Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Real'raubt-Ausstellung im Berliner Rupferstichkabinet

Der Tod Mariä erscheint auf den ersten Blick als eine durchaus in
katholischen, Sinne aufgefaßte Darstellung, und doch ist Rembrandt auch hier
seiner schon geschilderten Art, biblische Vorgänge durchaus nnr auf ihren
psychologischen Kern anzusehen, getreu geblieben. In welchem scharfen Kontrast
steht diese lebhaft bewegte und von rein menschlichen Empfindungen durchsetzte
Handlung zu der stillen Feierlichkeit, die altern Darstellungen des Gegenstandes
gewissermaßen den Charakter des Sakramentaler zu geben Pflegt! Rembrandts
enge Beziehungen zu den protestantischen Sekten, die damals in Holland zahl¬
reichste Gefolgschaft fanden, bezeugt nicht nur Baldinucci, der den .Künstler mit
nicht mißverstehender Perachtung geradezu zu einem Mennoniten macht,
sondern auch die Porträts zU'eier Geistliche", des Arminianers Jan Uytenbogaerd
und des Wiedertäufers Cornelis Claesz Auslo (1641). Es mag seltsam klingen,
wenn wir auch in Rembrandts Art der Naturbetrachtung, wie sie namentlich
in seinen Landschaftsradirnngen so ergreifend zu Tage tritt, einen protestantischen
Zug finden. Die zahlreichen Landschaften der folgenden Jahre -- die nächste
Abteilung der Ausstellung enthält ausschließlich landschaftliche Darstellungen"^
bieten uns Gelegenheit, diese Seite des Nembrandtschen Genius näher keimen
zu lernen. Wir verzichten ans die hier gerade sehr umfangreiche kritische
Sichtung des reiche" Stoffes und verweisen den Leser auf den in dieser Be¬
ziehung besonders ergebnisreicher Aufsatz von A. de Pries in der Knnst-
zeitschrift: <>u"l IlollomI I, 292 ff. Was uns an den Landschaften des Meisters
interessirt, von denen wir doch noch immer etwa achtundzwanzig echte zählen,
ist das neue Element, das sich in ihnen zum erstenmale mit besondrer Be¬
tonung in der landschaftlichen Auffassung Geltung verschafft. Die Stimmungs¬
landschaft im modernen Sinne darf als eine Schöpfung Rembrandts angesehen
werden. Wer da glaubte, Rembrandt sei als Landschafter durchaus Naturalist,
vermeide jede künstlerische Steigerung, jede selische Belebung der angeschauter
landschaftlichen Umgebung, würde sehr irren. Freilich verzichtet er auf die
Requisiten jener Landschafter, die man mit mehr oder weniger Recht als
Romantiker zu bezeichnen Pflegt. Er braucht nicht, wie Ruhsdael, Ruinen,
finstere Wolkenmassen, nicht rauschende Sturzbäche, entblätterte Baum¬
kronen vom Winde gepeitscht, um in landschaftlichen Darstellungen den Be¬
schauer zu ergreife". Auch hier sehen wir ihn wie bei den Schilderungen der
biblischen Geschichte sich in die Dinge völlig hineinlebe", den Stimmungsgehalt
nicht in sie hineinthu", sendern aus ihnen herauslesen. Eornelis Bie, der im
Jahre 1661 in seinem Gnldeukabinet de" Künstler andichtete, weiß ihm keine"
höher" Preis zuzuerteilen, als daß "Natur selber beschämt vor solchem Künstler
stünde," daß in seinen Werke" nichts als echter "Lebensgeist" wohne und
wirke. Das gilt in hervorragendem Maße von seine" Landschaften: die weit
sich dehnenden Dünen seiner Heimat mit den am Horizont aufsteigenden Um¬
rissen der Küstenstädte ""d Dörfer, die verfallende Hütte mit ihrem Planten-


Die Real'raubt-Ausstellung im Berliner Rupferstichkabinet

Der Tod Mariä erscheint auf den ersten Blick als eine durchaus in
