
worden. Es hätte nicht viel gefehlt, so wären statt des Triumph¬
gesanges die dumpfen Wirbel eines Trauermarsches heraus¬
gekommen, und der Apparat war doch wieder so geschickt gehand¬
habt worden, daß er von Bern bis Königsberg, von Hamburg bis Wien seine
Schuldigkeit that. Freilich scheint die Trauer, als urplötzlich das polizeiliche


Zodoins Lüde

zaun, der Heuschober, der kaum bewegte Kanal, eine Baumgruppe mit uner¬
gründlich tiefschattenden Kronen vor einem bescheidenen Landhause, sie alle
haben in den Radirungen Rembrandts etwas Sehnsuchterweckendes und
Stimmungerregendes, wie kaum je in der Natur. Wie dazu die meist geringe
Staffage gewählt ist, wie sich erst beim nähern Zusehen aus den tiefern
Schatten ein kosendes Paar herauszulösen beginnt, dort ein Landmann sorgend
in die Weite blickt — alles verrät uns, daß dem Künstler das Geschaute nicht
nur eine willkommene Anregung zur malerischen Wiedergabe gewesen ist, sondern
daß er sich tief innerlich mit dem Wesen der ihn umgebenden, an sich ziemlich
reizlosen Natur verwachsen fühlte. Dies nannten wir oben protestantische
Naturauffassung, es liegt weit ab von jeuer Vorstellung, daß ans der Natur
nur der gewaltige, allmächtige Gott zu uns rede, oder daß alle Kreatur in ihrem
Glänze lind ihrer Pracht nur einen volltönigen Hymnus auf die überirdische
Macht des Schöpfers anstimmen müsse. Es fehlt das dekorative, das feierliche
Element, wie es etwa die Landschaften eines Rubens mit ihrem Regenbogen-
licht und ihren wohlverteilten Farbenreizen in sich tragen. Freilich, daß sich
auch die sinnige, gemütvolle Auffassung eines Rembrmidt zum Erhabenen
steigern konnte, zeigt die von jeher als Perle nnter seinen Radirungen geschätzte
Landschaft mit den drei Bäumen. Hier ist auch die Wolkenbehandlung, die
für die holländischen Landschafter das Hauptproblem bildete, wirkungsvoll in die
Gesamtstimmung hineingezogen, und die rechts auf sonst baumloser Düne
aufragenden schlichten drei Bäume ergreifen den Beschauer mit derselben
llnwiderstehlichkeit, wie die gewaltigen, oft auch gewaltsamen Symphonien, die
Ruysdael mit Sturm- und Sturzbachgebraus aufzuführen liebt.




^odoms (Lüde

as Fell der Reklametrommel war diesmal in voreiligen Sieges¬
räusche zu stark angespannt, um ein paar Töne zu hoch gestimmt
worden. Es hätte nicht viel gefehlt, so wären statt des Triumph¬
gesanges die dumpfen Wirbel eines Trauermarsches heraus¬
gekommen, und der Apparat war doch wieder so geschickt gehand¬
habt worden, daß er von Bern bis Königsberg, von Hamburg bis Wien seine
Schuldigkeit that. Freilich scheint die Trauer, als urplötzlich das polizeiliche


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[0421] Zodoins Lüde zaun, der Heuschober, der kaum bewegte Kanal, eine Baumgruppe mit uner¬ gründlich tiefschattenden Kronen vor einem bescheidenen Landhause, sie alle haben in den Radirungen Rembrandts etwas Sehnsuchterweckendes und Stimmungerregendes, wie kaum je in der Natur. Wie dazu die meist geringe Staffage gewählt ist, wie sich erst beim nähern Zusehen aus den tiefern Schatten ein kosendes Paar herauszulösen beginnt, dort ein Landmann sorgend in die Weite blickt — alles verrät uns, daß dem Künstler das Geschaute nicht nur eine willkommene Anregung zur malerischen Wiedergabe gewesen ist, sondern daß er sich tief innerlich mit dem Wesen der ihn umgebenden, an sich ziemlich reizlosen Natur verwachsen fühlte. Dies nannten wir oben protestantische Naturauffassung, es liegt weit ab von jeuer Vorstellung, daß ans der Natur nur der gewaltige, allmächtige Gott zu uns rede, oder daß alle Kreatur in ihrem Glänze lind ihrer Pracht nur einen volltönigen Hymnus auf die überirdische Macht des Schöpfers anstimmen müsse. Es fehlt das dekorative, das feierliche Element, wie es etwa die Landschaften eines Rubens mit ihrem Regenbogen- licht und ihren wohlverteilten Farbenreizen in sich tragen. Freilich, daß sich auch die sinnige, gemütvolle Auffassung eines Rembrmidt zum Erhabenen steigern konnte, zeigt die von jeher als Perle nnter seinen Radirungen geschätzte Landschaft mit den drei Bäumen. Hier ist auch die Wolkenbehandlung, die für die holländischen Landschafter das Hauptproblem bildete, wirkungsvoll in die Gesamtstimmung hineingezogen, und die rechts auf sonst baumloser Düne aufragenden schlichten drei Bäume ergreifen den Beschauer mit derselben llnwiderstehlichkeit, wie die gewaltigen, oft auch gewaltsamen Symphonien, die Ruysdael mit Sturm- und Sturzbachgebraus aufzuführen liebt. ^odoms (Lüde as Fell der Reklametrommel war diesmal in voreiligen Sieges¬ räusche zu stark angespannt, um ein paar Töne zu hoch gestimmt worden. Es hätte nicht viel gefehlt, so wären statt des Triumph¬ gesanges die dumpfen Wirbel eines Trauermarsches heraus¬ gekommen, und der Apparat war doch wieder so geschickt gehand¬ habt worden, daß er von Bern bis Königsberg, von Hamburg bis Wien seine Schuldigkeit that. Freilich scheint die Trauer, als urplötzlich das polizeiliche

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/421>, abgerufen am 28.04.2024.