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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Römische Friihlingsbilder

die vor unsern Augen und Ohren erfolgende Einwirkung der zweiten Person
auf die erste und die dadurch ermöglichte Entwicklung des seelischen Lebens
dieser ersten Person, wird gerade durch diese Beschränkung erst in voller Kraft
möglich und wirksam. Zugleich gewinnt hierdurch das Drama seine ganze
Eigentümlichkeit. Wo das Seelenleben mit seinem Leiden in den Vordergrund
tritt, kann bei dem Hörer eine tiefe und wahre Sympathie, ein echtes Mit¬
leiden entstehen, wie es in gleichem Grade dem äußern, rein epischen Erleben
uicht beiwohnen kann, und wie es anch durch das Hinzutreten des Emvfindnngs-
ausdrucks bei Nichthandelnden nicht mit gleicher Kraft erreicht wird; erst wo
der Held, der das Geschick erlebt, auch der Herold seiner Empfindungen wird,
erst wenn der Held zugleich Chor ist, erst wenn Epos und Lyrik vollständig
zu einer Einheit verwachsen, erst da kann von dem Drama als einer echten,
künstlerisch einen eignen Charakter tragenden und eigenartig wirkenden Dichtung
die Rede sein. Daß Äschylos diese Notwendigkeit empfand, daß er sie durch
den damals gewiß im höchsten Grade kühnen Schritt der Hinzufügung eiues
zweiten Schauspielers und den damit vollzogenen Bruch mit der geheiligten
Überlieferung ins Leben zu führen wagte, zeigt uus, daß er in der That der
echte Dramatiker war, der nicht nur im Leben an der Spitze der dramatischen
Dichtung steht, sondern der es auch verdiente, daß ihm Aristophanes den
dramatischen Thron in der Unterwelt zuerkannte.

(Schluß folgt)




Römische Frühlingsbilder
Adolf Stern von
5. Monte Pincio, porta del popolo und Via ti Ripetta

eit Rom die Hauptstadt des Königreichs Italien geworden ist
-- die italienische Hauptstadt war ja die ewige Stadt fast
immer --, hat der von alters her als herrlicher Anssichts- und
Übersichtspunkt berufene Monte Pincio die Bedeutung eines
Mittelpunktes des hauptstädtischen Lebens gewonnen. Bis in
die Poesie und Musik hinein erstreckt sich schon der Ruhm der herrlichen An¬
lagen und des fröhlich bunten Treibens, das ans Monte Pincio herrscht, seit
dort "Korso" gefahren wird. Die Alleen und Plätze des Monte Pincio er¬
scheinen wie eine Verlängerung des eigentlichen Korso, jener Hauptstraße Roms,
die jahrhundertelang der Schauplatz unzähliger Pruukfahrteu und Aufzüge,


Römische Friihlingsbilder

die vor unsern Augen und Ohren erfolgende Einwirkung der zweiten Person
auf die erste und die dadurch ermöglichte Entwicklung des seelischen Lebens
dieser ersten Person, wird gerade durch diese Beschränkung erst in voller Kraft
möglich und wirksam. Zugleich gewinnt hierdurch das Drama seine ganze
Eigentümlichkeit. Wo das Seelenleben mit seinem Leiden in den Vordergrund
tritt, kann bei dem Hörer eine tiefe und wahre Sympathie, ein echtes Mit¬
leiden entstehen, wie es in gleichem Grade dem äußern, rein epischen Erleben
uicht beiwohnen kann, und wie es anch durch das Hinzutreten des Emvfindnngs-
ausdrucks bei Nichthandelnden nicht mit gleicher Kraft erreicht wird; erst wo
der Held, der das Geschick erlebt, auch der Herold seiner Empfindungen wird,
erst wenn der Held zugleich Chor ist, erst wenn Epos und Lyrik vollständig
zu einer Einheit verwachsen, erst da kann von dem Drama als einer echten,
künstlerisch einen eignen Charakter tragenden und eigenartig wirkenden Dichtung
die Rede sein. Daß Äschylos diese Notwendigkeit empfand, daß er sie durch
den damals gewiß im höchsten Grade kühnen Schritt der Hinzufügung eiues
zweiten Schauspielers und den damit vollzogenen Bruch mit der geheiligten
Überlieferung ins Leben zu führen wagte, zeigt uus, daß er in der That der
echte Dramatiker war, der nicht nur im Leben an der Spitze der dramatischen
Dichtung steht, sondern der es auch verdiente, daß ihm Aristophanes den
dramatischen Thron in der Unterwelt zuerkannte.