katholischen, Sinne aufgefaßte Darstellung, und doch ist Rembrandt auch hier
seiner schon geschilderten Art, biblische Vorgänge durchaus nnr auf ihren
psychologischen Kern anzusehen, getreu geblieben. In welchem scharfen Kontrast
steht diese lebhaft bewegte und von rein menschlichen Empfindungen durchsetzte
Handlung zu der stillen Feierlichkeit, die altern Darstellungen des Gegenstandes
gewissermaßen den Charakter des Sakramentaler zu geben Pflegt! Rembrandts
enge Beziehungen zu den protestantischen Sekten, die damals in Holland zahl¬
reichste Gefolgschaft fanden, bezeugt nicht nur Baldinucci, der den .Künstler mit
nicht mißverstehender Perachtung geradezu zu einem Mennoniten macht,
sondern auch die Porträts zU'eier Geistliche», des Arminianers Jan Uytenbogaerd
und des Wiedertäufers Cornelis Claesz Auslo (1641). Es mag seltsam klingen,
wenn wir auch in Rembrandts Art der Naturbetrachtung, wie sie namentlich
in seinen Landschaftsradirnngen so ergreifend zu Tage tritt, einen protestantischen
Zug finden. Die zahlreichen Landschaften der folgenden Jahre — die nächste
Abteilung der Ausstellung enthält ausschließlich landschaftliche Darstellungen"^
bieten uns Gelegenheit, diese Seite des Nembrandtschen Genius näher keimen
zu lernen. Wir verzichten ans die hier gerade sehr umfangreiche kritische
Sichtung des reiche» Stoffes und verweisen den Leser auf den in dieser Be¬
ziehung besonders ergebnisreicher Aufsatz von A. de Pries in der Knnst-
zeitschrift: <>u«l IlollomI I, 292 ff. Was uns an den Landschaften des Meisters
interessirt, von denen wir doch noch immer etwa achtundzwanzig echte zählen,
ist das neue Element, das sich in ihnen zum erstenmale mit besondrer Be¬
tonung in der landschaftlichen Auffassung Geltung verschafft. Die Stimmungs¬
landschaft im modernen Sinne darf als eine Schöpfung Rembrandts angesehen
werden. Wer da glaubte, Rembrandt sei als Landschafter durchaus Naturalist,
vermeide jede künstlerische Steigerung, jede selische Belebung der angeschauter
landschaftlichen Umgebung, würde sehr irren. Freilich verzichtet er auf die
Requisiten jener Landschafter, die man mit mehr oder weniger Recht als
Romantiker zu bezeichnen Pflegt. Er braucht nicht, wie Ruhsdael, Ruinen,
finstere Wolkenmassen, nicht rauschende Sturzbäche, entblätterte Baum¬
kronen vom Winde gepeitscht, um in landschaftlichen Darstellungen den Be¬
schauer zu ergreife». Auch hier sehen wir ihn wie bei den Schilderungen der
biblischen Geschichte sich in die Dinge völlig hineinlebe», den Stimmungsgehalt
nicht in sie hineinthu», sendern aus ihnen herauslesen. Eornelis Bie, der im
Jahre 1661 in seinem Gnldeukabinet de» Künstler andichtete, weiß ihm keine»
höher» Preis zuzuerteilen, als daß „Natur selber beschämt vor solchem Künstler
stünde," daß in seinen Werke» nichts als echter „Lebensgeist" wohne und
wirke. Das gilt in hervorragendem Maße von seine» Landschaften: die weit
sich dehnenden Dünen seiner Heimat mit den am Horizont aufsteigenden Um¬
rissen der Küstenstädte »»d Dörfer, die verfallende Hütte mit ihrem Planten-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0420" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/208999"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Real'raubt-Ausstellung im Berliner Rupferstichkabinet</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1210" next="#ID_1211"> Der Tod Mariä erscheint auf den ersten Blick als eine durchaus in<lb/>
