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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Die lateinischen und griechischen Persa

also das Ich nicht als eine Abstraktion ans vielen Ichs auf, sondern glauben,
daß eS nur ein Ich giebt, eben dasjenige, das zu abstrahlen Pflegt, wenn eS
Philosophisch ausgebildet wird; der größere oder geringere Reichtum dieses
einen Ich aber hängt von der Zahl und Beschaffenheit der dienenden Wesen
ab, die ihren Inhalt in jenes ausschütten. Wie sie das anfangen, das gehört
wieder zu den Fragen, die kein irdischer Geist zu lösen vermag. Wir sehen
also in den Entdeckungen unsrer Physiologen eine Bestätigung der leibnizischeu
Ansicht, nach der jeder lebende Organismus aus Monaden besteht, die von
einer Zentralmvnade beherrscht werden. Und nur der Zeutralmonade des
Menschen gestehen wir die Würde eines Ichs zu. Daß ich mir mein Ich
nicht als eine Verbindung oder Verschmelzung oder Vergesellschaftung vieler
Wesen oder gar als eine Abstraktion ans solchen denken kann -- irgendwer
muß doch der Abstrahireude sein das beruht nicht auf der Erkenntnis
physiologischer Thatsachen, sondern auf meiner persönlichen Beschaffenheit, ans
der Einrichtung meines logischen Apparates. Diese scheint allerdings nicht
bei allen dieselbe zu sein, denn anch Wundt z.B. hält die Annahme eines
ungeteilten und unteilbaren Ichs nicht für notwendig.




Die lateinischen und griechischen Persa

is vor Jahren die Frage der Überbürdung unsrer Schuljugend
auftauchte und von dem einen in seiner Berechtigung bestritten,
von dein andern als berechtigt verteidigt und schließlich bald bis
zum Überdrusse besprochen wurde, da wurden wohl anch ver¬
einzelte Stimmen laut, die, um die Gymnasiasten etwas zu ent-
lasten, am freien lateinischen Aufsatze rüttelten und das griechische Pensum,
gegen das schon ein verdienter württembergischer Schulmann vor zwanzig Jahren
zu Felde gezogen war, wesentlich beschränkt wissen wollten.

Der Einfluß dieser Stimmen ist gering gewesen; denn wo man überhaupt
jede Überbürdung leugnete, blieben sie unbeachtet, und die, die gern darauf
eingegangen waren, konnten nicht gegen den Strom schwimmen. Es erschienen
einige Verordnungen, vereinzelt mochten wohl anch Anordnungen getroffen
und anch wohl geringfügige Erleichterungen geplant worden sein, in der Haupt¬
sache aber blieb alles beim alten.


Die lateinischen und griechischen Persa

also das Ich nicht als eine Abstraktion ans vielen Ichs auf, sondern glauben,
daß eS nur ein Ich giebt, eben dasjenige, das zu abstrahlen Pflegt, wenn eS
Philosophisch ausgebildet wird; der größere oder geringere Reichtum dieses
einen Ich aber hängt von der Zahl und Beschaffenheit der dienenden Wesen
ab, die ihren Inhalt in jenes ausschütten. Wie sie das anfangen, das gehört
wieder zu den Fragen, die kein irdischer Geist zu lösen vermag. Wir sehen
also in den Entdeckungen unsrer Physiologen eine Bestätigung der leibnizischeu
Ansicht, nach der jeder lebende Organismus aus Monaden besteht, die von
einer Zentralmvnade beherrscht werden. Und nur der Zeutralmonade des
Menschen gestehen wir die Würde eines Ichs zu. Daß ich mir mein Ich
nicht als eine Verbindung oder Verschmelzung oder Vergesellschaftung vieler
Wesen oder gar als eine Abstraktion ans solchen denken kann — irgendwer
muß doch der Abstrahireude sein das beruht nicht auf der Erkenntnis
physiologischer Thatsachen, sondern auf meiner persönlichen Beschaffenheit, ans
der Einrichtung meines logischen Apparates. Diese scheint allerdings nicht
bei allen dieselbe zu sein, denn anch Wundt z.B. hält die Annahme eines
ungeteilten und unteilbaren Ichs nicht für notwendig.