(Schluß folgt)




Römische Frühlingsbilder
Adolf Stern von
5. Monte Pincio, porta del popolo und Via ti Ripetta

eit Rom die Hauptstadt des Königreichs Italien geworden ist
— die italienische Hauptstadt war ja die ewige Stadt fast
immer —, hat der von alters her als herrlicher Anssichts- und
Übersichtspunkt berufene Monte Pincio die Bedeutung eines
Mittelpunktes des hauptstädtischen Lebens gewonnen. Bis in
die Poesie und Musik hinein erstreckt sich schon der Ruhm der herrlichen An¬
lagen und des fröhlich bunten Treibens, das ans Monte Pincio herrscht, seit
dort „Korso" gefahren wird. Die Alleen und Plätze des Monte Pincio er¬
scheinen wie eine Verlängerung des eigentlichen Korso, jener Hauptstraße Roms,
die jahrhundertelang der Schauplatz unzähliger Pruukfahrteu und Aufzüge,


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[0086] Römische Friihlingsbilder die vor unsern Augen und Ohren erfolgende Einwirkung der zweiten Person auf die erste und die dadurch ermöglichte Entwicklung des seelischen Lebens dieser ersten Person, wird gerade durch diese Beschränkung erst in voller Kraft möglich und wirksam. Zugleich gewinnt hierdurch das Drama seine ganze Eigentümlichkeit. Wo das Seelenleben mit seinem Leiden in den Vordergrund tritt, kann bei dem Hörer eine tiefe und wahre Sympathie, ein echtes Mit¬ leiden entstehen, wie es in gleichem Grade dem äußern, rein epischen Erleben uicht beiwohnen kann, und wie es anch durch das Hinzutreten des Emvfindnngs- ausdrucks bei Nichthandelnden nicht mit gleicher Kraft erreicht wird; erst wo der Held, der das Geschick erlebt, auch der Herold seiner Empfindungen wird, erst wenn der Held zugleich Chor ist, erst wenn Epos und Lyrik vollständig zu einer Einheit verwachsen, erst da kann von dem Drama als einer echten, künstlerisch einen eignen Charakter tragenden und eigenartig wirkenden Dichtung die Rede sein. Daß Äschylos diese Notwendigkeit empfand, daß er sie durch den damals gewiß im höchsten Grade kühnen Schritt der Hinzufügung eiues zweiten Schauspielers und den damit vollzogenen Bruch mit der geheiligten Überlieferung ins Leben zu führen wagte, zeigt uus, daß er in der That der echte Dramatiker war, der nicht nur im Leben an der Spitze der dramatischen Dichtung steht, sondern der es auch verdiente, daß ihm Aristophanes den dramatischen Thron in der Unterwelt zuerkannte. (Schluß folgt) Römische Frühlingsbilder Adolf Stern von 5. Monte Pincio, porta del popolo und Via ti Ripetta eit Rom die Hauptstadt des Königreichs Italien geworden ist — die italienische Hauptstadt war ja die ewige Stadt fast immer —, hat der von alters her als herrlicher Anssichts- und Übersichtspunkt berufene Monte Pincio die Bedeutung eines Mittelpunktes des hauptstädtischen Lebens gewonnen. Bis in die Poesie und Musik hinein erstreckt sich schon der Ruhm der herrlichen An¬ lagen und des fröhlich bunten Treibens, das ans Monte Pincio herrscht, seit dort „Korso" gefahren wird. Die Alleen und Plätze des Monte Pincio er¬ scheinen wie eine Verlängerung des eigentlichen Korso, jener Hauptstraße Roms, die jahrhundertelang der Schauplatz unzähliger Pruukfahrteu und Aufzüge,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/86>, abgerufen am 28.04.2024.