katholischen, Sinne aufgefaßte Darstellung, und doch ist Rembrandt auch hier<lb/>
seiner schon geschilderten Art, biblische Vorgänge durchaus nnr auf ihren<lb/>
psychologischen Kern anzusehen, getreu geblieben. In welchem scharfen Kontrast<lb/>
steht diese lebhaft bewegte und von rein menschlichen Empfindungen durchsetzte<lb/>
Handlung zu der stillen Feierlichkeit, die altern Darstellungen des Gegenstandes<lb/>
gewissermaßen den Charakter des Sakramentaler zu geben Pflegt! Rembrandts<lb/>
enge Beziehungen zu den protestantischen Sekten, die damals in Holland zahl¬<lb/>
reichste Gefolgschaft fanden, bezeugt nicht nur Baldinucci, der den .Künstler mit<lb/>
nicht mißverstehender Perachtung geradezu zu einem Mennoniten macht,<lb/>
sondern auch die Porträts zU'eier Geistliche», des Arminianers Jan Uytenbogaerd<lb/>
und des Wiedertäufers Cornelis Claesz Auslo (1641). Es mag seltsam klingen,<lb/>
wenn wir auch in Rembrandts Art der Naturbetrachtung, wie sie namentlich<lb/>
in seinen Landschaftsradirnngen so ergreifend zu Tage tritt, einen protestantischen<lb/>
Zug finden. Die zahlreichen Landschaften der folgenden Jahre &#x2014; die nächste<lb/>
Abteilung der Ausstellung enthält ausschließlich landschaftliche Darstellungen"^<lb/>
bieten uns Gelegenheit, diese Seite des Nembrandtschen Genius näher keimen<lb/>
zu lernen. Wir verzichten ans die hier gerade sehr umfangreiche kritische<lb/>
Sichtung des reiche» Stoffes und verweisen den Leser auf den in dieser Be¬<lb/>
ziehung besonders ergebnisreicher Aufsatz von A. de Pries in der Knnst-<lb/>
zeitschrift: &lt;&gt;u«l IlollomI I, 292 ff. Was uns an den Landschaften des Meisters<lb/>
interessirt, von denen wir doch noch immer etwa achtundzwanzig echte zählen,<lb/>
ist das neue Element, das sich in ihnen zum erstenmale mit besondrer Be¬<lb/>
tonung in der landschaftlichen Auffassung Geltung verschafft. Die Stimmungs¬<lb/>
landschaft im modernen Sinne darf als eine Schöpfung Rembrandts angesehen<lb/>
werden. Wer da glaubte, Rembrandt sei als Landschafter durchaus Naturalist,<lb/>
vermeide jede künstlerische Steigerung, jede selische Belebung der angeschauter<lb/>
landschaftlichen Umgebung, würde sehr irren. Freilich verzichtet er auf die<lb/>
Requisiten jener Landschafter, die man mit mehr oder weniger Recht als<lb/>
Romantiker zu bezeichnen Pflegt. Er braucht nicht, wie Ruhsdael, Ruinen,<lb/>
finstere Wolkenmassen, nicht rauschende Sturzbäche, entblätterte Baum¬<lb/>
kronen vom Winde gepeitscht, um in landschaftlichen Darstellungen den Be¬<lb/>
schauer zu ergreife». Auch hier sehen wir ihn wie bei den Schilderungen der<lb/>
biblischen Geschichte sich in die Dinge völlig hineinlebe», den Stimmungsgehalt<lb/>
nicht in sie hineinthu», sendern aus ihnen herauslesen. Eornelis Bie, der im<lb/>
Jahre 1661 in seinem Gnldeukabinet de» Künstler andichtete, weiß ihm keine»<lb/>
höher» Preis zuzuerteilen, als daß &#x201E;Natur selber beschämt vor solchem Künstler<lb/>
stünde," daß in seinen Werke» nichts als echter &#x201E;Lebensgeist" wohne und<lb/>
wirke. Das gilt in hervorragendem Maße von seine» Landschaften: die weit<lb/>
sich dehnenden Dünen seiner Heimat mit den am Horizont aufsteigenden Um¬<lb/>