Die lateinischen und griechischen Persa

is vor Jahren die Frage der Überbürdung unsrer Schuljugend
auftauchte und von dem einen in seiner Berechtigung bestritten,
von dein andern als berechtigt verteidigt und schließlich bald bis
zum Überdrusse besprochen wurde, da wurden wohl anch ver¬
einzelte Stimmen laut, die, um die Gymnasiasten etwas zu ent-
lasten, am freien lateinischen Aufsatze rüttelten und das griechische Pensum,
gegen das schon ein verdienter württembergischer Schulmann vor zwanzig Jahren
zu Felde gezogen war, wesentlich beschränkt wissen wollten.

Der Einfluß dieser Stimmen ist gering gewesen; denn wo man überhaupt
jede Überbürdung leugnete, blieben sie unbeachtet, und die, die gern darauf
eingegangen waren, konnten nicht gegen den Strom schwimmen. Es erschienen
einige Verordnungen, vereinzelt mochten wohl anch Anordnungen getroffen
und anch wohl geringfügige Erleichterungen geplant worden sein, in der Haupt¬
sache aber blieb alles beim alten.


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[0474] Die lateinischen und griechischen Persa also das Ich nicht als eine Abstraktion ans vielen Ichs auf, sondern glauben, daß eS nur ein Ich giebt, eben dasjenige, das zu abstrahlen Pflegt, wenn eS Philosophisch ausgebildet wird; der größere oder geringere Reichtum dieses einen Ich aber hängt von der Zahl und Beschaffenheit der dienenden Wesen ab, die ihren Inhalt in jenes ausschütten. Wie sie das anfangen, das gehört wieder zu den Fragen, die kein irdischer Geist zu lösen vermag. Wir sehen also in den Entdeckungen unsrer Physiologen eine Bestätigung der leibnizischeu Ansicht, nach der jeder lebende Organismus aus Monaden besteht, die von einer Zentralmvnade beherrscht werden. Und nur der Zeutralmonade des Menschen gestehen wir die Würde eines Ichs zu. Daß ich mir mein Ich nicht als eine Verbindung oder Verschmelzung oder Vergesellschaftung vieler Wesen oder gar als eine Abstraktion ans solchen denken kann — irgendwer muß doch der Abstrahireude sein das beruht nicht auf der Erkenntnis physiologischer Thatsachen, sondern auf meiner persönlichen Beschaffenheit, ans der Einrichtung meines logischen Apparates. Diese scheint allerdings nicht bei allen dieselbe zu sein, denn anch Wundt z.B. hält die Annahme eines ungeteilten und unteilbaren Ichs nicht für notwendig. Die lateinischen und griechischen Persa is vor Jahren die Frage der Überbürdung unsrer Schuljugend auftauchte und von dem einen in seiner Berechtigung bestritten, von dein andern als berechtigt verteidigt und schließlich bald bis zum Überdrusse besprochen wurde, da wurden wohl anch ver¬ einzelte Stimmen laut, die, um die Gymnasiasten etwas zu ent- lasten, am freien lateinischen Aufsatze rüttelten und das griechische Pensum, gegen das schon ein verdienter württembergischer Schulmann vor zwanzig Jahren zu Felde gezogen war, wesentlich beschränkt wissen wollten. Der Einfluß dieser Stimmen ist gering gewesen; denn wo man überhaupt jede Überbürdung leugnete, blieben sie unbeachtet, und die, die gern darauf eingegangen waren, konnten nicht gegen den Strom schwimmen. Es erschienen einige Verordnungen, vereinzelt mochten wohl anch Anordnungen getroffen und anch wohl geringfügige Erleichterungen geplant worden sein, in der Haupt¬ sache aber blieb alles beim alten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/474>, abgerufen am 28.04.2024.