rissen der Küstenstädte »»d Dörfer, die verfallende Hütte mit ihrem Planten-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0420] Die Real'raubt-Ausstellung im Berliner Rupferstichkabinet Der Tod Mariä erscheint auf den ersten Blick als eine durchaus in katholischen, Sinne aufgefaßte Darstellung, und doch ist Rembrandt auch hier seiner schon geschilderten Art, biblische Vorgänge durchaus nnr auf ihren psychologischen Kern anzusehen, getreu geblieben. In welchem scharfen Kontrast steht diese lebhaft bewegte und von rein menschlichen Empfindungen durchsetzte Handlung zu der stillen Feierlichkeit, die altern Darstellungen des Gegenstandes gewissermaßen den Charakter des Sakramentaler zu geben Pflegt! Rembrandts enge Beziehungen zu den protestantischen Sekten, die damals in Holland zahl¬ reichste Gefolgschaft fanden, bezeugt nicht nur Baldinucci, der den .Künstler mit nicht mißverstehender Perachtung geradezu zu einem Mennoniten macht, sondern auch die Porträts zU'eier Geistliche», des Arminianers Jan Uytenbogaerd und des Wiedertäufers Cornelis Claesz Auslo (1641). Es mag seltsam klingen, wenn wir auch in Rembrandts Art der Naturbetrachtung, wie sie namentlich in seinen Landschaftsradirnngen so ergreifend zu Tage tritt, einen protestantischen Zug finden. Die zahlreichen Landschaften der folgenden Jahre — die nächste Abteilung der Ausstellung enthält ausschließlich landschaftliche Darstellungen"^ bieten uns Gelegenheit, diese Seite des Nembrandtschen Genius näher keimen zu lernen. Wir verzichten ans die hier gerade sehr umfangreiche kritische Sichtung des reiche» Stoffes und verweisen den Leser auf den in dieser Be¬ ziehung besonders ergebnisreicher Aufsatz von A. de Pries in der Knnst- zeitschrift: <>u«l IlollomI I, 292 ff. Was uns an den Landschaften des Meisters interessirt, von denen wir doch noch immer etwa achtundzwanzig echte zählen, ist das neue Element, das sich in ihnen zum erstenmale mit besondrer Be¬ tonung in der landschaftlichen Auffassung Geltung verschafft. Die Stimmungs¬ landschaft im modernen Sinne darf als eine Schöpfung Rembrandts angesehen werden. Wer da glaubte, Rembrandt sei als Landschafter durchaus Naturalist, vermeide jede künstlerische Steigerung, jede selische Belebung der angeschauter landschaftlichen Umgebung, würde sehr irren. Freilich verzichtet er auf die Requisiten jener Landschafter, die man mit mehr oder weniger Recht als Romantiker zu bezeichnen Pflegt. Er braucht nicht, wie Ruhsdael, Ruinen, finstere Wolkenmassen, nicht rauschende Sturzbäche, entblätterte Baum¬ kronen vom Winde gepeitscht, um in landschaftlichen Darstellungen den Be¬ schauer zu ergreife». Auch hier sehen wir ihn wie bei den Schilderungen der biblischen Geschichte sich in die Dinge völlig hineinlebe», den Stimmungsgehalt nicht in sie hineinthu», sendern aus ihnen herauslesen. Eornelis Bie, der im Jahre 1661 in seinem Gnldeukabinet de» Künstler andichtete, weiß ihm keine» höher» Preis zuzuerteilen, als daß „Natur selber beschämt vor solchem Künstler stünde," daß in seinen Werke» nichts als echter „Lebensgeist" wohne und wirke. Das gilt in hervorragendem Maße von seine» Landschaften: die weit sich dehnenden Dünen seiner Heimat mit den am Horizont aufsteigenden Um¬ rissen der Küstenstädte »»d Dörfer, die verfallende Hütte mit ihrem Planten-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/420
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/420>, abgerufen am 14.05.2024.